Vor 60 Jahren feierte Deutschland den ersten Weltmeistertitel. Und 40 Jahre ist es her, dass Gerd Müller die Nationalelf mit dem Treffer zum 2:1 gegen Holland zum zweiten Mal triumphieren ließ. Zeitzeugen aus dem Altkreis erinnern sich.

Leonberg - „Jetzt Deutschland am linken Flügel durch Schäfer. Schäfers Zuspiel zu Morlock wird von den Ungarn abgewehrt – und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal, gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ Die legendäre Fernsehreportage von Kommentator Herbert Zimmermann zum WM-Endspiel 1954 der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn haben viele Menschen erst nachträglich gesehen und zu Gehör bekommen. Der Grund: Fernsehen ist ein noch junges Medium. Im Dezember 1952 startet in der Bundesrepublik Deutschland das tägliche Fernsehprogramm, gesendet aus Hamburg. Es werden 4000 Fernsehgeräte verkauft.

 

Nach dem Schlusspfiff drängt alles auf die Straße

Auch im Hause Staudt in Leonberg gibt es im Jahr 1954 noch keinen Fernseher. Dafür aber eine Tante, die in Perouse das Gasthaus Ochsen betreibt. Zwei Fernsehgeräte von Radio Krämer in Leonberg wurden ausgeliehen, im Ochsen auf zwei übereinander gestellten Tischen platziert – und dann ging es mit Mann und Maus nach Perouse. Erwin Staudt, der spätere Präsident des VfB Stuttgart, kann sich noch gut daran erinnern. Es war mächtig was los im Saal, der mit über 50 Menschen gefüllt war. Die Kinder hatten Mühe einen Blick auf den Bildschirm – mit einer 43-Zentimeter-Diagonalen – zu erhaschen. „Nach dem Schlusspfiff gab’s ein wahnsinniges Gehupe und viele Autos auf der Straße“, erinnert sich Staudt, „für die Menschen muss das damals etwas ganz Überragendes gewesen sein.“

Den zweiten Titel 1974 erlebte er dann in der ersten eigenen Wohnung und das sogar schon in Farbe. „Ich schaue Fußball am liebsten alleine“, sagt Erwin Staudt, „oder mit meinem Bruder – der redet nichts.“ Deshalb dürfte die Weltmeisterschaft in Brasilien für den 66-Jährigen eine harte Prüfung werden. Zusammen mit Fernsehmann Marcel Reif und dem ehemaligen VfB-Trainer Jürgen Röber ist er vom 24. Juni an zwei Wochen lang als Experte auf der MS Europa zu Gast. Alleine wird er da die Begegnungen wohl nicht verfolgen können. „Aber bis zum Endspiel“, schiebt er noch schnell nach, „bin ich dann wieder daheim.“

Die Familie Linge sitzt in Weissach vor dem Radio

Zu Hause wird auch die Weissacher Motorsport-Legende Herbert Linge das Großereignis in Brasilien verfolgen. In erster Linie die Deutschlandspiele. Und er erwartet Großes. „Ins Halbfinale sollten sie schon kommen“, meint Linge, der gestern seinen 87. Geburtstag gefeiert hat. 1954 war für ihn an Fernsehen noch nicht zu denken. Die Familie lauschte der Radio-Reportage. Bis ihn eine Knieverletzung außer Gefecht setzte, spielte auch Herbert Linge Fußball – als Torwart beim TSV Weissach. Während der WM beschäftigte ihn damals jedoch ein ganz anders Thema. Herbert Linge steckte mitten in den Vorbereitungen auf die Mille Miglia, einem Autorennen über 1000 Kilometer auf öffentlichen Straßen in Norditalien. Als Beifahrer von Hans Hermann bestritt er seinen ersten internationalen Einsatz im Porsche Spider 550.

Gastgeber Brasilien und Spanien sind die Titelfavoriten für Jürgen Sundermann. Was seiner Meinung nach aber auch nicht überbewertet werden darf. „Die die da sind, können alle etwas“, sagt der Meistermacher des VfB Stuttgart, „eine echte Vorhersage zu machen., ist gar nicht möglich.“ 1954 sprach alles für die Ungarn – und am Ende kam im Berner Wankdorfstadion alles ganz anders. Der damals 14-Jährige erlebte das Spiel in einer Kneipe in Mühlheim an der Ruhr. Die befand sich – inklusive Fernseher – im Erdgeschoss des Elternhauses. Nach der Partie haben die Erwachsenen kräftig gefeiert und die Kinder draußen Fußball gespielt. Sundermann: „Damals ging das noch auf der Straße, auch wenn es die Hauptstraße war.“

Einige der WM-Helden von 1954 persönlich. Als Spieler von Rot-Weiß Oberhausen lieferte sich das inzwischen seit 32 Jahren in Leonberg wohnende Fußball-Urgestein aus dem Kohlenpott einige heiße Duelle mit Rot-Weiß Essen. Und in den Reihen des Gegners stand auch ein gewisser Helmut Rahn. . .