Seit 50 Jahren registriert ein Team von Ornithologen aus aller Welt den Vogelzug und die Insektenwanderung am Randecker Maar. Die jüngsten Erkenntnisse der Fachleute sind alarmierend.

Bssingen-Ochsenwang - Die Forschungsstation am Randecker Maar ist schon abgebaut, doch die Kladde von Wulf Gatter ist noch offen. Und so schafft es der Trupp Erlenzeisige, der durch den markanten Taleinschnitt der Schwäbischen Alb bei Bissingen-Ochsenwang in Richtung Süden zieht, doch noch in die Statistik des Jahres 2019. Dort sind die kleinen Zugvögel, die sich von Skandinavien aus auf dem Weg gemacht haben, in guter Gesellschaft.

 

Von Ende August an hat ein Team von 15 Vogelbeobachtern am Albtrauf rund 600 000 Vögel auf dem Weg in ihre Winterquartiere erfasst. „Ein Höhepunkt war sicher der Anblick von beinahe 300 Kranichen, die über dem Hohenstaufen auf dem Weg nach Frankreich waren. Das ist bis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen“, sagt Gatter, der die Forschungsstation am Randecker Maar vor 50 Jahren ins Leben gerufen hat und seither leitet.

Gigantisches Datenmaterial gesammelt

Für den ehemaligen Forstmann und langjährigen Leiter des Lehrreviers der baden-württembergischen Forstverwaltung im Lenninger Tal geht es nun darum, sein Lebenswerk auszuwerten. „Wir haben das Zugverhalten der Vögel in den vergangenen fünf Jahrzehnten in zwei Kubikmeter Leitz-Ordnern festgehalten. Das ist ein gigantischer Datensatz, der jetzt erfasst und ausgewertet werden muss“, sagt Gatter. Im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten – die Station wird als Verein geführt – versuchen Gatter und seine Mitarbeiter, aus den Zahlen wissenschaftlich haltbare Schlüsse zu ziehen.

Parallel zum Vogelzug haben die Wissenschaftler am Randecker Maar auch den Insektenzug über Jahrzehnte hinweg dokumentiert. Ohne den EDV-Spezialisten vorzugreifen, ahnt Gatter, wie das Ergebnis ausfallen wird – bei den Insekten wie bei den Vögeln. „Es gibt eine klare Tendenz: Die Zahl der Insekten ist in den vergangenen Jahren dramatisch zurückgegangen. Und der Rückgang vieler Vogelarten ist bedenklich“, sagt er.

Die Schmetterlinge sind verschwunden

Musste bis vor wenigen Jahren noch eigens ein Helfer abgeordnet werden, um jede Stunde die volle Insektenreuse zu leeren, verfängt sich jetzt den ganzen Tag über höchstens eine Handvoll Schwebfliegen in dem Netz. Gleiches gilt für die ziehenden Schmetterlinge, die nicht gefangen, wohl aber, weil sie an dem Geländeeinschnitt auf Augenhöhe die Albhochfläche erreichen, registriert werden. Wanderfalter, Grünaderweißling, Tagpfauenauge und Kleiner Fuchs waren früher häufige Gäste an der Zählstation. Jetzt fehlen sie.

„Wir hatten in diesem Jahr als Ausnahme eine Einflugsinvasion von Distelfaltern. Aber die Population hat sich totgelaufen, weil sie bei uns nicht genügend Nahrung und Offenland gefunden hat. Es sind nur ganz wenige wieder zurück in Richtung Süden gezogen“, sagt Gatter.

Unter den Zugvögeln sind es bezeichnenderweise die Insektenfresser, die die Flügel hängen lassen. Die Zahl der ziehenden Gartengrasmücken, Grauschnäpper, Trauerschnäpper und Baumpieper ist erheblich zurückgegangen. „Diesen Vögeln bricht mit den Insekten nicht nur die Nahrungsgrundlage weg, sondern ihnen wird zunehmend auch der Lebensraum entzogen“, sagt der Ornithologe. Vögel, die auf Wiesengebiete und lichte Waldränder angewiesen seien, hätten es in der aufgeräumten Feldflur schwer. Weil sich auch die Waldbewirtschaftung geändert hat und es in den Wäldern kaum noch Kahlschläge gibt, finden die auf Offenland angewiesenen Arten im immer dunkler werdenden Tann weder Unterschlupf noch Nahrung.

Gatter hat eine Vielzahl von Büchern zum Thema veröffentlicht und ist für seine Verdienste um die Vogelkunde mit zwei Ehrendoktortiteln ausgezeichnet worden. Am Randecker Maar hat er bisher 230 Vogelarten bestimmt und registriert.

Die Kraniche, die über den Hohenstaufen gezogen waren, zählen zu den selteneren Arten. „Die sind, von der Ostsee kommend, früher schon auf Höhe von Frankfurt nach Süden abgebogen. Jetzt gibt es Trupps, die sich in Rumänien und Ungarn am Mais satt fressen und dann erst Kurs über die Alb nach Frankreich nehmen“, sagt Gatter.