Im DFB-Team gibt es viele Fußballkünstler – einen echten Stürmer aber gibt es nur in Miroslav Klose. Das könnte zu einem großen Problem werden.

Hannover - Die Tage in Hannover wird Miroslav Klose sehr zügig aus seiner Erinnerung zu streichen versuchen. Trotz guter Chancen gelang im am Freitagabend kein Tor beim 3:0-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Färöer. Und sein ansonsten untrügerischer Instinkt, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, ließ ihn auch am Tag darauf im Stich, als sich Klose auf einen ausgedehnten Waldspaziergang begab: „Ich habe versucht, den einen oder anderen Pilz zu finden – das ist mir leider nicht gelungen.“

 

Besonders geknickt dürfte Klose heute Vormittag dennoch nicht das Flugzeug besteigen, das die deutsche Auswahl von Hannover nach Wien befördert. Denn der Angreifer kann ganz sicher sein, dass sich schon morgen (20.45 Uhr/ARD), im zweiten WM-Qualifikationsspiel gegen Österreich, die Gelegenheit bietet, zu alter Treffsicherheit zurückzufinden. Wer sollte auch sonst stürmen? Es gibt im 22-Mann-Kader des Bundestrainers Joachim Löw nur ihn, den 34 Jahre alten Profi von Lazio Rom mit der Erfahrung von 123 Länderspielen.

Viele Mittelfeldkünstler, keine Vollstrecker

Gewaltig ist im deutschen Fußball mittlerweile die Auswahl an hochbegabten jungen Kräften, die um die Plätze im offensiven Mittelfeld rangeln. Gegen die Faröer passten sich Mesut Özil (23), Marco Reus (23), Thomas Müller (22) und Mario Götze (20) um den Strafraum herum die Bälle zu; als Reservisten kamen neben Lukas Podolski (27) auch André Schürrle (21) und Julian Draxler (18) in die Partie und versuchten auf die gleiche Weise, den Ball ins Tor zu tragen. Für die Position ganz vorne im Angriffszentrum jedoch, dort also, wo in der Vergangenheit Leute wie Gerd Müller („Der Bomber“) oder Horst Hrubesch („Das Ungeheuer“) schnörkellos vollendeten, stockt der Nachschub an frischen Kräften schon seit Jahren. Und mit Blick auf die WM 2014 in Brasilien scheint keiner in Sicht, der an dieser Situation etwas ändern könnte. Da der Münchner Mario Gomez (27) derzeit am Sprunggelenk verletzt ist, sieht Joachim Löw „im Moment auf dem internationalen Topniveau nur Klose“.

Die Ursachenforschung ist beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) in vollem Gange. „In der Ausbildung der Spieler wurde in den vergangenen Jahren das Hauptaugenmerk auf die Technik gelegt“, sagt der Teammanager der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff. Das hat zwar erfreulicherweise dazu geführt, dass das Offensivspiel des DFB-Teams inzwischen von Fußballkünstlern wie Özil geprägt wird, dem zweifachen Torschützen gegen die Färöer. Der Nebeneffekt dieser Spezialisierung jedoch ist eher unerfreulich, denn richtige Stürmer sind kaum mehr hervorgekommen.

Die Ausbildung von Stürmern wird verändert

„Früher hatte man in Deutschland nur die Klopper, jetzt man nur die Techniker“, sagt Bierhoff. Man bräuchte auch mal wieder jemanden, „der einfach kaltschnäuzig den Ball im Netz versenkt“. Im Dialog mit dem DFB-Sportdirektor Robin Dutt wird momentan versucht, die Ausbildung zu modifizieren, auf dass auch wieder Torjäger die Fußballinternate verlassen. „Das ist ein langfristiger Prozess“, sagt Joachim Löw – und hat nur begrenzte Hoffnung, dass sich bis zur WM in knapp zwei Jahren etwas Grundlegendes an der derzeitigen Situation verändert.

Es erschwert die Sache zusätzlich, dass in die Philosophie des Bundestrainers klassische Mittelstürmer, die nur im Strafraum auf ihre Chance lauern, nicht recht passen mögen. „Flexibel und technisch hervorragend“ müssen moderne Stürmer sein, sagt Löw, es seien „intelligente Spieler“ gefragt, „die eine gedankliche Frische und eine Vielfalt an Lösungen mitbringen“. Dieses Anforderungsprofil erfüllt kaum einer, selbst Mario Gomez wird von ständigen Zweifeln begleitet. Und auch in der größten Personalnot wartet beispielsweise der Leverkusener Stefan Kießling, der in der Bundesliga seit Jahren verlässlich seine Tore schießt, vergeblich auf eine weitere Einladung ins Nationalteam. Stattdessen nennt Löw immer wieder den Namen Marco Reus, wenn es um die Frage geht, wer außer Klose in vorderster Front spielen könne.

Joachim Löw mag das System der Spanier

Während sich der frühere Angreifer Bierhoff („Mir gefällt es nicht, wenn vorne drin gar keiner mehr steht“) für den Erhalt des Mittelstürmers ausspricht, hegt Löw also offenbar einige Sympathien für das Modell der Spanier. Sie haben bei der EM in Polen und der Ukraine bisweilen ohne gelernten Mittelstürmer agiert und auf diese Weise den dritten großen Titel nacheinander gewonnen.

Vorerst aber braucht Miroslav Klose um seinen Platz nicht zu fürchten. „Bei uns sind Stürmer gefragt, die sich in den Spielfluss eingliedern und auch nach hinten arbeiten“, sagt er – Stürmer also wie Miroslav Klose. Bis zur WM 2014 in Brasilien, so scheint es, wird er der modernste Angreifer im deutschen Fußball bleiben – auch wenn er dann 36 Jahre alt sein wird und der einzige Spieler in der deutschen Nationalmannschaft ist, der nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet worden ist.