Behörden geben falsche Auskünfte, wichtige Akten fehlen zunächst – bei der Aufarbeitung der Freiburger Doping-Praxis wiederholen sich gerade Merkwürdigkeiten aus der Vergangenheit. Ein Fall birgt auch nach langer Zeit noch politische Brisanz.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die falsche Auskunft erfolgte angeblich besten Gewissens. Nein, versicherte die Freiburger Staatsanwaltschaft noch vor wenigen Monaten, Akten zum Fall des Sportmediziners Armin Klümper seien bei ihr nicht mehr vorhanden. Daher könne man der Universität, die die Unterlagen gerne durch die von ihr eingesetzte Kommission zur Aufklärung ihrer Doping-Vergangenheit auswerten lassen wollte, leider nicht weiterhelfen.

 

Die Kommissionschefin Letizia Paoli, Rechtsprofessorin in Belgien und ausgewiesene Mafia-Expertin, schaute gleich doppelt in die Röhre. Sie bekam nicht nur keine Dokumente, sondern durfte deshalb auch einen wichtigen Zeitzeugen nicht vernehmen. Auf Wunsch der Staatsanwaltschaft verweigerte das Stuttgarter Innenministerium einem Polizeibeamten, der einst gegen „Doc“ Klümper ermittelt hatte, die notwendige Aussagegenehmigung. Begründung: Da keine Akten mehr vorhanden seien, lasse sich nicht überprüfen, „auf welches dienstliche Wissen sich die Aussage des Beamten konkret beziehen würde“.

Spott über „Schuppen im Schwarzwald“

Inzwischen haben sich die Ermittler ziemlich kleinlaut korrigiert. Man habe der Universität und der Polizei „irrtümlich mitgeteilt“, dass keine Akten zu Klümper mehr in Freiburg verwahrt würden, bestätigte ein Behördensprecher der StZ. Tatsächlich seien Ende Oktober noch Unterlagen gefunden worden, und zwar in einem – nicht näher beschriebenen – „Außenlager der Registratur“. Dort habe man sie nicht etwa gezielt gesucht, sondern sei bei einer „Besichtigung“ zufällig darauf gestoßen. Die Akten würden nunmehr dem Staatsarchiv übergeben. Dem Justizministerium in Stuttgart berichtete die Staatsanwaltschaft offenbar erst auf Nachfrage von dem seltsamen Vorgang.

Wurden die Akten wirklich nur verschlampt, als gäbe es noch keine elektronische Datenverarbeitung und keine zentrale Übersicht? Zweifel an der Version vom „Schuppen im Schwarzwald“, wie Spötter lästern, sind allemal nachvollziehbar. Die Staatsanwaltschaft hat womöglich kein Interesse daran, dass ihre Rolle im Komplex Klümper allzu genau ausgeleuchtet wird.

Ankündigung lässt Politiker aufhorchen

Kurz vor der Entdeckung der Dokumente hatte die Kommissionschefin Paoli öffentlich Andeutungen gemacht, die Landespolitiker in Stuttgart und Justizvertreter aufhorchen, manche wohl auch aufschrecken ließen. Im Sommer, berichtete sie in einer breit gestreuten „persönlichen Erklärung“, habe sich durch eine Zeugenaussage – offenbar vom einstigen Chefermittler – ein „ausgesprochen brisanter Sachverhalt“ ergeben. Es gehe um Einblicke in das Agieren „damaliger CDU-Landesregierungen, CDU-Minister, Angehöriger der Freiburger Staatsanwaltschaft sowie der Universitäts- und Klinikumsleitung“, um eine „unvollständige Auskunft“ an den Stuttgarter Landtag und um Akten, die angeblich aus der Asservatenkammer des Landeskriminalamts gestohlen wurden. Näheres verriet Paoli nicht, sie will erst noch andere Mitglieder des Ermittlerteams zu dem Vorgang befragen – was mangels Genehmigung derzeit nicht geht.

