Kein Publikum, kein Applaus. Die Bühne sollte ihnen gehören. Doch in der Pandemie müssen Künstlerinnen und Künstler die Leere im Saal ertragen. Das Renitenz-Theater bringt sich mit Fotos in Erinnerung – mit einer Fotoserie der Sehnsucht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Auf roten Teppichen hat man die Stars der heimischen Kultur – lang, lang ist’s her – lachend bei Premieren gesehen. Jetzt versinken die Bühnenhelden, vom Virus und seinen Mutanten zum Nichtstun gezwungen, im Rot des Renitenz-Theatersaals und hocken einsam in leeren Reihen. Auf den Fotos sind die Blicke düster, aber auch irgendwie hoffnungsvoll. Diese Blicke sagen: We miss you! Wir vermissen das Publikum!

 

In allen Bereichen des Lebens ist die Nähe, sind Kontakte zur Gefahr geworden. Die Menschen leiden unter der Distanz, unter der Stille des Lockdowns. Was Musicalstar Kevin Tarte neben der Kultur am meisten vermisst, ist die Spontaneität. Der US-Amerikaner, der seit 1988 in Deutschland lebt, würde so gern „einfach den Gefühlen folgen, Freunde treffen, Impulse bekommen beim Bummeln“. Dies alles stimuliere den Geist. Nicht viel ist mehr da von dem, was ein Künstler braucht, um kreativ zu sein.

Das Renitenz-Theater wollte im April den 60. Geburtstag feiern

Kevin Tarte sitzt im Renitenz-Theater auf Platz elf, Reihe drei. Er sitzt im Saal, schaut von unten nach oben. Fotograf Wilhelm Betz steht mit etlichen Fotoschirmen und einer Blitzanlage oben auf der Bühne. Die etwa 30 Aufnahmen, die er macht, werden zeitgleich auf die Leinwand der Bühne projiziert. So können seine Porträtierten gleich sehen, was ihnen gefällt und was er sofort löschen sollte.

Platz elf, Reihe drei. Dies ist quasi der rote Faden der Fotoserie „Renitenz and friends“, die Wilhelm Betz dem Theater schenkt, das in wenigen Wochen seinen 60. Geburtstag feiern wollte. Am 19. April 1961 hat Gerhard Woyda die damals privat finanzierte Renitenz-Bühne an der Königstraße 17 eröffnet – mit dem Programm „Goethe, Girls und Gartenzwerge“. Die Hoffnung von Woydas Nachfolger Sebastian Weingarten, den runden Geburtstag feiern zu können, hat sich nicht erfüllt. Er hat alle Termine im April abgesagt. Es darf sich niemand treffen, weder Goethe irgendwelche Girls und Gartenzwerge, noch Künstlerinnen und Künstler sich gegenseitig.

„Hauptsache ist, wir sind gesund“

Betz, der zum Shooting direkt vom Corona-Schnelltest kommt, hat seine „Models“ zeitlich auseinander bestellt, damit sie sich nicht sehen. Intendant Weingarten strahlt. Endlich ist wieder was los in seinem Theater, in dem seit Anfang November nicht eine einzige Vorstellung möglich war. Die Fotoserie, die in einer virtuellen Ausstellung bei www.Kunstmatrix.com zu sehen ist, mit Musik von Fola Dada und echtem Vernissage-Gemurmel, soll dem Publikum zeigen: Das Renitenz mit seinen Friends ist noch da. Alle freuen sich aufs Wiedersehen!

Auch der Schauspielerin Monika Hirschle wird Platz elf in Reihe drei zugewiesen. Die Theaterproben und die Vorstellungen fehlen ihr sehr, aber auch spontane Kinobesuche, das Schwimmen im Mineralbad Cannstatt, die lustigen Treffen mit ihrem schwäbischen Schnäpperle-Stammtisch. „Hauptsache ist, wir sind gesund“, sagt sie, „alles andere können wir nachholen.“

Es wird ein Wiedersehen geben!

Weingarten und Betz haben Künstlerinnen und Künstler zum Fototermin eingeladen, die im Renitenz gern auftreten. Dabei: der Schauspieler Walter Sittler, die Kabarettisten Tina Häussermann, Fabian Schläper, Klaus Birk, Heinrich del Core, der Magier Topas, der Comedian Özcan Cosar, „Aladdin“-Flaschengeist Maximilian Mann, die Musicalsängerin Fabiana Denicolo, die Zauberfrau Roxanne, der Beatboxer Robeat, Musikkabarettistin Ines Martinez, Comedian Johann Theisen – das Who is who des Renitenz-Programms sitzt vor der Kamera, aber auch Freunde des Hauses wie Clublegende Laura Halding-Hoppenheit und Kulturmanagerin Christina Semrau unterstützen die Aktion.

Was allen fehlt, ist mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Kultur bringt Bewegung in die Gesellschaft, kann irritieren und provozieren, zum Träumen verführen. Kultur ist gelebte Freiheit und kommt umso stärker zurück. Wir freuen uns darauf!