Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi setzt in seinem unermüdlichen Kampf für die Rechte der Kinder auf die Macht der Verbraucher.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Kailash Satyarthi ist ein politischer Aktivist. Doch in erster Linie ist der im vergangenen Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Inder ein leidenschaftlicher Prediger. Bei seinem Auftritt auf dem Stuttgarter Kirchentag zählte er zwar selbstbewusst seine bisherigen praktischen Erfolge auf, zu denen etwa das Rugmark-Siegel für fair produzierte und fair gehandelte Teppiche gehört. Doch den starken und anhaltenden Applaus der mehreren tausend Kirchentagsbesucher in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle verdiente er sich am Donnerstag mit leise und bedächtigen, aber auch kompromisslos formulierten moralischen Appellen. „Wir müssen den Kindern die Kindheit zurückgeben, wir müssen ihnen die Träume und die Freiheit zurückgeben – andernfalls sind wir nicht zivilisiert“, sagte der 61-Jährige: „Wir leben in einer Welt, in der Kinder wie Tiere verkauft werden, nur häufig zu einem noch niedrigeren Preis.“

 

Der Preisträger schildert traurige Kinderschicksale

Der Gast aus Indien, der für den Stuttgarter Kirchentag kurzfristig eine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf verlassen hatte, brachte kein konkretes neues Projekt mit. Er versuchte beispielsweise nicht, das deutsche Publikum zu mobilisieren, das erst in dieser Woche nach einigen Mühen gestartete, freiwillige deutsche Textilbündnis zu Gunsten besserer Arbeitsbedingungen kritisch zu begleiten. Er erzählte lieber über Kinderschicksale – etwa das grausame Leben der vielen sexuell versklavten Kinder, die von Extremisten im syrischen Bürgerkrieg verschachert würden. Er erinnerte an das Schicksal einer Mutter, die während des von Taliban verübten Massakers in einer pakistanischen Schule Ende 2014 ihren Sohn verloren hatte: „Ich schickte ihn morgens in seiner Schuluniform, abends kam er im Sarg zurück“, so referierte er ihre Schilderungen, stellvertretend für die 132 gezielt ermordeten Kinder. „Sollte es für die Religionen und Glaubensrichtungen in der Welt unmöglich sein, Kinder vor Gewalt zu schützen?“, fragte Satyarthi. „Ich weigere mich, dies zu akzeptieren!“

150 UN-Staaten gegen Kinderarbeit

Vor 30 Jahren ist er zum ersten Mal nach Deutschland und auch nach Stuttgart gekommen. Damals sei das Thema Kinderarbeit noch nicht auf der Tagesordnung gewesen und seine Freunde in Indien und Pakistan hätten daran gezweifelt, ob man deutsche Konsumenten für das Schicksal der Kinder sensibilisieren könnte, die Teppiche herstellten. Doch die deutschen Verbraucher seien zum Rückgrat der Kampagne geworden. Und seit um die Jahrtausendwende eine von 150 UN-Mitgliedern ratifizierte Konvention gegen Kinderarbeit in Kraft getreten sei, habe sich die Zahl der Kinder, die arbeiten müssten, weltweit von 260 Millionen auf 168 Millionen verringert. Satyarthis einfache, vom Publikum gerne goutierte Botschaft: Eine bessere Welt ist möglich.

Es war einer anschießenden Podiumsdiskussion überlassen, den mühevollen Weg zu schildern, den etwa das aktuelle deutsche Textilbündnis genommen hat. Es fand erst die Unterstützung der Mehrheit der deutschen Textilunternehmen, als konkrete Zeitpläne aufgegeben wurden. Das stieß bei Jens Martens vom entwicklungspolitisch engagierten Global Policy Forum auf Kritik. Warum müssten Menschenrechte immer warten, fragte er: „Es ist doch seltsam, dass wir bei der Straßenverkehrsordnung keinen solchen freiwilligen Prozess mit allen Interessierten haben.“ Freiwilligkeit sei kein Larifari, erwiderte Bernhard Felmberg als Vertreter des Entwicklungshilfeministeriums. Wer glaube, verbindliche internationale Vereinbarungen seien einfach, der müsse sich nur das ebenfalls auf dem Kirchentag diskutierte transatlantische Handelsbündnis TTIP ansehen.