Schon der jetzige Erkenntnisstand ist in einem 80-seitigen Gutachten dokumentiert, das strikt unter Verschluss gehalten wird. Prompt wurde in den Medien über ein „Vertuschungskomplott“ („Süddeutsche Zeitung“) um die Freiburger Sportmedizin spekuliert, das „bis auf Ministerebene und in hohe Justizkreise“ reiche. Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) zeigte sich vor Journalisten unlängst höchst interessiert daran, mehr über die „politischen Verstrickungen“ zu erfahren; sie werde die Aufklärung nach Kräften unterstützen.

Justizminister als Klümper-Patient

Die Vorgänge, um die es nach StZ-Recherchen geht, liegen zwar bis zu dreißig Jahre zurück, sind aber unverändert aktuell. Sie illustrieren beispielhaft, wie sich Justiz und Politik schwertaten, wenn Prominente ins Spiel kamen – zumal solche, die sich bester Beziehungen zu den Regierenden erfreuten. Mit solchen rühmte sich Armin Klümper, heute 79-jährig in Südafrika lebend, oft und gerne. Nicht nur unter Sportlern genoss der „Wunderdoktor“ höchstes Ansehen, weil er sie mit geheimnisvollen Mittelchen und persönlichem Zuspruch fit machte, auch Politiker hofierten ihn. Der damalige Justizminister Heinz Eyrich (CDU) zählte sogar zu seinen Patienten. Einen freundschaftlichen Umgang pflegte Klümper lange auch mit anderen Politgrößen, etwa Gerhard Mayer-Vorfelder. Sie schätzten den in der Sportwelt international bekannten Guru schließlich auch als Aushängeschild fürs Land.

Entsprechend schwierig wurde es, als Klümper 1984 ins Visier der Justiz geriet, die damals seinem Patienten Eyrich unterstand. Mit einer großen Razzia begannen da – offenbar nach einem Anstoß von stutzig gewordenen Krankenkassen – Ermittlungen wegen Rezeptbetruges mit Millionenschaden. Die Sonderkommission „Ärzte/Apotheker“ des LKA durchsuchte nicht nur zwei Freiburger Apotheken, sondern auch Institut und Büro des Sportmediziners. Anfangs verkündete der Chef der Freiburger Staatsanwaltschaft noch öffentlich, Klümper habe sich wohl nichts zuschulden kommen lassen und sich schon gar nicht persönlich bereichert. Weitere Ermittlungen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Untreue wurden später zwar eingestellt, doch der Betrugsverdacht erhärtete sich. Es kam zur Anklage und 1989 zum Prozess: Wegen Untreue in zwei Fällen wurde Klümper zu einer Geldstrafe von 157 500 Mark (rund 80 000 Euro) verurteilt. Klümper, der jede Schuld von sich gewiesen hatte, war empört und enttäuscht – ganz besonders von Mayer-Vorfelder, der die entlastenden Angaben vor Gericht nicht, wie erhofft, bestätigen wollte.

Ermittler empört über „große Sauerei“

Das Urteil wurde rechtskräftig, Klümper verließ die Uni, der Fall schien abgehakt. Zwei Jahre später aber wurde erstmals sichtbar, was hinter den Kulissen von Politik, Justiz und Polizei abgelaufen war. Da berichtete der „Spiegel“ in einer kurzen Notiz von Mauscheleien, die im LKA große Empörung ausgelöst hätten: Widerborstigen Ermittlern, die auf eine Verhaftung Klümpers gedrungen hätten, habe die Staatsanwaltschaft mit einer Ablösung durch das Innenministerium gedroht – für den zuständigen Dezernatsleiter laut der Meldung „eine große Sauerei“. Zudem habe die Freiburger Justiz versucht, das Verfahren geräuschlos einzustellen.

