Die Meinungen über die erste EM mit 24 Mannschaften gehen auseinander. Der Trainer Lucien Favre etwa sagt: „Vor allem die Gruppenphase war unfassbar langweilig, ein Horror.“ Ein Pro-und-Kontra unserer Sportredaktion.

Paris - Die Vertreter der Europäischen Fußball-Union haben es einfach. Sie können die EM in Frankreich schlichtweg zum Erfolg erklären. Gemessen an dem vielen Geld, das die Uefa eingenommen hat. Ausgerichtet auch an der großen Terrorismusgefahr, die bestanden hat – und die Spiele bis zuletzt begleitete. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt zum Beispiel der Turnierdirektor Martin Kallen.

 

Die Kritik am fußballerischen Gesamtniveau aber ist groß. „Vor allem die Gruppenphase war unfassbar langweilig, ein Horror“, sagte der frühere Bundesligatrainer Lucien Favre dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ – und sprach vielen Fachleuten und Fans wohl aus der Seele.

Der Grund für den Missmut: der Modus des XXL-Turniers, da selbst vier Gruppendritte noch weiterkamen. Und was ursprünglich der Spannung dienen sollte, weil es ja dann im dritten und letzten Gruppenspiel auch noch um etwas gehen würde, entpuppte sich als graue Theorie.

In der Praxis spielten die Mannschaften lieber auf Sicherheit anstatt auf Risiko, was sich am Toreschnitt der Vorrunde zeigt: 1,92 Treffer pro Partie. Mit Ausnahme der Mini-EM 1968 war nie ein großes Turnier torärmer als die Maxi-Version der EM 2016. In den K.-o.-Begegnungen steigerte sich die Zahl vor dem Finale auf 2,14 Tore pro Spiel. Doch die Kritik an der Spielweise blieb: zu viel Taktik, zu wenig Tempo.

War die erste EM mit 24 Mannschaften also ein Erfolg?

Ein Pro-und-Kontra aus unserer Sportredaktion.

Pro: Der Fußball ist kein elitärer Kreis

Natürlich muss man hinter der Aufstockung der Fußball-Europameisterschaft von bislang 16 auf in Frankreich 24 Mannschaften nicht gleich den Wohlfahrtsgedanken vermuten. Im Profisport geht’s ums Geld – und klar ist: Je mehr Spiele, desto mehr Werbeeinnahmen. Je mehr Übertragungen, desto mehr Erlöse aus den TV-Rechten. Und je mehr teilnehmende Länder, desto mehr Werbemärkte. Der Fußball ist längst eine Art Gelddruckmaschine – aber warum, bitteschön, soll dann nur ein elitärer Kreis davon profitieren? 24 Teams konnten sich in den vergangenen Wochen auf großer Bühne präsentieren. Was sie daraus machen, bleibt zwar zuvorderst den jeweiligen Nationalverbänden überlassen. Im Idealfall aber stecken sie die generierten Einnahmen in die Entwicklung des Fußballs in der Heimat – und damit in die Jugend. So weit die monetäre Sicht – doch es gibt noch eine andere.

Die Fußball-Festspiele in Frankreich mögen fußballerisch nicht immer auf Topniveau abgelaufen sein. Aber sieht man einmal von den hässlichen Krawallen zu Beginn des Turniers ab, hat sich in den Stadien dann doch noch eine wunderschöne Party entwickelt – woran jene Fans besonderen Anteil hatten, die nicht gerade als EM-Stammgäste gelten. Iren, Nordiren, Isländer und Waliser sorgten auf den Rängen für eine große und vor allem friedliche Show. Zusammen mit den Anhängern der etablierten Nationen ergab sich so ein Stimmungsmix, der in einem 16er-Turnier so nicht möglich gewesen wäre. Dass in Deutschland nicht die ganz große Euphorie ausgebrochen ist, hatte andere Gründe – fürs schlechte Wetter und den schwerfälligen Start ins Turnier der DFB-Elf kann die Uefa ausnahmsweise mal nichts.

Und überhaupt: Ein zusätzliches Spiel hatten die Finalisten auf dem Weg ins Endspiel gegenüber früher zu absolvieren. Das sollte keinen überfordern, klar ist aber auch: Noch mehr darf nicht sein – sonst ist die Qualifikation irgendwann überflüssig. (Dirk Preiß)

Kontra: Die Geldgier der Verbände macht die EM kaputt

Endlich ist sie vorbei. Diese EM zog sich durch die Aufstockung auf 24 Mannschaften und die damit verbundene längere Dauer angesichts der zusätzlichen Achtelfinale-Runde so endlos hin wie die Verschiebung der Kontinentalplatten. Ein XL-Turnier mit XS-Begeisterung.

Es gab viele Gründe, warum diese EM kein Fußball-Rausch war. Das schlechte Wetter, die Randale zu Beginn des Turniers, die allgegenwärtige Angst vor Terror.

Aber es war vor allem der Sport, der viele Zuschauer nicht in den Bann gezogen hat. Es war ein Defensivfestival in der Vorrunde ohne Tempo, es gab Dutzende Partien, die jenseits der Fans der jeweiligen Duellanten keinen interessiert haben dürften, und ohnehin überspielte Stars mussten am Ende einer langen Saison mit viel zu vielen Spielen eben noch einmal mehr kicken als zuletzt. Wir zitieren Lucien Favre aus dem „Spiegel“: „Vor allem die Gruppenphase war unfassbar langweilig, ein Horror“, Schuld sei die Aufstockung. Recht hat er. Mehr Teilnehmer sind eben nicht gleichbedeutend mit einer Bereicherung, sondern einzig mit einer Verwässerung des Niveaus.

Es wird natürlich niemand von der Uefa gezwungen, sich das ganze Gekicke anzugucken. Und wer wie der europäische Verband zum Beispiel auf die TV-Quoten dieser EM schaut, muss sagen: alles richtig gemacht. Folgerichtig wird über eine Aufstockung auf 32 Nationen nachgedacht; die WM wird bald mit 40 Teams gespielt werden. Mehr Teilnehmer, mehr Spiele, mehr Geld! Die Champions League hat es vorgemacht (und die Königsklasse ebenso verwässert).

In ihrer grenzenlosen Geldgier überfluten die Verbände die Welt mit Spielen, bis es selbst dem fanatischsten Fan irgendwann zum Hals rauskommt – übrigens geht das Bläh-Programm auch auf Kosten vieler anderer toller Sportarten, denen die Supermacht Fußball wie nun bei der EM wieder eine Woche abgeknöpft hat. Gefühlsmäßig ist das Limit erreicht. Irgendwann platzt diese völlig überhitzte Fußball-Blase. (Tobias Schall)