Die Wehrpflicht ist seit einem Jahr Geschichte. Nun kommen die jungen Männer und Frauen freiwillig – und brechen vielfach vorzeitig ab – frustriert über Bürokratie und Drill. Nun sollen Migranten die Lücken füllen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Bundeswehr ist nicht mehr nur eine Einsatzarmee, sondern eine Marke. So wollen es die Werbestrategen, die dem Nachwuchs die Streitkräfte schmackhaft machen. Dazu lässt sie seit einem Jahr eine Imagekampagne laufen, deren Slogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ trotz neumodischer Schreibweise auf althergebrachte Werte verweist, weshalb er intern von Anfang an umstritten war. Der Titel soll den sogenannten Markenkern deutlich machen.

 

Ersonnen und ausgearbeitet wurde der Werbefeldzug im Ministerium und an der Offiziersschule des Heeres – verbreitet wird er in elektronischen Kanälen. Auf der Website www.wirdienendeutschland.de rücken attraktive Fotos den Alltag bei den Streitkräften in ein glanzvolles, aber nur wenig realistisches Licht. Interessenten werden ermuntert, „selbstbewusst, professionell, auch unter Einsatz unseres Lebens“ mitzutun.

5000 kann die Bundeswehr finanzieren

Kreiswehrersatzamt? Das war einmal. Heute heißt das Karriere-Center. Lange vorbei sind auch die Zeiten, als die Wehrpflichtigen in Scharen eingezogen wurden: 211 000 waren es 1991. Heute, ein Jahr nach der faktischen Abschaffung des Grundwehrdienstes, hofft Verteidigungsminister Thomas de Maizière darauf, 5000 bis 15 000 Freiwillige ständig zur Verfügung zu haben. Die Untergrenze ist aus gutem Grund niedrig angesetzt, denn nur das Geld für die 5000 ist im Haushalt sicher verbucht. „Die können wir in jedem Falle finanzieren“, sagt ein Bundeswehrsprecher. In einer früher undenkbaren Offenheit erinnert er daran, dass zu Zeiten der Wehrpflicht viele taugliche Männer nicht mehr eingezogen wurden, weil für sie kein Geld mehr ausgegeben werden durfte.

Gemessen an der Planungsgröße 5000 ist der bisherige Zuspruch somit befriedigend. Fast 14 500 Freiwillige haben sich in einem Jahr eingefunden. Die durchschnittliche Verpflichtungsdauer beträgt 14 bis 15 Monate. Im Jahr 2012 sei der sogenannte Regenerationsbedarf bereits zu 71 Prozent gedeckt, sagt der Bundeswehrsprecher.

Der Minister vermutet naive Vorstellungen

Sorgen macht allerdings der hohe Anteil von vorzeitigen Abbrechern: jeder Vierte geht oft ohne Angabe von Gründen von der Fahne. „Einige Rekruten überrascht es offenbar, dass sie morgens mit geputzten Stiefeln zum Dienst erscheinen sollen, in einer Stube mit mehreren Soldaten schlafen oder dass sie nur in der Raucherpause rauchen dürfen“, argwöhnt der Minister. Die Vorstellungen mancher junger Leute seien da vielleicht etwas „naiv“.In Zukunft wird der Zuspruch wohl geringer ausfallen. So muss die Truppe noch mehr werben – auch bei Männern und Frauen mit Migrationshintergrund. Bisher ist der genaue Migrantenanteil unklar; eine neue Studie soll in wenigen Monaten Auskunft darüber geben. Nach internen Befragungen hat jeder Vierte mindestens ein Elternteil mit ausländischen Wurzeln.

Der Wandel zur Multikulti-Truppe

Sascha Kachiani (20) und Andreas Hamela (18) sind zwei von ihnen. Der Erste wurde in Sibirien geboren, sein Vater war russischer Soldat; die Eltern des Zweiten stammen aus Polen. Beide haben den deutschen Pass und sind in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Kaserne stationiert. Der Migrationshintergrund, sagen sie übereinstimmend, spiele im Alltag gar keine Rolle. Dies entspricht der allgemeinen Wahrnehmung. So vollzieht die Armee ohne große Aufregung den Wandel zur Multikulti-Truppe. Allerdings finden sich in den höheren Dienstgraden kaum Soldaten mit ausländischen Wurzeln – mit der Folge, dass es keine Vorbilder für Migrantenkinder gibt, die in der Armee Karriere machen wollen.Für 23 Monate hat sich Sascha Kachiani verpflichtet; am liebsten bliebe er im Anschluss für weitere zwölf Jahre. Wegen des Personalabbaus auf 185 000 Soldaten sind seine Chancen aber gering. Am 31. August endet seine Dienstzeit, doch noch lässt man ihn im Unklaren, wie es danach weitergeht.

Ordnung in sein Leben zu bringen, war für Andreas Hamela die Motivation, sich für elf Monate auf den freiwilligen Wehrdienst einzulassen. Zuvor sei er ein „ziemlicher Chaot“ gewesen – mit einer abgebrochenen Ausbildung und viel Unordnung um sich herum, erzählt der 18-Jährige. Das habe sich seit April bereits geändert. Im Anschluss will er eine Lehre zum Bankkaufmann absolvieren.

Um fünf Uhr beginnt der Frühsport

Der Minister will Interessenten vor allem mit traditionellen Begriffen wie Ehre, Pflichtbewusstsein oder Patriotismus anlocken. Damit können die beiden Stuttgarter weniger anfangen. Auch was es heißt, dem Land zu „dienen“, haben sie noch nicht genau überdacht. Nur einem Teil der jungen Uniformierten – wie vielleicht Sascha Kachiani – nutzt der neue Wehrdienst als Sprungbrett zum Zeitsoldaten. Andere überbrücken damit eher den Leerlauf bis zum Studium – Pragmatismus geht vor staatsbürgerliche Überzeugungen.

Auch das führt zu der hohen Abbrecherquote. Hamela hat gerade erst in der Grundausbildung in Dornstadt erfahren, dass ein Viertel von 30 Wehrdienstleistenden vorzeitig abgesprungen ist. Um 4.45 Uhr aufstehen, um fünf Uhr zum Frühsport antreten, dann frühstücken und sich auf den Dienstbeginn vorbereiten – das erschien vielen schlicht zu unbequem.

Schon öfter wurden beide von Freunden gefragt, warum sie sich das antun. Stets jedoch werde ihre Entscheidung mit Respekt aufgenommen statt lächerlich gemacht, sagen sie unisono. Um die Jugend zeitgemäß anzusprechen, lässt die Truppe einen 40-Tonnen-„Karriere-Truck“ durch die Republik touren. 11 720 Internetnutzern gefällt die Bundeswehr-Seite auf Facebook, und 26 000 Abonnenten hat der truppeneigene Youtube-Kanal. Kachiani und Hamela haben sich mit all der neuen Werbung noch nicht befasst – sie sind einfach so gekommen.