Prompt bohrte die Landtags-SPD 1991 per Antrag nach – der Beginn einer Aufarbeitung, die damals bald ins Stocken geriet und wohl erst jetzt vollendet werden kann. Den gravierenden Vorwürfen, forderte der Abgeordnete Wolfgang Bebber, sei „unverzüglich nachzugehen“. Die Antwort des Eyrich-Nachfolgers Helmut Ohnewald, abgestimmt mit dem Innenministerium von Dietmar Schlee (beide CDU), war bemerkenswert: Er bestätigte, dass sich das Freiburger Landgericht und die Staatsanwaltschaft 1987 bereits auf eine Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld verständigt hatten. Nur, weil der damalige Karlsruher Generalstaatsanwalt nicht mitspielte, kam es nicht zu diesem geräuschlosen Ende – selbst für das Justizressort „ein ungewöhnlicher Vorgang“. Ebenso räumte Ohnewald ein, dass es zu Differenzen zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei gekommen sei, etwa über die Ermittlungstaktik. Eines aber schloss der Minister kategorisch aus: „Den Ermittlungsbeamten wurde zu keinem Zeitpunkt mit einer Ablösung auf Veranlassung des Innenministeriums gedroht.“ Der SPD-Mann Bebber musste sich damit zufriedengeben, die Sache versandete zunächst.

Landtag zunächst lückenhaft informiert

Zwei Jahre später, die CDU teilte sich die Macht im Südwesten inzwischen mit der SPD, bekam der Fragesteller plötzlich erneut Post. „Bei nochmaliger Durchsicht der Akten durch das Landeskriminalamt“ habe man einen bisher unbeachteten „Vermerk festgestellt“, schrieb ihm 1993 der neue Justizminister Thomas Schäuble (CDU) nach einer entsprechenden Information durch den neuen Innenminister Frieder Birzele (SPD). Darin sei festgehalten, die Staatsanwaltschaft habe den beiden zuständigen LKA-Ermittlern sehr wohl gedroht, sie vom Innenministerium ablösen zu lassen. Hintergrund seien Differenzen um einen – letztlich nie ergangenen – Haftbefehl gegen Klümper gewesen: Die Fahnder hätten angedeutet, diesen direkt beim Haftrichter zu beantragen; für die widerstrebenden Staatsanwälte wäre dann „keine vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mehr möglich gewesen. In den Akten der Freiburger Anklagebehörde finde sich eine solche Gesprächsnotiz allerdings nicht, berichtete Schäuble. Dem Landtag wird eine zentrale Information vorenthalten – in der großkoalitionären Harmonie schlug dieser gravierende Vorgang kaum noch Wellen.

Schwer zu glauben, dass der brisante Vermerk wirklich übersehen wurde. Selbst heute wird darum eine merkwürdige Geheimniskrämerei betrieben. Wer beim Landtag die einschlägige Drucksache erbittet, erhält nur die erste Antwort von 1991; der Nachtrag von 1993 ist nicht dabei. Das Justizministerium stellte der StZ immerhin das ergänzende Schreiben zur Verfügung; wegen des Vermerkes, auf dem es basiert, müsse man sich an das LKA wenden. Dort hieß es nach internen Recherchen, man habe nichts mehr gefunden; womöglich sei der Vermerk vernichtet, vielleicht auch ans Landesarchiv übergeben worden.

Ministerin Bauer kämpft für Aufklärung

Nun darf man gespannt sein, ob Letizia Paoli bei der Aufklärung weiterkommt. Worum es in den neu entdeckten Akten der Staatsanwaltschaft geht, ist noch nicht bekannt; sie könnten auch spätere Verfahren gegen Klümper zum Inhalt haben. Beim Bemühen, doch noch eine Aussagegenehmigung für weitere Ermittler zu bekommen, erhielt die Kommissionschefin inzwischen prominenten Beistand: Wissenschaftsministerin Bauer wirbt bei ihrem Kollegen Reinhold Gall (SPD) vom Innenressort dafür, er möge seine anfängliche Ablehnung noch einmal überdenken. Sie selbst habe sich stets dafür eingesetzt, „alles an Unterlagen zugänglich zu machen“, sagte die Grüne kürzlich vor Journalisten. Man wolle schließlich wissen, welche „strukturellen Gründe“ Freiburgs Entwicklung zur Doping-Hochburg habe.