Alain Delon ist einer der großen Stars des europäischen Kinos. Privat hat er schon manchen Skandal hinter sich. Doch als Künstler sind seine Erfolge unbestreitbar. Am Sonntag feiert er seinen 80. Geburtstag.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Muss ein Schauspieler im Privaten ein guter Mensch sein? Böse Zungen würden jetzt behaupten, das sei unmöglich. Gute Menschen könnten keine guten Schauspieler sein, zum überzeugenden Spiel gehöre nun mal die charakterliche Anlage zum Täuschen und Blenden, zudem die permanente Unzufriedenheit mit sich selbst aus Angst vor dem künstlerischen Scheitern, also die Hysterie. Alles keine Eigenschaften, die den alltäglichen Umgang angenehm gestalten.

 

Alain Delon bot schon häufig Stoff für die Annahme, im Privaten ein reichlich schwieriger Charakter zu sein. Dramatisch gescheiterte Beziehungen (etwa zu Romy Schneider), Alkohol, Verbrechen im familiären Umfeld, in Folge davon Gerüchte über Kontakte zur Verbrecherwelt, schließlich traurige Bilder eines zusehends angeschlagenen alternden Mannes füttern den Betrieb des Boulevards seit Jahr und Tag. Und auch seine politischen Ansichten sind unappetitlich. Mit dem Rechtsaußen und Antisemiten Jean-Marie Le Pen ist er befreundet, auch dessen Tochter Marine findet er große Klasse, Schwule dagegen „widernatürlich“ und Muslime grundsätzlich eine Gefahr. Am liebsten würde man den achtzigsten Geburtstag einer solchen Figur – Delon feiert ihn am kommenden Sonntag – am liebsten verschweigen.

Aber die private Malaise ändert natürlich gar nichts daran, dass Alain Delon ein wunderbarer Schauspieler ist, einer der großen Stars des europäischen Kinos, gemeinsam mit Jean-Paul Belmondo die Championsleague des französischen Films in den sechziger, siebziger, achtziger Jahre. So wie Belmondo: ein Bild von einem Mann. So wie Belmondo: ein großartiger Charakterdarsteller, der beinahe jede noch so unglückliche Produktion doch noch interessant machen konnte. Und so, wie Belmondo 1960 in Jean-Luc Godards „Außer Atem“ Kino-Ikonen für die Ewigkeit geschaffen hat, so Delon 1967 als Jef Costello. Er war, ist und bleibt „Der eiskalte Engel“.

Eines seiner Meisterwerke ist „Monsieur Klein“

Seine jüngeren persönlichen Avancen zum Rechtspopulismus sind allerdings auch deswegen so schräg, weil er 1976 gemeinsam mit dem amerikanischen Regisseur Joseph Losey dem Kino einen Film bescherte, der zu den dichtesten und beängstigendsten Studien über die schrecklichen Folgen der Ausgrenzung, der Minderheitenhatz und des Spießbürgertums, kurz: des sogenannten „gesunden Volksempfindens“ zählt: „Monsieur Klein“. Er verkörpert darin einen Kunsthändler im besetzten Paris des Kriegsjahres 1942, der völlig skrupellos die Not reicher Juden ausnutzt, die mühsam ihre Besitztümer verscherbeln müssen, um etwas Geld für die Flucht zu bekommen. Und so, wie Jef Costello einst völlig ruhig und emotionslos seine Killeraufträge erfüllte, so treibt Delon hier seine ihm hoffnungslos ausgelieferten Kunden in die Verzweiflung, um sich selbst ein luxuriöses Leben nebst schöner Geliebter finanzieren zu können.

