Bei den Kommunalwahlen in Frankreich haben überraschend viele Frauen in wichtigen Städten gesiegt. Ein Zeichen der Emanzipation ist das allerdings nicht.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Frankreich staunt über die „grüne Welle“. Bei den Kommunalwahlen hat die Partei Europe Écologie - Les Verts (EELV) spektakuläre Erfolge erzielt. Eine andere Überraschung bleibt weitgehend unbeachtet. Fünf der zehn größten Städte in Frankreich werden in Zukunft von Frauen regiert. Vorzeigepolitikerin ist seit Jahren natürlich Anne Hidalgo, die äußerst beliebte Bürgermeisterin von Paris. Aber auch an der Spitze von Marseille, der zweitgrößte Stadt des Landes, steht mit Michèle Rubirola nun eine Frau. Ebenso in Nantes (Johanna Rolland), Lille (Martine Aubry) und Straßburg (Jeanne Barseghian).

 

Männer fungieren als Bremser der Emanzipation

Offensichtlich wird, dass Frauen inzwischen auch in der Politik Karriere machen können, obwohl es manche Männer versuchen, zu verhindern – was diese natürlich nie zugeben würden. In Diskussionen über die Chancengleichheit in der Politik wird eifrig auf ein bereits zwanzig Jahre altes Gesetz verwiesen. Danach sind Parteien verpflichtet, vor Wahlen genauso viele Frauen wie Männer als Kandidaten zu präsentieren. Geschieht das nicht, erstattet ihnen der Staat im Gegenzug deutlich weniger Wahlkampfkosten. Soweit zur Theorie, doch in der Praxis verzichten die meisten Parteien lieber auf das Geld, als auf einen Listenplatz für einen Mann.

Hoffnung versprach zuletzt das Auftauchen der von Emmanuel Macron gegründeten Bewegung „La République en Marche“. Im Frühjahr 2017 wurden bei der Aufstellung der Kandidaten Frauen und Männer gleichermaßen berücksichtigt. Die direkte Folge: der Frauenanteil in der Nationalversammlung stieg nach der Wahl im Juni 2017 und dem großen Erfolg der Präsidenten-Partei von 155 auf 224 (38,5 Prozent).

Macron enttäuscht die Hoffnungen

Als es bei „La République en Marche“ aber um das Verteilen der wichtigen Posten ging, gingen die Frauen leer aus. Im Präsidentenpalast umgibt sich Macron mit einer Handvoll enger männlicher Berater. Wichtige Ministerämter wie Inneres, Äußeres, Wirtschaft und Finanzen wurden mit Männern besetzt. Auch bei der aktuellen Umbildung der Regierung gingen die zentralen Posten nicht an Frauen. Das Kabinett sei sogar eine „gewaltige Ohrfeige“ für all jene, die gegen sexuelle Gewalt kämpften, findet Frankreichs ehemalige Gleichstellungsministerin Laurence Rossignol. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein. Das Portal Politico fragt gar: Hat Macron ein Frauen-Problem? Im Fokus der Kritikerinnen stehen zwei Männer: Innenminister Gérald Darmanin und Justizminister Éric Dupond-Moretti. Gegen ersteren wird wegen Vergewaltigungsvorwürfen ermittelt, letzterer ist in der Vergangenheit nicht unbedingt als Feminist aufgefallen. Im Gegenteil - er gilt in Frankreich als Vertreter der Anti-#MeToo-Fraktion.

Unflätige Abgeordnete im Parlament

Aber auch in der Nationalversammlung finden sich genügend schwarze Schafe. Wie die Grundstimmung in Sachen Emanzipation bei manchen Abgeordneten ist, zeigen oft scheinbar nebensächlichen Begebenheiten. Da wird die Kleiderwahl einer Frau herablassend kommentiert oder während des Redebeitrages einer Parlamentarierin imitiert ein Kollege im Hintergrund das Meckern einer Ziege. Die erfolgreiche Geschäftsfrau und Abgeordnete Yaël Braun-Pivet musste sich nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden des Rechtsausschusses die Frage gefallen lassen, ob sie angesichts ihrer fünf Kinder der Aufgabe überhaupt gewachsen sei.

Dabei ist die Politik kein Feld, in dem sich besonders konservative Charaktere tummeln. Innerhalb der vergangenen 40 Jahre haben sich die Französinnen ihr Recht erstritten, über ihren Körper, ihr Bankkonto, ihr Eheleben und ihre Berufswahl selber zu bestimmen. Die entscheidenden Gesetze über die berufliche Gleichstellung stammen aus dem Jahre 1982. Auf dem Papier ist die Emanzipation also geglückt, doch scheint sie in den Köpfen zu vieler Menschen noch nicht angekommen. Zwar würde in Frankreich heutzutage niemand auf die Idee kommen, eine Mutter anzuprangern, die Karriere machen möchte und deshalb ihre Kinder in die Krippe gibt.

Frauen kümmern sich um die Kinder

Doch auch hier spricht die Realität eine andere Sprache. Rund 80 Prozent der Französinnen zwischen 25 und 49 arbeiten, egal ob mit oder ohne Kind. Nach dem zweiten Kind sind es nur noch 60 Prozent und der Wert sackt auf 35 Prozent nach dem dritten Kind. Alle Untersuchungen zeigen, dass Frauen objektiv mehr Zeit als Männer für Hausarbeit und Betreuung der Kleinen aufwenden. Zudem verdienen Frauen im Schnitt fast 20 Prozent weniger als Männer. Und wenn sie arbeiten, müssen sie oft Teilzeittätigkeiten annehmen. Und schließlich gelangen wesentlich weniger Frauen in Führungspositionen – und das obwohl Frauen häufiger Abitur machen und dann auch noch die besseren Noten haben.

„Ich glaube, wir leben in einer sehr sexistischen Gesellschaft“, erklärte Marlène Schiappa. Die ehemalige Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter galt einst als große Favoritin auf den Parteivorsitz von „La République en Marche“, musste am Ende aber doch einem Mann den Vortritt lassen. Nun ist sie in der neuen Regierung beigeordnete Ministerin von Innenminister Darmanin. Die Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber ihrem neuen Chef kontert die erklärte Feministin mit der Bemerkung, dass Darmanin nicht verurteilt sei. Eine flammende Verteidigungsrede ist das nicht.