Dinah Eckerle ist eine der begehrtesten Handball-Torhüterinnen der Welt. Sollte Deutschland ins WM-Halbfinale einziehen, liegt das vor allem an der 24-Jährigen. Wie geht es mit ihrer Karriere weiter?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Der betagte Herr sprach mit seinem Nebenmann deutlich hörbar schwäbisch. Dass er bei jeder Parade der Torfrau des Thüringer HC in die Hände klatschte, erklärte er auf Nachfrage fast schon entschuldigend, aber voller Stolz: „Das im Tor, das ist meine Enkelin.“

 

Das war im Jahr 2011. Dinah Eckerle hatte gerade mit damals 16 Jahren als jüngste Spielerin in der Handball-Bundesliga debütiert und machte in der Göppinger EWS-Arena gegen Frisch Auf eines ihrer ersten Spiele. Klar, dass Opa Heinz und Vater Stefan aus dem rund 60 Kilometer entfernten Hemmingen angereist waren, um der verlorenen Enkelin und Tochter die Daumen zu drücken, die schon im Alter von knapp 14 Jahren die Entscheidung traf, ins Internat nach Erfurt zu wechseln.

Mit Sieg gegen Norwegen im Halbfinale

Acht Jahre später ist Dinah Eckerle eine der begehrtesten Handball-Torhüterinnen der Welt. Dass das deutsche Nationalteam noch die Chance hat, mit einem Sieg an diesem Mittwoch (12.30 Uhr/Livestream Sportdeutschland.tv) gegen Norwegen sicher ins WM-Halbfinale einzuziehen, liegt vor allem an einer Person: an Dinah Eckerle.

„Intelligente Art zu halten“

Die 24-Jährige spielt in Japan eine überragende WM. Ihre vergleichsweise geringe Körpergröße von 1,70 Metern macht sie durch ihr sehr gutes Stellungsspiel, das ihre Gegnerinnen kaum eine Lücke finden lässt, und blitzschnelle Reflexe wett. Sie liest ein Spiel, sie beschäftigt sich intensiv mit Wurfbildern der Schützinnen. „Dinah hat eine intelligente Art zu halten“, sagt ihr früherer Trainer Herbert Müller vom Thüringer HC, der sie immer noch „unser Mädel“ nennt und gemeinsam mit seinem Bruder und Co-Trainer Helfried den Kontakt hält.

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Wenn Müller über seine frühere Spielerin spricht, gerät er regelrecht ins Schwärmen., Enorm fleißig sei sie, extrem ehrgeizig, eine, die immer alles aufgesaugt hat und genau wusste, was sie wollte. Schon mit 13 Jahren. Damals entschied sich das kleine Mädchen für den großen Schritt – von den TSF Ditzingen zum Thüringer HC, vom behaglichen Elternhaus in Hemmingen ins Sportinternat nach Erfurt. „Sie hatte Angebote aus Trier und Metzingen, doch Dinah wollte es genau so, und wir haben es unterstützt“, erinnert sich ihr Vater. Was das Ganze etwas erleichterte: Den gleichen Weg war auch die spätere Junioren-Nationaltorhüterin Maike März gegangen, die wie Dinah Eckerle das Handball-Abc in der Jugend des GSV Hemmingen lernte, wie übrigens auch der spätere Bundesliga-Keeper Marcus Rominger.

In jedem Training an die Grenzen

Eine wie am Reißbrett entworfene Karriere, die sie nie bereute. Auch wenn sie rückblickend sagt: „Klar hatte ich am Anfang auch Heimweh.“ Doch via Internet konnte sie mit der Familie und mit Freunden Kontakt halten, außerdem war die Freizeit in Anbetracht von Schule und Handball ohnehin knapp bemessen. „In jedem Training müssen die Spielerinnen an ihre Grenzen gehen. Das wirkt sich absolut positiv auf die Karriere aus“, ist sich Dago Leukefeld sicher. Der ehemalige Bundestrainer holte einst Isabell Roch im Alter von 15 Jahren aus ihrer mainfränkischen Heimat in das Internat. Bei der WM in Japan bildet die 28-Jährige (inzwischen bei Borussia Dortmund) jetzt gemeinsam mit Dinah Eckerle das deutsche Torhütergespann.

