Dem Bundestrainer wird nach dem 0:6-Debakel gegen Spanien das Vertrauen ausgesprochen. Gleichzeitig wird der Sturm der Entrüstung größer – und die Rufe nach einer Rückkehr der Weltmeister Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller wieder lauter.

Sport: Marco Seliger (sem)

Sevilla/Stuttgart - Auf den rund 400 Kilometern von München in Richtung Freiburg gab es im Shuttle des DFB einiges zu besprechen für den Verbandspräsidenten Fritz Keller und seinen Bundestrainer Joachim Löw. Am Mittwochmittag ging es nach der Landung am Münchner Flughafen im Auto in Richtung der gemeinsamen Heimat im Schwarzwald – und schon vorher war klar: Auch übergeordnet bestreiten die beiden weiter einen gemeinsamen Weg.

 

Denn Joachim Löw darf weitermachen, das war die Nachricht des Tages am Mittwoch. Gleich nach der Landung in München bekam der Bundestrainer bei einem kurzen Krisengespräch mit Fritz Keller und dem Verbandsdirektor Oliver Bierhoff noch am Flughafen das entscheidende Signal: Es geht weiter mit ihm in Richtung der EM 2021. Trotz dieses epochalen 0:6 vom Dienstagabend in der Nations League gegen Spanien in Sevilla. Trotz der nicht erst seit dem Desaster heftigen Kritik am Bundestrainer und seinem Neuaufbau.

Treue-Bekenntnis von DFB-Chef Keller

„Wir haben uns bewusst entschieden, den Umbruch mit vielen neuen und jungen Spielern mit Perspektive zu vollziehen. Dieser Weg kann, wie man in Sevilla gesehen hat, der steinigere sein und auch zu schmerzhaften Niederlagen führen“, ließ der DFB-Chef Keller in einer am Mittwochnachmittag veröffentlichten Erklärung verlautbaren. Den Namen Löw erwähnte der 63-Jährige darin allerdings nicht, was Raum für Spekulationen über die Dauer dieses Treuebekenntnisses ließ.

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Fakt ist: Einen Rücktritt des Joachim Löw wird es wie schon nach dem WM-Debakel 2018 nicht geben, der Bundestrainer bleibt im Amt – und mit ihm bleiben viele Fragen. Wie also geht es jetzt weiter in Richtung Europameisterschaft? Und vor allem: mit wem? Die Rufe nach einer Rückkehr der von Löw Anfang 2019 ausgebooteten Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng wurden nach dem Debakel von Sevilla nur noch lauter. Löws Haltung aber hat sich offenbar trotz des 0:6 vom Dienstag nicht verändert „Zum richtigen Zeitpunkt“ wolle er über diese Frage befinden, sagte er zunächst – und ergänzte dann etwas sperrig: „Das Vertrauen in meine Mannschaft ist jetzt im Moment nicht völlig erschüttert. Diese junge Mannschaft hat auch die Fähigkeit, sich so zu entwickeln, dass wir eine leistungsstarke, konkurrenzfähige Mannschaft haben.“

Eine Frage der Mentalität

Mit dieser Meinung aber steht der Bundestrainer zusehends einsamer da, denn nach dem peinlichen Auftritt seiner Elf in Sevilla stellt sich nicht nur die Frage nach der Qualität, sondern auch jene nach der Mentalität. Wo waren etwa Toni Kroos, Leon Goretzka oder auch Ilkay Gündogan im Mittelfeld, als die deutsche Elf am Dienstag unterging, wo waren die Mitreißer auf dem Platz, die voran marschierten? Der derzeit an einer Meniskusverletzung laborierende Joshua Kimmich vom FC Bayern jedenfalls fehlte an allen Ecken und Enden. Er scheint der einzige Profi zu sein, der das fragile Gebilde namens DFB-Elf führen kann auf dem Platz, und das auch verbal. Ohne Kimmich herrschte nun die große Stille, die in den krachenden Untergang führte – weshalb etliche Experten nun wieder die Rückkehr der ausgebooteten Weltmeister von 2014 forderten.

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Stellvertretend dafür stehen die jüngsten Aussagen von Bastian Schweinsteiger: „Ich weiß, dass solche Spieler wie Jérôme Boateng oder Thomas Müller das Triple gewonnen haben mit dem FC Bayern München. Sie sind die beste Mannschaft Europas. Die spielen in der ersten Elf, die haben Qualität. Das sind deutsche Spieler. Warum nicht für die Nationalmannschaft?“, stellte der WM-Held von Rio noch als TV-Experte im ARD-Studio am Dienstagabend eine rhetorische Frage.

Rolle rückwärts? Wohl kaum.

Allerdings: Es wird ja gerne mal vergessen bei den geballten Forderungen nach einer Rückkehr, dass Hummels, Müller und Boateng bei der WM 2018 zu den großen Enttäuschungen gehörten. Und hinterher beim 0:3 in Amsterdam gegen die Niederlande im Herbst 2018 für die bis Dienstag höchste Löw-Niederlage mitverantwortlich zeichneten. Und dass es zumindest unter diesem Bundestrainer so gut wie ausgeschlossen ist, dass Hummels, Müller und Boateng zurückkehren – denn mit einer Rolle rückwärts würde Löw sein Gesicht verlieren.

Wie lange aber wird dieser Löw auf Sicht überhaupt noch verantwortlich sein für die DFB-Elf? Noch in Sevilla stand ihm der Verbandsdirektor Oliver Bierhoff verbal zur Seite. „Das Vertrauen ist da, daran ändert auch dieses Spiel nichts“, sagte er. Als Löws Vorgesetzter hatte er aber schon vor dem Spiel mit Interviewaussagen eine gewisse Distanz zum alten Weggefährten aufgebaut, als er davon sprach, den Weg des Umbruchs bis zur EM 2021 mitzugehen. Und eben nicht länger. Wie dauerhaft das Bekenntnis von Keller und Bierhoff zu Löw nun ist, wird sich also erst noch zeigen.

Ralf Rangnick jedenfalls wurde schon am Mittwoch als ebenso verfügbarer wie kompetenter Kandidat in der Not gehandelt, auch über den aktuellen U-21-Nationalcoach Stefan Kuntz wurde schon als möglicher Löw-Nachfolger spekuliert. „Ob ich mir Sorgen um meinen Job machen muss, müssen sie andere fragen“, sagte Löw noch am Abend nach dem 0:6 in Sevilla.

Tags darauf war die Frage beantwortet. Zumindest vorerst.