Immer mehr Frauen schließen ein Studium in Humanmedizin ab. Im Beruf aber sind sie immer noch unterrepräsentiert. Das liegt auch an der oft schlechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Stuttgart - Ein Beruf wird immer weiblicher, dennoch sind dort Karrierechancen für Frauen kaum gegeben. Wer sich durchsetzen will, braucht mehr als in anderen Professionen eine stabile Kondition, ein maximales Maß an Flexibilität und ausgeprägte Nehmerqualitäten – die Rede ist vom Arztberuf.

 

71 Prozent derer, die 2010 ein Studium der Humanmedizin erfolgreich abgeschlossen haben, waren Frauen. Im gleichen Jahr waren 55,7 Prozent aller Mediziner, die eine Facharztanerkennung erhalten haben, weiblich. Aber nur ein gutes Drittel der berufstätigen Fachärzte waren Frauen. Das geht aus einer Aufstellung hervor, die die Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) jüngst vorgelegt hat. Was machen die jungen Ärztinnen, warum kehren sie der kurativen Tätigkeit den Rücken? Kann es sich eine Gesellschaft, die immer häufiger von Ärztemangel spricht, noch leisten, auf deren Kompetenzen zu verzichten?

Die Diagnose ist einfach: „Es liegt an den Arbeitsbedingungen,“ sagt Ingrid Rothe-Kirchberger. Die – unter anderem – Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist Vorstandsmitglied der Landesärztekammer und leitet den Ausschuss „Arztberuf und Familie“.

Immer mehr junge Mediziner wandern ins Ausland ab

Sie hat oft genug beobachtet wie junge Medizinerinnen und Mediziner emigrieren; entweder ins Ausland, bevorzugt in die Schweiz, nach Norwegen, Schweden oder in die USA; oder auf ein anderes Tätigkeitsfeld, ins Gesundheitsamt oder zur Managementberatung für Krankenhausbetreiber. Dort finden sie Arbeitsbedingungen vor, die sie besser mit ihren Lebensplänen vereinbaren können.

Zuletzt haben Gesetzgeber, Standesorganisationen, Kommunen und Arbeitgeber einiges in Bewegung gesetzt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. „Die Rahmenbedingungen haben sich verbessert, es ist aber noch nicht ausreichend,“ sagt Martina Hoeft. Die Neurologin arbeitet mit Rothe-Kirchberger in einer Arbeitsgruppe, die von der Ärztekammer beauftragt worden ist, den Fragen nachzugehen und Lösungsvorschläge zur Abhilfe zu machen.

Die Medizinerinnen haben auf ihrer eigenen Laufbahn die Schwierigkeiten hinter sich lassen müssen, die sich einer Frau im Arztberuf in den Weg stellen: Eine einfache Regelkinderbetreuung etwa reicht nicht, denn für Unplanbares muss kurzfristig eine zusätzliche Betreuungskraft organisiert werden. Vom Verdienst bleibe da zu wenig übrig. Den Ruf einer Rabenmutter hat man noch obendrein.

Schwarzwald-Baar-Klinikum bietet flexible Arbeitszeiten

„Früher konnten Frauen nur ganz oder gar nicht in den Beruf zurückkehren,“ sagt Martina Hoeft. „Das ändert sich.“ Der wachsende Bedarf an ärztlichem Personal habe die Krankenhäuser unter Druck gesetzt, unterstützende Maßnahmen bei der Kinderbetreuung und Teilzeitmodelle anzubieten. Das ist keine simple Aufgabe, denn Patienten sollen nicht unter zu vielen Wechseln leiden.

Die Weiterbildungsinhalte für die werdenden Fachärzte müssen in kürzerer Zeit transportiert werden. Und wenn die kaufmännischen Leitungen den Zwang zur Flexibilisierung verinnerlicht haben, müssten die Chef- und Oberärzte überzeugt werden – zumeist Männer.

Als Paradebeispiel für aufgeschlossene Arbeitsorganisation nennen die beiden Ärztinnen das Schwarzwald-Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen. „Die haben alle möglichen Modelle,“ weiß Ingrid Rothe-Kirchberger; vom „FixFlex-“ über den „Stand-by-“ zum „Jokerdienst“. Eine Betriebskindertagesstätte gibt es auch. Deren Öffnungszeiten sind angepasst, von 5.45 bis 20.15 Uhr werden Kinder betreut. Auch in Teilzeit bleibt es anspruchsvoll und anstrengend, Familie und Beruf zusammen zu bringen.

Begehrte Stellen an Unikliniken gehen oft an Männer

Aber immerhin: „Mehr Teilzeitstellen bedeutet, dass Ärztinnen ohne Unterbrechung im Beruf bleiben können,“ sagt Martina Hoeft. „Das heißt aber nicht, dass sie Karriere machen.“ Teilzeit ist der Karrierekiller, so gilt es bisher. „Die Ausbildung dauert länger, und die Rückkehr zur Vollzeit ist schwierig,“ so Hoeft. Im Jahr 2012 waren tatsächlich mehr als 60 Prozent aller berufstätigen Ärzte ohne eine Facharztanerkennung Frauen.

In dieser Phase, so zeigt eine Studie über die Karrierechancen von Ärztinnen, bekommen junge Medizinerinnen bevorzugt ihre Kinder. Sie beginnen ihre Weiterbildung also später. Diese findet überwiegend in Krankenhäusern statt. Begehrte Stellen an Unikliniken gehen, so die Studie, oft an Männer. Frauen nehmen ihre erste Stelle oft an kleinstädtischen oder ländlichen Kliniken an. Das könnte nachteilig für sie bei späteren Bewerbungen sein. Meist haben sie einen Partner, der voll berufstätig ist, sodass die Familienarbeit an der Frau hängen bleibt – zusätzlich zum Job als Ärztin.

Zudem sind Frauen schon wenn man sie als Studierende befragt, defensiver – auch das zeigt die KarMed-Studie. Nur zwei Prozent der Frauen sehen sich irgendwann als Chefärztin. Von den Männern streben immerhin zwölf Prozent den Chefarztposten an. Die meisten Frauen haben als Karreiereziel die Fachärztin im Krankenhaus.

Viele Ärztinnen fürchten den Weg in die Selbständigkeit

Von der eigenen Arztpraxis ganz zu schweigen. „Die Arbeit in freier Praxis ist für viele unsicher,“ sagt Martina Hoeft. Man will Arzt sein und nicht Unternehmer. Der Gesetzgeber hat in letzter Zeit einiges getan, um junge Mediziner und Medizinerinnen auch für niedergelassene Praxen zu interessieren. Man kann sich in einer Praxis anstellen lassen und Jobsharing machen, die Residenzpflicht wurde abgeschafft und anderes mehr. Auch die Kommunen haben erkannt, dass sie einiges tun müssen, um einen Arzt anzulocken.

Ein weiterer Aspekt ist die mangelnde Vertretung der Ärztinnen etwa in der Ärztekammer. Wie sollen dort wegweisende Entscheidungen gefällt werden, wenn die Entscheider vom Praxisalltag der Kolleginnen kaum eine Ahnung haben? Darum wollen die Frauenförderinnen auch erreichen, dass sich mehr Frauen als Kandidatinnen für Kammerposten finden. Im November werden die Mitglieder der Vertreterversammlung wieder gewählt. Derzeit sind dort auch nur 14,6 Prozent Frauen.