Der deutsch-iranische Autor Navid Kermani erhält im Oktober den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Es gibt Leute, deren mediale Allpräsenz und Debattenhoheit nervtötend wirkt, weil sie alles über einen Kamm scheren und in ihrem multiplen Zuständigkeitswahn vor allem immer nur sich selbst in Stellung zu bringen trachten. Und es gibt jemanden wie Navid Kermani. Kaum eine Diskussion in den letzten Jahren, ob über Flüchtlingspolitik, Migration, islamistischen oder nationalistischen Terror, in der der 1967 in Siegen geborene Schriftsteller und Orientalist iranischer Herkunft sich nicht zu Wort gemeldet hätte; kaum eine, die dadurch nicht um wesentliche Gesichtspunkte bereichert worden wäre. Für dieses Wirken ist er nun mit dem Friedenspreis geehrt worden, der bedeutendsten Auszeichnung der deutschen Buchbranche.

 

In seiner Würdigung nennt der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, Kermani eine der wichtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft. Wollte man jenseits hochtönender Lobesprosa ganz unpathetisch auf den Punkt bringen, was den Preisträger auszeichnet, genügte der Hinweis, dass er nicht nur weiß, wovon er spricht, sondern es auch ausdrücken kann. Und das in einer Weise, dass mit zu dem Erfreulichsten dieser Wahl die Aussicht auf eine vermutlich denkwürdige Rede verbunden ist, mit der sich Kermani am 18. Oktober in der Frankfurter Paulskirche für den mit 25 000 Euro dotierten Preis bedanken wird.

Wind göttlicher Totalität

Denn das muss man erst einmal schaffen: dass sich altgediente Politrecken verstohlen Tränen aus den Augen wischen, wie es bei Kermanis Rede zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes vor einem Jahr im Bundestag der Fall war. Die Wirkung war so groß, nicht weil Feierstunden einfach schön sind, sondern weil der Redner den Geist und die Schönheit dieses grundlegenden Gesetzeswerkes gegen die gedankenlosen Verwässerungen in Erinnerung rief, die die politische Realität bestimmen – etwa die Reform von 1993, die dem Asylrecht die Würde geraubt habe.

Und auch das ist nicht jedem gegeben: Romane zu schreiben wie „Große Liebe“ (2014), in dem Kermani Werther’sches Pathos und sufische Mystik mit dem Erwachen der Gefühle im Kleinstadtmief der frühen achtziger Jahre zur Deckung bringt. Ganz zu schweigen von dem gewaltigen Zeitprotokoll „Dein Name “ das auf 1200 Seiten den Wind der göttlichen Totalität durch fünf Jahre des eigenen Leben bläst, zwischen Banalität und Unendlichkeit.

Schönheit und Schrecken

Kermani promovierte über die Schönheit des Korans und habilitierte sich mit einer Studie über den Schrecken Gottes. Zwischen Schönheit und Schrecken religiöser Offenbarungen bewegt sich der aus einer iranischen Arztfamilie stammende Muslim nicht nur auf wissenschaftlichem Terrain, sondern auch als Reisender in die Krisenländer des Mittleren Ostens. Seine Reportagen lassen hinter dem Bild der gegenwärtigen Zerstörungen die kulturellen Tiefenschichten aufscheinen.

Im Verstehen von Texten, ob poetischen oder theologischen, liegt für den Schriftgelehrten Kermani das Versprechen der Verständigung – auch über die Grenzen der aktuellen Konflikte zwischen Orient und Okzident hinweg. In düsteren Zeiten ist das ein Brückenschlag der Hoffnung.