Hossein Rajaei ist Motten-Forscher aus Leidenschaft und Mitautor an einem Jahrhundertwerk.

Stuttgart-Nord - Wer etwas über Motten wissen will, ist bei Hossein Rajaei richtig. Er ist Kurator der Schmetterlingssammlung beim Naturkundemuseum. Der promovierte Zoologe beschäftigt sich seit seinem Studium in seiner persischen Heimat mit der Erforschung so genannter Spanner. Sie sind die zweitgrößte Schmetterlingsfamilie. Allein in Europa gibt es knapp 1000 Arten. Ihr wissenschaftlicher Name: Geometridae. Das kommt von Geometer, Landvermesser. Da ihre Raupen in der Mitte keine Fußpaare haben, bewegen sie sich so fort, als wollten den Untergrund vermessen. Sie ziehen den Hinterleib zur Brust und strecken sich dann.

 

Jetzt ist der letzte von sechs Bänden einer Buchreihe über die Spanner erschienen. An dem hat Rajaei zusammen mit einem internationalen Forscherteam drei Jahre gearbeitet. Der Band hat 900 Seiten. Insgesamt stecken in den 3652 Seiten aller sechs Bänden über die Spanner 25 Jahre Forschungsarbeit. Es ist ein Werk, dass laut Rajaei Bestand für die nächsten 100 Jahre haben wird.

Warum beschäftigt sich ein Wissenschaftler über einen so langen Zeitraum mit Motten? Rajaei strahlt. „Das sind so schöne, spannende Insekten“, schwärmt er und zieht eine Schublade mit rund 50 Spannern aus dem mit über einer Million präparierten Schmetterlingen bestückten Archiv des Naturkundemuseums. Alle sehen gleich aus. „Es sind aber ganz unterschiedliche Arten“, stellt Rajaei fest. Auch er kann nicht alle auf den ersten Blick bestimmen, doch es gibt ein untrügliches Unterscheidungsmerkmal. „Ihre Genitalien unterscheiden sich wie Tag und Nacht“, sagt Rajaei. Die nimmt er unter die Lupe. Dazu muss er den Hinterleib der Motte abtrennen und zehn Minuten in Kalilauge kochen. Rajaei: „Dann ist alles weich. Ich kann den Leib aufschneiden, die winzigen Geschlechtsteile herausholen, auf einem Objektträger fixieren und unter dem Mikroskop betrachten.“

Die Entdeckung neuer Arten sind Sternstunden für die Forscher

Zu den Sternstunden des 40-Jährigen gehört es, wenn er völlig neue Arten entdeckt. Das ist erst kürzlich passiert. Rajaei hat die Neuentdeckung nach seinem Biologielehrer im Iran „Lithostege samandooki“ benannt. Die Insekten bekommt der 40-jährige von Hobbyforschern, die wissen wollen, um was für eine Art sich ihr Fund handelt. Oder sie sind Beute seiner eigenen Feldforschungen.

Initiiert hat das Projekt vor 25 Jahren Rajaeis Kollege Axel Hausmann von der Zoologischen Staatssammlung in München. Wichtig sind die Forschungen, weil sich daraus ergibt, welche Arten geschützt und welche nicht geschützt werden müssen. „Der Artenschutz kostet Zeit und viel Geld. Schützen wir vom Aussterben bedrohte Spanner nicht, gehen Habitate verloren. Schützen wir nicht bedrohte Arten, geben wir unnötig Geld aus. Deshalb ist es wichtig, Klarheit zu haben“, sagt Rajaei. Und diese Klarheit bringt die Taxonomie in die Forschung. Das sind wissenschaftliche Verfahren, um Objekte nach einheitlichen Kriterien zu bestimmen.

Auch über die Vergangenheit geben die Nachtfalter den Forschern Auskunft: Bei Braunschweig wurden bei Bohrungen in 320 Metern Tiefe Schuppen von Faltern entdeckt. „Meine Kollegen und ich haben die Schuppen sortiert und Erstaunliches entdeckt“, sagt Rajaei. Der Wow-Effekt für die Forscher: Bislang gingen sie davon aus, dass es erst mit dem Entstehen von Blumen vor rund 195 Millionen Jahren Schmetterlinge gibt. Die Schuppen sind aber 201 Millionen Jahre alt. Rajaei: „Und die Falter hatten einen Rüssel, obwohl es noch keine Blumen gab, aus denen sie hätten Nektar saugen können.“

Die Wissenschaftler haben sich gefragt, wozu der Rüssel nutze war. Schließlich kamen sie darauf, dass er bei der damaligen Dürreperiode zum Wasser saugen diente. Rajaei: „Unsere Studie, dass Schmetterlinge sechs bis sieben Millionen Jahre älter sind als gedacht, war ein Höhepunkt in der Forschung.“

Rajaeis Interesse an Insekten reicht weit in seine Kindheit zurück. „Meine Schwester hatte Angst vor Käfern. Als ihr einer entgegen krabbelte, schrie sie laut, dass ich ihn fangen und töten solle.“ Gefangen hat ihn der siebenjährige Hossein. Aber töten konnte er ihn nicht. „Er war so schön und schillerte in allen Farben“, sagt er. Seither war es um ihn geschehen. Insekten wurden seine Leidenschaft. Zum Entsetzen vor allem seiner Mutter. Sie wünschte sich, dass ihr Sohn Medizin studiert und Arzt wird. Doch der entschied sich für ein Zoologiestudium – und lernte an der Universität in Teheran deutsche Wissenschaftler kennen, die sich mit Spannern beschäftigten. Er arbeitete für sie und fing Feuer für die Motten. Im Jahr 2008 kam er nach Deutschland und promovierte in Bonn über Spanner. Seit 2014 ist Hossein Rajaei am Naturkundemuseum in Stuttgart.