Ins evangelische Leben im Stuttgarter Westen kommt mächtig Bewegung: Drei Kirchengemeinden verschmelzen zur einer Einheit mit mehr als 8800 Mitgliedern.

S-West - „Lieber jetzt selbst das Heft in die Hand nehmen, um weitsichtig gerüstet zu sein, als in ein paar Jahren als Getriebene eines nicht aufhaltbaren Prozesses dazustehen.“ So bringt Heinrich Schmid, der geschäftsführende Pfarrer der Johannesgemeinde, auf den Punkt, was jüngst mit der Unterzeichnung einschlägiger Anträge an die Stadt und den Oberkirchenrat auf den Weg gebracht wurde: die Fusion der drei evangelischen Kirchengemeinden im Stuttgarter Westen – Johannes, Paulus und Paul Gerhardt – zur künftigen „Evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-West“.

 

Wenn dieser Plan mit dem 1. Dezember 2019 formal vollzogen wird, dann ist das zunächst verwaltungstechnisch relevant, denn dann haben die drei Kirchengemeinden eine zentrale Geschäftsführung mit einer weisungsbefugten Pfarrstelle. Deren Sitz wird im Johannes-Pfarrhaus an der Gutenbergstraße sein. Auch den Kirchengemeinderat wird es dann nur noch als ein Gremium geben. Damit endet eine lange Tradition, die mit der Aufsiedlung des Westen im ausgehenden 19. Jahrhundert begonnen hatte: mit Johannes als Ursprungsgemeinde (1882), der 1889 die Paulus- und 1926 die Paul-Gerhardt-Gemeinde folgten. Stattdessen entsteht mit Stuttgart-West eine große Einheit, die mit seinen aktuell 8802 Gemeindegliedern die größte Gemeinde der Württembergischen Landeskirche sein wird.

Mehrheiten für die Fusion

Weltuntergangsstimmung herrscht bei dem guten halben Dutzend Akteuren beim Gespräch über die Fusionspläne aber nicht. Ein ganz wesentlicher Grund dafür ist, dass die einzelnen Gemeinden im vergangenen Herbst jeweils mit großer Mehrheiten für die Fusion gestimmt hatten. Darin spiegelt sich auch die Einsicht in „gewisse Notwendigkeiten“. Und zwar mit Blick auf den Pfarrplan für 2030, wenn nach der aktuellen Stellenreduzierung mit einer weiteren, auf dann nur noch vier Pfarrstellen für das Gesamtgebiet gerechnet wird: „Wir glauben, dass wir mit der Fusion auf Dauer an jedem Kirchturm eine Pfarrstelle sichern können“, erläutert Astrid Riehl, designierte Pfarrerin von Paul Gerhardt. Die Kirchen würden ja ihre jeweiligen Namen behalten und die Pfarrämter vor Ort bleiben, was auch ein Stück Identität sichere, sagte der Kirchengemeinderat Herbert Staub. Zudem sei „der Westen sowieso ein sozial vielfältig verknüpftes Gebilde, in dem man sich kennt“, so Staub. Und nun wachse „zusammen, was zusammen gehört, aber nicht zu schnell“.

Es müsse auch „nicht zwingend alles anders werden, man kann eigene Themen weiter verfolgen“, ergänzt sein Kollege Jörg Einsfeld, setzt „Verlässlichkeit und Präsenz“ aber auch in Spannung zu „Aufbruch aus Bequemlichkeiten“. Chancen sehen in der Fusion auch die theologischen Akteure, denn neben dem noch zu findenden geschäftsführenden Pfarrer oder der Pfarrerin sehen sie sich entlastet von Verwaltungsaufgaben – mit der Aussicht, übergreifend für alle Schwerpunkte übernehmen und „über den einen Kirchturm hinausschauen zu können“, wie Sabine Löw von der Pauluskirche sagt: „So könnte Kirche vielfältiger präsent sein und sich dabei ein Stück neu erfinden.“ Ein Beispiel: „Ein Gebot der Stunde ist, etwas für Tauffamilien zu tun, denn es gibt viele Kleinkinder im Westen. Auch sonst können wir flexibler werden. Etwa mit Blick auf die vielen Studenten.“

Besonnenheit gefordert

Zusammengeführt werden auch die Haushaltbudgets, was das „Potenzial für Neid-Diskussionen“ enthalte, wie Riehl sagt: „Wenn es um die realen Bedarfe geht, brauchen wir Kirchengemeinderäte, die besonnen über den Kirchturm hinaus auf das Ganze schauen“, betont die Pfarrerin. Ein Ball, den Pfarrer Schmid, der im Herbst in den Ruhestand geht, auffängt: „Wir brauchen in diesem Prozess und in der neuen Einheit eine sehr gute Kommunikationskultur. Menschen, die mit einer hohen Bereitschaft, auch auf die Anderen zu schauen, unterschiedliche Stile wertschätzen“. Nebst dem „Vertrauen, dass aus dem Ganzen etwas Gutes werden kann“.

Die Fusion im Dezember soll musikalisch symbolträchtig begangenen werden: Mit der Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach, wobei jeweils zwei der sechs Kantaten über die Weihnachtszeit an den drei Kirchen-Standorten zu hören sein werden.