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Rochs Stil ist unkonventioneller, erinnert an die positive Verrücktheit eines Silvio Heinevetter. Eckerle ist die Strategin zwischen den Pfosten, sie lebt ihren Spleen außerhalb des Feldes. Sie hat eine toughe Leidenschaft, wegen der sie der Boulevard „Tattoo-Dinah“ taufte. Ein Großteil ihrer Haut ist mit Bildern, Symbolen und Zahlen verziert, die sie mit schönen Erinnerungen verbindet. So prangt an ihrem Knöchel ein großes D – es steht für den eigenen Vornamen und die Anfangsbuchstaben ihrer älteren Brüder Daniel und Dennis. „Ich fand das am Anfang cool. Daraus ist dann eine Leidenschaft oder sogar Sucht entstanden. Ich hatte einige Jahre, da war ich Monate am Stück beim Tätowierer, aber das hat sich ein bisschen gelegt“, erzählt sie.

Wenn der Papa, ein ehemaliger Fußballer und Tennisspieler, darauf angesprochen wird, blitzt bei dem freien Architekten ein Lächeln auf: „Das ist ihr eigenes Ding.“ Ob sie ihn mal gefragt hat? „Einmal, bei ihrem ersten Tattoo – aber nur, weil sie noch 15 war und meine Unterschrift brauchte.“

Bodenständig ohne Starallüren

Längst trifft die Sportmanagement-Studentin ihre Entscheidungen selbst. Nach sechs deutschen Meisterschaften mit dem Thüringer HC wechselte sie 2018 zur SG BBM Bietigheim – und holte sich gleich den nächsten Titel. Doch Starallüren sind ihr völlig fremd. Sie ist aufgeschlossen und bodenständig, immer freundlich und verbindlich. Zurück in ihrer württembergischen Heimat fühlt sie sich mit ihrem Freund Florian Neuhold, einem österreichischen Fußballer, der früher in der dritten Liga für Rot-Weiß Erfurt spielte, rundum wohl.

Das Einzige, was sie etwas ärgert, ist der geringe Stellenwert ihrer Sportart in Deutschland. „Es ist schon schade , dass der Frauenhandball in Deutschland nicht die große Aufmerksamkeit genießt“, bedauert die 24-Jährige.

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Die Fleischtöpfe des Frauenhandballs liegen in Osteuropa. In Rumänien, wo der Monatsverdienst der mehrfachen Welthandballerin Cristina Neagu von Branchenkennern auf 30 000 Euro geschätzt wird. In Deutschland erhält eine Ausnahmespielerin maximal ein Fünftel. Neagus Verein CSM Bukarest kommt auf einen Jahresetat zwischen fünf und sechs Millionen Euro. Der allergrößte Teil wird von der Stadt und dem Land finanziert. Genauso wie in Montenegro. Bei Buducnost Podgorica (Champions-League-Sieger 2012 und 2015) werden 80 Prozent des geschätzten Fünf-Millionen-Etats vom Land auf die Beine gestellt. Dem Champions-League-Sieger Audi ETO Györ stehen sogar bis zu sieben Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Auch weil internationale Firmen, die den ungarischen Sport unterstützen, Steuererleichterungen erhalten. Und in Russland freut sich Rostow Don, der internationale Spitzenclub der deutschen Nationalkreisläuferin Julia Behnke, über die Finanzspritzen eines Ölgiganten.

Vertrag in Bietigheim läuft aus

Eckerles Vertrag beim vor allem von Eberhard Bezner (Olymp) unterstützten deutschen Frauenhandball-Primus SG BBM Bietigheim läuft am Saisonende aus. „Die internationalen Topvereine müssten mit Blindheit geschlagen sein, wenn sie Dinah keine Angebote machen würden“, sagt ihr Ex-Trainer Herbert Müller. Er könnte sich einen Wechsel der Vorzeige-Torfrau nach Moskau vorstellen. Mit Unterstützung von Präsident Wladimir Putin wird dort eine Mannschaft aufgebaut, die Rostow Don Paroli bieten soll.

Dinah Eckerle möchte sich mit solchen Planspielen nicht beschäftigen. Sie will bei der WM in Japan weiter so glänzend halten. Auch ihre Familie wird das weiter ganz genau verfolgen. Nicht vor Ort in Japan, sondern via Livestream in Hemmingen.