Emmanuel Macron ist neuer Präsident Frankreichs – zum Glück. Doch er steht vor gewaltigen Herausforderungen, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Frankreich hat sich für den Aufbruch entschieden – für wirtschaftliche und soziale Reformen, für die Einbindung in die Europäische Union, den Euro und vor allem für Optimismus und Selbstbewusstsein. Das ist die eine, die positive Lesart der Wahl Emmanuel Macrons zum neuen Präsidenten Frankreichs. Ein Seufzer der Erleichterung geht nach diesem Sieg in einer veritablen Schicksalswahl durch Europa. Nicht auszudenken, was ein anderes Ergebnis für Frankreich und den Kontinent bedeutet hätte. Die Tradition der republikanischen Front, gegen die Rechtsextremen zusammenzustehen, bröckelt, aber sie hält.

 

Die andere, nicht so positive Lesart geht so: Gut ein Drittel der französischen Wähler verachtet die bisherigen republikanischen Werte und ihre Repräsentanten so sehr, dass sie eine rechtsextreme Angstmacherin wählen, die Fremdenfeindlichkeit und einen autoritären, abgeschotteten Nationalstaat propagiert. Mehr noch: Vielen Wählern waren beide Kandidaten derart fremd, dass sie nicht zur Wahl gegangen sind oder ein leeres Papier abgegeben haben – als Ausdruck des Protestes gegen Hass (Le Pen) und vermeintlichen Turbokapitalismus (Macron). Und es waren vor allem die Jungen, die sich weder von der Rechtsnationalistin noch vom Reformer angesprochen fühlten.

Nicht nur ein, sondern mehrere Frankreichs

Der neue Präsident herrscht also nicht nur über ein, sondern über mehrere Frankreichs, die völlig entgegengesetzte Vorstellungen von der Zukunft haben und sich nur in einem einig sind: So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Und er tut dies mit ungewisser Aussicht auf eine parlamentarische Unterstützung seiner Politik. Im Moment ist seine Bewegung En Marche! (Vorwärts!) in der Nationalversammlung noch gar nicht vertreten. Ob beziehungsweise wie Macron seine angekündigte Politik umsetzen kann, wird sich erst nach den Parlamentswahlen im Juni zeigen.

Mit einem so großen Druck, einer so hohen Erwartungshaltung und unter so schwierigen Voraussetzungen ist wohl noch kein Präsident in den Élysée-Palast gewählt worden. Doch umgekehrt gibt ihm gerade diese Konstellation die Legitimation und vielleicht auch die Möglichkeit, jene Veränderungen umzusetzen, an denen seine Vorgänger gescheitert sind. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, wusste schon Hölderlin. Zum einen: Der Leidensdruck in Frankreich ist enorm, und Macron hat den Franzosen vor der Wahl reinen Wein eingeschenkt. Daraus kann er nun ein eindeutiges Mandat für Reformen ableiten: Auf seiner Agenda stehen unter anderem eine Arbeitsmarktreform, Einsparungen im öffentlichen Dienst und Veränderungen bei der Rente.

Macron hat fünf Jahre Zeit zu liefern

Da sich auch die politischen Koordinaten links des Rheins mit dieser Wahl verschoben haben – die Sozialisten stehen vor der Selbstauflösung, die Republikaner vor einer Frischzellenkur –, stehen die Chancen für eine politische Umsetzung seiner Reformagenda eventuell gar nicht schlecht.

Macron hat nun fünf Jahre Zeit zu liefern. Für seine Politik, sein Land aus seiner Lethargie zu befreien und Wachstumskräfte freizusetzen, die Arbeitslosigkeit zu senken und Jugendlichen bessere Perspektiven zu bieten, kurz: Frankreich positiver in die Zukunft schauen zu lassen, wird er alle Unterstützung brauchen. Auch und gerade die aus Deutschland, das ein vitales Interesse an einem starken Frankreich hat. In dem Maße, in dem Macron sein Land glaubwürdig reformiert, fällt es auch Berlin leichter, Zugeständnisse zu machen.

Ist Macron erfolgreich, kann dieser 7. Mai 2017 der Tag gewesen sein, an dem sich nicht nur Frankreich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat, sondern auch einen neuen, starken Impuls für die Integration Europas gegeben hat. Scheitert er, steht die Alternative schon vor der Tür. Sie heißt Marine Le Pen.