Am 2. Februar 2010 ist im Hauptbahnhof ein Prellbock angehoben worden. Dies markiert den offiziellen Baustart von Stuttgart 21. Wir haben uns bei den Projektpartnern umgehört, die vor fünf Jahren dabei gewesen sind.

Stuttgart - Auf der einen Seite 400 geladene Gäste auf der anderen Seite 2000 Demonstranten – auf ihre Weise auch geladen: Am 2. Februar 2010 sind die Fronten im Stuttgarter Hauptbahnhof geklärt. Die einen kommen, um mit dem Anheben eines Prellbocks den offiziellen Baubeginn von Stuttgart 21 zu feiern. Die anderen warnen vor einem Jahrhundertfehler. Der Prellbock mit der Ordnungsnummer 49 ist von zwei Regionalzügen eingerahmt. Sie dienen den Fotografen und Kamerateams als Kulisse und sollen wohl auch verhindern, dass unliebsame Parolen von Projektgegner ins Bild gehalten werden können.

 

Der scheidende Projektsprecher Wolfgang Dietrich hat einen seiner letzten Auftritte in dieser Funktion jüngst dazu genutzt, auf den eher symbolischen Charakter der Veranstaltung hinzuweisen. Schließlich sei die Bahn danach wegen der Schlichtungsrunde im Rathaus, des Regierungswechsels oder des Filderdialogs kaum zum Bauen gekommen. So richtig losgegangen sei es erst mit dem Aufsichtsratsbeschluss vom März 2013. Das Kontrollgremium der Bahn hatte damals trotz deutlich gestiegener Kosten den Weiterbau des Projekts befürwortet.

Und die sieben Herren und die Dame, die sich damals vor dem Prellbock in Positur warfen? Nur einer von ihnen ist noch in der selben Funktion wie damals tätig. Eine Spurensuche.

Rüdiger Grube hat eine Ausnahmestellung inne. Der Bahnchef ist der einzige an der Prellbockanhebung, der heute noch in der selben Funktion tätig ist wie damals. Die Prellbockanhebung sei ein starkes Zeichen dafür gewesen, „dass das Projekt jetzt tatsächlich realisiert wird. Ich verbinde damit ein Gefühl des Aufbruchs, der Entschlossenheit und der festen Überzeugung, ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren“, erklärt Grube gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Dem Bahnchef sind aber auch die Begleitumstände nicht entgangen. „Unter dem Eindruck von rund 2000 lautstarken Projektgegnern auf dem Querbahnsteig habe ich aber auch einen Eindruck davon gewonnen, dass hier noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein wird.“ Fünf Jahre danach seien „die Bauarbeiten für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nicht mehr zu übersehen“. Nach verschiedenen Verzögerungen und Budgeterhöhungen liege das Projekt jetzt im aktuellen Zeit- und Kostenrahmen. Er sei sicher, dass „am Ende alle dankbar und froh darüber sind, dass das Projekt mit seinen vielen Vorteilen für unsere Kunden in ganz Baden-Württemberg realisiert worden ist“.

Günther Oettinger Der Auftritt am 2. Februar war eine der letzten Amtshandlungen des Ministerpräsidenten Günther Oettinger. Zum 10. Februar legte er sein Amt nieder und wurde EU-Kommissar für Energie, seit einigen Wochen ist er bei der EU für digitale Medien zuständig. Ihm sind die zahlreichen Demonstranten in Erinnerung geblieben, die zum Baustart ihrem Unmut lautstark Luft machten. „Mit einigen von ihnen bin ich im Hinausgehen noch ins Gespräch gekommen“, erinnert sich der ehemalige Ministerpräsident. Für ihn markierte die Prellbockanhebung einen Punkt, zu dem die Verwirklichung des Projekts gesichert war. „Zu diesem Zeitpunkt waren die Vorarbeiten weit gediehen und es herrschte Einigkeit über die Verteilung der Kosten.“ Er sei nun natürlich nicht mehr in dem Maße in die Details eingearbeitet, beobachte die Fortschritte aber bei seinen regelmäßigen Besuchen in Stuttgart.

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Von den 59.090 Metern Tunnelstrecke für Stuttgart 21 waren Anfang der Woche 1945 Meter gegraben. Zum Vergrößern der Grafik bitte darauf klicken.

Wolfgang Schuster hat in seinen Amtszeiten als Oberbürgermeister von Stuttgart vehement für das Projekt gekämpft. Knapp zwei Jahre nach der Prellbockanhebung erklärte der Christdemokrat, kein drittes Mal für den Chefsessel im Rathaus zu kandidieren, im Januar 2013 schied er aus dem Amt. An jenen Februartag im Jahr 2010 erinnert sich Schuster „mit gemischten Gefühlen“. Er sei „froh gewesen, dass es nach zehnjähriger Verspätung endlich offiziell losgeht. Auf der anderen Seite haben sich damals zum ersten Mal die massiven Proteste gezeigt“, erinnert sich Schuster. Es sei normal, dass man sich mit solch komplexen Vorhaben kritisch auseinandersetze. Der damalige OB beklagt aber „die Aggressivität, die damals schon erkennbar war und die sich später ganz massiv fortgesetzt hat“. Das Projekt sei nun in der Spur, es gehe zügig voran. „Ich hoffe, dass es auf den Baustellen keine Unfälle gibt und dass das Vorhaben im nun gelten Zeit- und Kostenplan abgeschlossen werden kann.“

