Am Tag der Deutschen Einheit übergibt der Nasa-Astronaut Andrew Feustel das Kommando auf der ISS an Alexander Gerst. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Berlin - Am Tag der Deutschen Einheit wird es nicht nur eine feierliche Rede von Kanzlerin Angela Merkel geben, sondern auch eine aus höherer Warte: Da übergibt der Nasa-Astronaut Andrew Feustel das Kommando auf der Internationalen Raumstation ISS an Alexander Gerst. Nasa-TV überträgt die Zeremonie am 3. Oktober von 16.10 Uhr an. Damit hat zum zweiten Mal ein europäischer Astronaut die Verantwortung für das Team an Bord.

 

Wie ist der Ablauf?

Die Raumstation ist mit zwei Teams aus je drei Astronauten besetzt. Wenn eine Crew die Station verlässt, hat die andere Halbzeit. Die scheidende Crew feiert nicht nur eine Abschiedsparty, sondern es gibt auch eine offizielle Übergabe, die an die alte Tradition des Wachwechsels in der Seefahrt anschließt: Der scheidende Kommandant legt dabei die Verantwortung in die Hände seines Nachfolgers, und beide besiegeln den Wechsel mit einem Handschlag. Zum guten Ton gehört es, nicht nur den Astronauten zu danken, sondern auch den Teams der Bodenstationen rund um den Globus.

Wie sie die Übergabe gestalten, ist den Astronauten überlassen. Manche haben sich symbolische Schlüssel übergeben, andere haben Glocken geläutet. Es sei ein bittersüßer Moment, sagte der Nasa-Astronaut Scott Kelly, der ein ganzes Jahr an Bord verbracht hat. Obwohl er sich auf zu Hause freue, falle ihm der Abschied nicht leicht. Der kanadische Astronaut Chris Hadfield fand ebenfalls bewegende Worte bei seinem Abschied, nur wenige Tage nach der Entdeckung eines Lecks, das der Mannschaft alles abverlangt hatte. Da die aktuelle Besatzung aufregende Wochen seit der Entdeckung des Bohrlochs in der Sojus hinter sich hat, ist es gut möglich, dass es auch am Mittwoch ein bewegender Abschied werden wird.

Wie arbeiten Kontrollzentrum und Crew im Alltag zusammen?

Das Leben an Bord wird rund um die Uhr vom Kontrollzentrum in Houston überwacht. Die Ärzte, Raumfahrtingenieure und Techniker am Boden regeln alles, was vom Boden aus für die Mission erledigt werden kann – sie drehen sogar die Heizung zu oder auf. So bleibt den Astronauten mehr Zeit für die Forschung. Arbeiten Astronauten im europäischen Columbus-Labor, schaltet sich außerdem das Kontrollzentrum der europäischen Raumfahrtagentur in Oberpfaffenhofen ein. Trotzdem braucht es einen Chef an Bord. Er leitet die tägliche Crew-Konferenz, er schlichtet eventuelle Streitigkeiten und sagt im Notfall, was Sache ist.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Die Entdeckung eines Lecks vor wenigen Wochen zeigt das Zusammenspiel von Kommandant, Crew und Boden. Ingenieure im Kontrollzentrum hatten einen – wenn auch minimalen – Abfall des Sauerstoffgehalts bemerkt. Daraufhin machte sich die Crew auf die Suche nach der undichten Stelle – und fand schon am selben Vormittag ein Bohrloch im Orbitalmodul des Sojus-Raumschiffs, mit dem Alexander Gerst im Juni zur ISS gereist ist. Sergej Prokopyev flickte das Loch mit Epoxidharz und Gewebeband. Die Entscheidung für dieses Vorgehen habe die Crew getroffen. Das Loch ist für den Rückflug kein Problem, weil dieses Modul beim Wiedereintritt abgesprengt wird und verglüht. Andrew Feustel, der aktuelle Kommandant, lobte das Teamwork der Besatzung sehr. Er verteidigte seine Kollegen auch gegen Spekulationen von Dimitri Rogozin, dem Leiter der russischen Raumfahrtbehörde. Rogozin hatte angedeutet, das Loch könnte von einem Astronauten an Bord gebohrt worden sein, um eine schnellere Rückkehr zur Erde zu erzwingen. Es war das erste Mal, dass jemand aus einer der beteiligten Organisationen öffentlich Vorwürfe gegen die Astronauten an Bord erhoben hat.

Wie oft gibt es Lecks?

Lecks sind nicht selten. Im Mai 2013 entdeckte ein Astronaut kleine Fontänen auf der Außenseite. Damals trat Kühlmittel aus. Bei einem außerplanmäßigen Außenbordeinsatz wurde das Leck behoben. Auch 2007 und 2010 hatte es schon ähnliche Probleme gegeben. Im Januar 2015 flüchteten die Astronauten in den russischen Teil der Station und riegelten den amerikanischen Teil komplett ab, weil man glaubte, es sei Ammoniak ausgetreten. Dass Ammoniak sich mit Wasser mischt, ist das gefährlichste Szenario für die Besatzung.

Was sind die künftigen Aufgaben von Alexander Gerst?

Es gibt einen Verhaltenskodex für die Mannschaft an Bord. Darin heißt es, der Kommandant trage die Verantwortung für das friedliche Miteinander. Seine Aufgabe ist es, Konflikte zu entschärfen. Dabei darf er sich nicht nur dem eigenen Arbeitgeber verpflichtet fühlen – er muss allen Parteien gerecht werden. Das ist wohl der Grund, warum sich Andrew Feustel öffentlich gewehrt hat – er verteidigte sein Team.

Wie viele Notfälle gibt es an Bord?

Bedenkt man, dass die Station seit knapp 18 Jahren ununterbrochen mit drei bis sechs Menschen besetzt ist, passiert erstaunlich wenig. Dennoch ist die Aufmerksamkeit eines Kommandanten ständig gefragt. Das zeigt das Beispiel von Luca Parmitanos Außenbordeinsatz im Juli 2013. Damals war ein Filter im Kühlungssystem des Anzugs verstopft, und mehr als ein Liter Wasser drang in den Helm ein. Parmitano drohte zu ertrinken. Seine Kollegen holten ihn rechtzeitig an Bord zurück. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatte der Anzug auch schon beim vorangegangenen Einsatz ein Leck, allerdings war es erst am Ende des Einsatzes bemerkt worden, und keiner hatte es für eine große Sache gehalten. Luca Parmitano wird bei seinem Flug 2019 ebenfalls Kommandant der Raumstation werden.