Die Schorndorfer Stadträtin Andrea Sieber (Bündnis 90/Die Grünen) verlässt ihre Fraktion – und geht zur CDU. Auch in anderen Gemeinden der Region gibt es ähnliche Fälle. Wie heikel sind solche Fraktionswechsel?

Schorndorf - Völlig überraschend ist die Schorndorfer Stadträtin Andrea Sieber, Bündnis 90/Die Grünen, aus ihrer Fraktion ausgetreten – bevor der neue Gemeinderat überhaupt zur konstituierenden Sitzung zusammen gekommen ist. Die bisherige Fraktionsvorsitzende hat ihren Mitstreitern die Entscheidung vergangene Woche per E-Mail mitgeteilt.

 

Viel Frust über viel Streit bei den Schorndorfer Grünen

Der letzte Tropfen, der das Fass für sie zum Überlaufen gebracht hat, war offensichtlich die vergangene Fraktionssitzung: „Mir hat der Rückhalt, mir hat die Wertschätzung gefehlt“, sagt Andrea Sieber. So sei die Wahl des Fraktionsvorsitzes verschoben worden, obwohl es nur eine Kandidatin gegeben habe – nämlich sie selbst. „Aber so ist man nicht arbeitsfähig“, sagt Andrea Sieber, bei der sich augenscheinlich viel Frust über den vielen Streit in der Fraktion der Grünen angesammelt hat – ein Streit, der auch in der Abspaltung einer Grünen Liste Schorndorf (GLS) gemündet ist.

Nach einem guten Wahlkampf habe sie die Hoffnung gehabt, dass man nun geschlossen loslegen könne mit grüner Politik für Schorndorf. „Aber ich habe gemerkt, dass es noch regen Kontakt zur GLS gibt, und das ist für mich ein No-Go“, sagt Andrea Sieber, die für sich entschieden hat, dass sie so nicht weitermachen möchte. Drei Möglichkeiten habe es gegeben: Ihr Mandat ganz niederzulegen, als Einzelstadträtin aufzutreten oder sich einer anderen Fraktion anzuschließen.

Sieber: Viele Schnittmengen mit der CDU-Fraktion

Sie hat sich für letzteres entschieden – und bei der CDU-Fraktion angeklopft. „Ich habe gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit gemacht, und es hat sich in den Gesprächen herausgestellt, dass es viele Schnittmengen gibt, etwa bei den Themen Bildung oder Mobilfunk“, sagt Andrea Sieber zu ihrer Wahl. Es sei ein Vertrauen und ein Zuspruch da, den sie sich von ihren Grünen erwünscht habe. „Ich möchte grüne Themen voranbringen, denn ich bin durch und durch Grüne“, sagt Andrea Sieber, die der CDU-Fraktion sehr dankbar dafür ist, dass sie hospitieren darf.

„Wir haben Frau Sieber als kompetente und fähige Fachfrau kennengelernt“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Hermann Beutel, der ebenfalls viele inhaltliche Übereinstimmungen sieht. Seine Fraktion wächst von acht auf neun Stadträte an: „Ich möchte klarstellen, dass wir nur vielleicht im Aufsichtsrats der Stadtbau einen Sitz mehr bekommen. Sonst ändert sich in den Gremien nichts“, sagt Beutel.

Vorwurf: Fraktionswechsel sei Betrug an Wähler

In den sozialen Netzwerken kommt der Fraktionswechsel überhaupt nicht gut an: Betrug an und Täuschung der Wähler werden Andrea Sieber vorgeworfen: „Ich bin massivst enttäuscht und entsetzt. Ich habe Frau Sieber gewählt, weil sie für die Grünen kandidierte und grüne Werte und Ziele vertrat. Als Kandidatin der CDU hätte sie keine Stimme von mir bekommen“, schreibt eine Userin.

Sie habe Verständnis für solche Reaktionen, sagt Andrea Sieber. „Ich wünsche mir, dass man meine Arbeit beobachtet und danach bewertet wird“, sagt die 42-Jährige, die noch nicht weiß, welche berufliche Folgen die Entscheidung hat: Sie ist Mitarbeiterin der Grünen-Landtagsabgeordneten Petra Krebs. „Ich habe mit ihr telefoniert, wir wollen uns mit einigen Tagen Abstand nochmal zusammensetzen.“

Entsetzen in der Schorndorfer Grünen-Fraktion

Ihr (ehemaliger) Fraktionskollegen Andreas Schneider, der Ortsvereinsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, berichtet von Sprachlosigkeit, Entsetzen und großer Verärgerung bei seinen Gemeinderatskollegen: „Wir haben jetzt weniger Einfluss“, sagt er, der die Entscheidung nicht nachvollziehen kann. „Andrea Sieber wäre zur Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, daran gab es keinen Zweifel“, erzählt er. Allerdings hätten einige neue Gemeinderäte noch einmal über die verschiedenen Formen der Fraktionsführung diskutieren wollen.

Fraktionswechsel gibt es immer wieder

Solche Mandatswechsel kommen immer wieder vor. Im Stuttgarter Gemeinderat wechselte der frühere FDP-Fraktionschef Bernd Klingler etwa erst zur AfD und gründete dann seine eigene Liste, das „Bündnis Zukunft Stuttgart 23“. In Ulm hat die Linken-Rätin Doris Schiele sogar doppelt gewechselt: 2015 trat sie zu den Grünen über. Dennoch wurde sie erneut für die Linke aufgestellt – und verließ Ende Mai die Fraktion. Aktuell ist in Sachsenheim der Stimmenkönig Oliver Häcker aus der Freien-Wähler-Fraktion ausgetreten, weil er nicht zum ehrenamtlichen Bürgermeister-Stellvertreter nominiert wurden. Die Freien Wähler sind nach seinem Weggang nicht mehr die stärkste Fraktion, Häcker selbst will als Einzelkämpfer weitermachen.

Kommunalrechtlich ist Fraktionswechsel möglich

Kommunalrechtlich sind Fraktionswechsel möglich. „Die Gemeindeverfassung betont die persönliche Dimension des Mandats“, erklärt Arne Pautsch, Kommunalwissenschaftler an der Hochschule für Verwaltung in Ludwigsburg. Dennoch bleibe ein „politisches Geschmäckle“, gerade wenn man direkt nach Wahl die Fraktion wechsele. Vor allem, wenn man im Wahlkampf aktiv als Kandidat der Partei aufgetreten sei. Dass ein Wechsel aus persönlicher Enttäuschung erfolgt, ist für Pautsch nicht ungewöhnlich: „Die kommunale Selbstverwaltung ist ehrenamtlich geprägt, da spielen auch persönliche Verletzungen eine Rolle.“