Hany Azer war am Prellbock der Herr der Baustelle. Der Ägypter war seit 1. April 2008 Gesamtprojektleiter. „Der Baustart am Prellbock war das Symbol für die Unumkehrbarkeit des Projektes und das klare Bekenntnis aller Befürworter, den Bahnhof und die Neubaustrecke nun endlich zu bauen. Diese demonstrierte Geschlossenheit und der feste Wille aller Projektpartner hat mich tief beeindruckt“, erklärt er gegenüber der Stuttgarter Zeitung. „Als Ingenieur und Projektmanager hatte ich bereits damals höchsten Respekt vor solch einem anspruchsvollen Projekt mit seinen riesigen ingenieurtechnischen Herausforderungen. Und ich habe diese Herausforderungen gern angenommen.“ Im Mai 2011 gab er die Verantwortung allerdings ab und wandte sich neuen Aufgaben bei der Bahn zu. Zuletzt arbeitete er im Auftrag des Unternehmens am Metrosystem in Doha, der Hauptstadt Katars. Ende Februar endet Azers Zeit bei der Bahn. Stuttgart 21 hat er dennoch nicht aus dem Blick verloren . „Ich verfolge den Baufortschritt immer noch sehr interessiert. Wenn man sich einmal mit einem Bauprojekt so intensiv und mit viel Herzblut beschäftigt hat, so wie ich es getan habe, lässt es einen nicht wieder los. Dazu kenne ich das Projekt auch viel zu gut.“

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Der Umbau des Stuttgarter Bahnknotens ist in sechs Abschnitte unterteilt – Eine Übersicht über Bau- und Verfahrensstände, zum Vergrößern bitte klicken.

Wolfgang Drexler war zur Zeit der Prellbockanhebung Sprecher des Projekts. Der Esslinger SPD-Landtagsabgeordnete versinnbildlichte den sozialdemokratischen Teil der großen Koalition für Stuttgart 21 – auch wenn es innerhalb der SPD ob dieser klaren Positionierung gärte. Mitte September 2010 trat Drexler vom Sprecheramt zurück – wohl auch wegen der innerparteilichen Grabenkämpfe. Der heute 68-Jährige ist unter anderem stellvertretender Landtagspräsident. An den Tag des Baustarts erinnert er sich noch gut – auch an „viele Demonstranten im Bahnhof, die die Eröffnung mit einem gellenden Pfeifkonzert begleiteten. Das war für viele eine sehr anstrengende Situation.“ Seither sei zwar der Bau der Neubaustrecke nach Ulm gut vorangekommen. Drexler verweist auf den Fortschritt beim Tunnelbau. In Stuttgart selbst seien die Bauarbeiten aber noch nicht soweit, wie es zu erhoffen gewesen sei. „Allerdings konnte die Bahn ja aufgrund der politischen Situation – ich erinnere an die Landtagswahl, die Schlichtung, den Stresstest, die Volksabstimmung – ja auch gar kein stabiles Baumanagement organisieren. Im Rückblick war die Prellbockversetzung vor fünf Jahren leider nur ein sehr symbolischer Akt.“

Werner Klingberg, zur Zeit der Prellbockanhebung Bevollmächtigter der Bahn in Baden-Württemberg, hat eine gewisse Distanz zum Projekt gewonnen – er wohnt nun wieder durchgehend in Sprockhövel bei Wuppertal. Während seiner Zeit im Land ist er wochenweise gependelt. „Ich beobachte Stuttgart 21 von Zeit zu Zeit. Es steht aber nicht mehr im Mittelpunkt meines Interesses“, sagt Klingberg. Er komme noch zwei bis drei Mal pro Jahr nach Stuttgart. „Und dann bin ich immer wieder erstaunt, was sich da in der Zwischenzeit alles getan hat.“ Meist reiche die Zeit auch noch, um bei den ehemaligen Kollegen der Bahn vorbeizuschauen und sich auf den neuesten Stand in Sachen Stuttgart 21 bringen zu lassen. Ende 2010 schied Klingberg bei der Bahn aus. Heute gehört er zu einem in Ludwigsburg ansässigen Zusammenschluss selbstständiger Berater, der unter anderem Interimsmanagement anbietet. „Wir springen da ein, wo Not am Mann ist“, erklärt Klingberg. Unter anderem bietet er „Krisenkommunikation“ an. „Das konnte ich ja damals auch schon gut gebrauchen“, sagt er und lacht.

Peter Ramsauer war im Februar 2010 als Bundesverkehrsminister nach Stuttgart gekommen. Mit der Regierungsbildung im Dezember 2013 verlor er diesen Posten. Für ein Gespräch zum Thema Stuttgart 21 stehe Peter Ramsauer, der als Abgeordneter den Wahlkreis Traunstein im Bundestag vertritt, nicht zur Verfügung, teilt sein Berliner Büro ohne Angabe von Gründen mit.

Jeannette Wopperer war die einzige Frau in der Männerrunde am Prellbock. Die Regionaldirektorin schied aus gesundheitlichen Gründen zum 1. Juli 2013 aus diesem Amt und wurde in den Ruhestand versetzt.

Und der am 2. Februar 2010 zu Ehren gekommene Prellbock? Der tut weiterhin seinen Dienst im Stuttgarter Hauptbahnhof.