Unsere sportliche Leserin Verena Gröschel radelte gleich zwei Mal auf den Mount Ventoux.

Wer kennt ihn nicht – den Mont Ventoux in der Provence in Frankreich? Bei Touristen allseits bekannt, ist er doch mit 1912 Metern der höchste Berg in Südfrankreich mit einem atemberaubenden Panorama und ein Anziehungspunkt für alle ambitionierten Radfahrer. Mehrmals führte die Tour de France in den vergangenen Jahren zum Gipfel. Auch ich wollte es wissen! Trainiert hatte ich hart, mit hechelnder Zunge im Odenwald, Kraichgau, Königstuhl – bergauf, bergab. Die Familie wurde vernachlässigt.

 

Bei der Anfahrt zu unserem Ferienhaus in der Nähe von Vaison-la-Romaine zeigte sich der Mont Ventoux zum ersten Mal. Kahl der Gipfel mit seiner großen, weißen Schotterkuppe und dem hellen Turm, davor eine langgezogene, dicht bewaldete Kuppe, die einem Katzenbuckel gleicht. Man könnte auch sagen, der Berg zeigt mir seine kalte Schulter!

Ein paar Tage später ließ ich mich von der Familie nach Sault kutschieren und startete die längste, aber am wenigsten steilste von den drei Auffahrten. 26 Kilometer lagen vor mir. Ein Stück weit ging es noch durch Lavendelfelder. Welch betörender Geruch! Dann viele Kilometer durch den Wald. Wieder ein anderer Duft: Pinien-, Laub- und Nadelbäume, ein paar Wiesen – Alpenvegetation. Kurve um Kurve zog es mich hoch. Rechtzeitig trinken und vor allem immer wieder essen: Müsliriegel und Bananen. Den Müll nimmt man mit – achten doch die Franzosen sehr darauf, dass der Nationalpark Ventoux sauber gehalten wird. Kein Radkollege weit und breit – sind alle schon oben? Bei Kilometer 13 ein r Aussichtspunkt: endlich Halbzeit! Nach 20 Kilometern in einer Kurve ein großes Haus – das Chalet Reynard. Ein Etappenziel der beiden Auffahrten von Bedoin und Sault aus. Ich habe keinen Hunger, esse aber aus Vernunft zwei Riegel und trinke eifrig. Hier sammeln sich die Radkollegen, die von Bedoin, der steilsten und mit 15 Kilometern kürzesten Auffahrt, kommen. Die meisten machen Pause. Sämtliche Nationen sind hier unter den Radfahrern vertreten: Belgier, Holländer, Franzosen, Engländer, Deutsche.

Wieder rauf aufs Rad. Die letzten sechs Kilometer liegen vor mir. Aber die haben’s in sich: Ungeschützt liegt der Schottergipfel vor mir. Kein Baum, kein Strauch mehr. Jetzt gilt es, gleichmäßiges Tempo zu halten. Der Radler vor mir steigt ab und schiebt, im Zeitlupentempo fahre ich an ihm vorbei. Für ein Bonjour reicht der Atem nicht. Kurve um Kurve geht es höher hinauf, den Gipfel fest im Blick.

Dann ist er da: nur noch einen Kilometer, schon stehen am Rand Fotografen, machen Fotos und stecken einem das Kärtchen mit der Internetadresse zu – nicht ohne ein Wort des Lobes natürlich. Nach einer letzten Steilkurve bin ich oben, zwei Stunden – weniger als ich dachte. Die Aussicht ist von Wolken verhüllt. Kraft habe ich noch. Die Abfahrt nach Malaucène geht schnell.
Schon wenige Tage nach einer kurzen Erholungsphase am Pool ist das Radfieber aber wieder da. Die Strecke von Malaucène auf den Gipfel reizt mich, denn sie ist mit bis zu zwölf Prozent Steigung eine noch größere Herausforderung. Ein glasklarer blauer Morgenhimmel erleichtert die Entscheidung: Los geht’s!

Der Anstieg von Malaucène ist schon zu Beginn recht steil. Die Straße ist fast bis oben relativ breit, so dass hier die Motorradfahrer hochrasen – zum Unmut der Radfahrer. Die Kilometersteine mahnen zum Trinken. Zum Glück steht auf jedem Stein die Steigung, aber sie liegt schon am Anfang bei acht bis neun Prozent, um rasch darauf bis auf zwölf Prozent hochzugehen. Kurze Erholung bei sechs Prozent. Die Gedanken kreisen permanent ums Trinken – der nächste Kilometerstein kommt bestimmt! Außer einer Banane und einem halben Müsliriegel habe ich nichts gegessen. Aber der Magen ist wie zugeschnürt! Ein Deutscher zieht langsam an mir vorbei. Ein kurzer Wortwechsel entspinnt sich zwischen uns: „Warum quälen wir uns so? Wir hätten es doch auch am Pool so schön! Wir sind doch im Urlaub! Alles freiwillig.“

Bei Kilometer 13 kann ich tatsächlich kaum noch. Ich steige ab, schiebe circa einen Kilometer. Ich habe schon genug andere schieben sehen! Dann denke ich, dass die Skistation Mont Serein nicht mehr weit sein kann, und fahre weiter. Da kommt die Rettung: meine Familie, mit Wasser und Kirschen. Wo ich denn bliebe? Ich schaue grimmig, steige aber nicht ab.
Nach einer verdienten Pause habe ich noch sechs Kilometer bis zum Gipfel. Ich finde einen Rhythmus. Der Gipfel rückt Kurve um Kurve näher. Und dann sehe ich oben meine Kinder sitzen, die mir zuwinken und zurufen. Endorphine pur: Ich habe es geschafft! Und noch vor der Gruppe mit Begleitfahrzeug! Wieder ein Erinnerungsfoto. Aber jetzt ist erst einmal Urlaub!

Die Leserreise

Die Leserin
Uta-Verena Gröschel, Jahrgang 1963, ist Ärztin für Allgemeinmedizin und lebt in Eppelheim. Ihre Hobbys sind Rennradfahren, Triathlon und Reisen.

Die Reise
Ferienhäuser in Frankreich über Gîte de France, www.gites-de-france.com. Ideale Reisezeit ist Mai/ Juni, angenehmes Klima, noch nicht so überlaufen.

Was man tun und lassen sollte
Auf jeden Fall sollte man Vaison-la-Romaine besuchen, die römischen Ausgrabungen dort sind sehenswert. Orange ist nahe und mit seinem berühmten Amphitheater eine touristische Attraktion. Auch die typischen provenzalischen Märkte sind ein absolutes Muss. Auf keinen Fall sollte man in der Mittagshitze die Berge hochradeln, sondern entweder morgens oder gegen Abend. Ungünstig ist es auch, zu wenig Wasser oder zu wenige Müsliriegel mitzunehmen, die Geschäfte sind in Frankreich fast alle mittags für drei Stunden geschlossen.

Infos für Radler
Um den Mont Ventoux gibt es in fast jedem Ort Radgeschäfte, in denen man Ersatzteile bekommt oder sein Rad reparieren lassen kann. Michelinkarten reichen oft schon aus, die weißen Nebenstraßen sind sehr ruhig und gut befahrbar. Für Rennradenthusiasten gibt es im Delius Klasing Verlag den Tourenführer von Beate Kache und Stefan Küsters: Rennradfahren in der Provence, 17 Touren inklusive Mont Ventoux, 16,90 Euro.