Die französische Nationalversammlung hat über die Arbeitsmarktreform von Präsident Hollande entschieden. Zu einer Schlussabstimmung ist es nicht gekommen.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Die französische Nationalversammlung ist am Mittwochabend zusammengetreten, um endgültig über die Arbeitsmarktreform von Präsident François Hollande zu befinden. Mangels Abstimmungsmehrheit war seine Regierung allerdings gezwungen, das Gesetz ohne Schlussabstimmung, das heißt per Dekret in Kraft zu setzen, wie es Verfassungsartikel 49-3 erlaubt.

 

Den damit verbundenen politischen Schaden nimmt die sozialistische Regierung in Kauf. Die Debatte hatte die Linke tief in Befürworter der sozialliberalen Reform und vehemente Gegner gespalten. Das gilt auch für die Gewerkschaften: Die gemäßigte CFDT trat für das Gesetz ein, da es auch neue Sozialrechte wie etwa ein lebenslanges „Ausbildungkonto“ schafft; die ehemals kommunistische CGT lief jedoch „gegen den Rückfall ins 19. Jahrhundert“ Sturm und organisierte seit März ein Dutzend Protesttage, an denen Hunderttausende teilnahmen. In letzter Zeit hatte die Zahl der Demonstranten abgenommen. CGT und ihre Partnerin Force Ouvrière wollen ihre Proteste im September mit einem weiteren Protesttag fortsetzen und eventuell auch den Verfassungsrat anrufen. Mit ihrer monatelangen Forderung nach Rückzug des Gesetzes drangen sie aber nicht durch.

Die Wirkungskraft der Reform

Bleibt die Kernfrage nach der Wirkungskraft der Reform. Sie hat seit ihrer Präsentation im Februar Federn gelassen. Zum Beispiel konnte Hollande das vergleichsweise rigide Kündigungsrecht nur zum Teil lockern. Er präzisierte ursprünglich die „wirtschaftlichen“ Entlassungsgründe, sodass ein Unternehmen betriebsbedingt Personal entlassen kann, wenn es eine bestimmte Zeit lang rote Zahlen geschrieben hat. Wie lange, hängt von der Firmengröße ab: Kleinfirmen können schon nach einem Quartal Angestellte entlassen, Großfirmen mit mindestens 300 Angestellten erst ab vier Quartalen.

Doch dann musste Hollande die Bestimmung abschwächen: Die – von den Arbeitgeberverbänden gefürchteten - Arbeitsrichter können namentlich eingreifen, wenn sie das Gefühl haben, dass die Geschäftszahlen ausländischer Konzerne in ihren französischen Niederlassungen frisiert wurden, um dort Entlassungen vornehmen zu können.

Anfangs wollte Hollande auch eine finanzielle Obergrenze für Abfindungen festsetzen. Davon ist Arbeitsministerin Myriam El Khomri zum großen Leidwesen des Unternehmerverbands Medef wieder abgekommen: Das Gesetz erhält nur noch unverbindliche Richtwerte für Abfindungshöhen. Zurückgezogen hat El Khomri auch die Möglichkeiten von Firmen, für Lehrlinge längere Arbeitszeiten einzuführen.

Am zentralen Artikel 2 des neuen Gesetzes hielt die Regierung jedoch bis zum Schluss fest. Er erlaubt es Firmen, sich mit sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen über Branchenabkommen hinwegzusetzen. Zum Beispiel kann vereinbart werden, dass die Mitarbeiter während zwölf Wochen 46 Stunden pro Woche arbeiten – also elf Stunden mehr, als es die gesetzliche Arbeitszeit vorsieht. Die Überstunden können zudem nach dem tiefsten Satz von 10 Prozent entlöhnt werden.

Betriebsabstimmungen werden möglich

Möglich werden auch Betriebsabstimmungen zu dieser Frage. Die CGT sieht darin ein Mittel, ihren Einfluss zu schmälern. Nach neuem Recht genügt es, wenn Gewerkschaften, die 30 Prozent der Betriebsstimmen vertreten, ein solches „référendum“ verlangen; bisher waren dazu 50 Prozent der Gewerkschaftsstimmen nötig. Das schwächt nach Ansicht von Fachleuten in erster Linie die CGT.

Auch in dieser zentralen Frage der 35-Stundenwoche hat die Regierung eine Konzession gemacht: Die Branchen können die Betriebsvereinbarungen jährlich prüfen „Empfehlungen“ abgeben. Aber die sind nicht verbindlich. Die französischen Arbeitsmarktexperten linker oder liberaler Prägung sind sich deshalb einig: Die Arbeitsreform läuft in Wahrheit auf eine Reform der 35-Stundenwoche hinaus, lässt sie doch großflächig Ausnahmen von der gesetzlichen Arbeitszeit zu.

Die im Jahr 2000 eingeführten „35 heures“ waren das letzte der großen Sozial- und Arbeitsgesetze Frankreichs. Dass sie jetzt zum Teil ausgehebelt werden, hat vor allem politisch-symbolische Bedeutung. Im Wirtschaftsalltag dürften die Auswirkungen letztlich gering sein. Das zeigt auch das so genannte Macron-Gesetz von 2015, das die Sonntagsarbeit zuließ: Wegen des Widerstandes von Gewerkschaften, Belegschaften und Arbeitsgerichten ist es bis heute kaum in die Tat umgesetzt worden.