Der Untergang des Monsieur Klein beginnt mit einer jüdischen Zeitung, die ihm der Postbote durch den Briefschlitz wirft. Das muss ein Irrtum sein! „Aber nein, mein Herr, sehen Sie doch, die Adresse stimmt“. Tatsächlich, Monsieur Klein findet sich in der Abonnentenkartei des Verlags. Wer hat ihn nur dort hineingesetzt? Bitte löschen Sie das. „Das würde ich gern, mein Herr, aber unsere Kartei ist gerade von der Polizei beschlagnahmt worden, wir wissen auch nicht, wie lang.“ Monsieur Klein eilt zur Präfektur. Bitte, hier liegt ein Versehen vor. „Na, mein Herr, da wären Sie nicht der erste, der hier vorspricht und behauptet, sein Abonnement der jüdischen Wochenzeitung sei eigentlich nur ein Versehen. Sie warten gefälligst auf Bescheid.“

Eigentlich ist diese Geschichte eine Groteske: Es muss doch diesem erfolgreichen, energischen, alerten Mann möglich sein, einen derart durchschaubaren Irrtum zu berichtigen! Doch eine Kette scheinbarer Zufälle führt dazu, dass sich Monsieur Klein immer tiefer in die Zuschreibung als Jude verstrickt. Und diese Ereigniskette verschränkt Joseph Losey mit Bildern, wie die französischen Behörden im Auftrag der deutschen Besatzung und mit großer bürokratischer Akuratesse den Abtransport der Pariser Juden in die Lager irgendwo weit im Osten vorbereiten. Am Anfang des Films verlaufen diese beiden Stränge scheinbar unverbunden, parallel. Zum Schluss sehen wir Monsieur Klein im Eisenbahnwaggon. Da ist es längst die große Tragödie. Aus dem eiskalten ist ein resignierter Engel geworden.

Alles wird ganz ruhig und sachlich erzählt – schrecklich

Die Meisterschaft des Films und seines Hauptdarsteller besteht aber gerade darin, dass wir als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt längst dessen persönliche Tragödie mit der Tragödie seiner Leidensgenossen verknüpft haben. Zuvor hat er ja zwei Stunden ruhig, konzentriert, strukturiert versucht, dem Grund seiner Probleme auf die Spur zu kommen. Sind es wirklich nur Zufälle? Will sich ein Jude an ihm rächen? Kämpft womöglich gar ein Widerstandskämpfer mit seiner gestohlenen Identität im Untergrund, will er von sich ablenken? Ständig legt der Film Fährten aus, ständig laufen alle Aktivitäten, sie zu verfolgen und zum Ziel zu kommen, doch nur ins Leere.

Doch aufgesetzte Dramatik ist dem Werk völlig fremd. Die Beklemmung des Zuschauers ergibt sich ganz aus dem ruhigen, nüchternen, scheinbar emotionslosen Erzählen der Ereignisse. Kleins Versuche, einen „Ariernachweis“ zu bekommen, scheitern an einer dokumentenlos verstorbenen Großmutter. Seine Stimmung kippt. Irgendwann wehrt er sich nicht mehr. Irgendwann nimmt er das an, was ja auch in Millionen anderer Fälle in diesen Jahren nur eine Zuschreibung war: Jude. Eine groteske Rassen-Zuschreibung, die zur sechs-Millionen-fachen Katastrophe wird. Der Abtransport startet, als Kleins Anwalt herbeigeeilt kommt. Das rettende Dokument ist in letzter Sekunde eingetroffen. Man könnte den Zug noch stoppen, Monsieur Klein müsste nur auf sich aufmerksam machen. Er tut es nicht.

Nein, wir müssen kein Freund der politischen Ansicht Alain Delons sein. Aber seine Darstellerkunst ist phänomenal. In der künstlerischen Arbeit mit Joseph Losey ist ihm etwas gelungen, was völlig zeitlos einfach Kunst ist. Deswegen ist sie natürlich niemals unangefochten. Nichts ist sicher für ewig, keine wichtige Erkenntnis ungefährdet. Was helfen kann, ist womöglich ein Wiedersehen – zum Beispiel mit „Monsieur Klein“. Ein nötiger Alptraum.