Der Fußball fasziniert auch in Fellbach und Kernen: Wir stellen in dieser Serie Akteure vor, die besondere Momente und besondere Erfolge erlebt haben. Heute: Holger Kimmich, 52, Vorkämpfer und Inbegriff des Mannschaftsspielers beim SV Fellbach.

Rems-Murr: Thomas Rennet (ren)

Fellbach/Cuxhaven - Einmal ist er bei einer Ausfahrt mit der Mannschaft in einen Gebirgsfluss gesprungen. Der Ball, auf einem Parkplatz mit mehr Wums als Feingefühl ins Wasser getreten, musste gerettet werden. Also kämpfte der Fußballer als Schwimmer („Es war kälter, als ich gedacht hatte“) gegen die recht unwirtliche Umgebung. Das muss sich ein paar sehr lange Minuten so fortgesetzt haben. So lange, dass auf dem Parkplatz die Besorgnis wuchs. Was, wenn der verrückte Kerl jetzt einfach untergeht? Doch der flugs in seinen Unterhosen Eingetauchte zerstreute die Bedenken, er tauchte dann doch wieder – pitschnass – an Land auf. Den Ball hatte er natürlich dabei. Einer wie Holger Kimmich geht so schnell nicht unter. Die Geschichte, aus dem Gedächtnis gekramt von Augenzeugen, passt wunderbar zu dem in vielerlei Hinsicht unverwüstlichen Sportsmann, der zehn Jahre lang im Trikot des SV Fellbach sich und seine Gegenspieler strapazierte. Holger Kimmich hat sich auch auf dem Fußballplatz in unnachahmlicher Weise eingebracht. Er war ein Mannschaftsspieler durch und durch. Je knackiger die Situation war, je besorgniserregender womöglich, desto sicherer konnte man sich sein, dass mittendrin Holger Kimmich wühlte.

 

Der beste Spieler des SVF in den vergangenen vier Jahrzehnten

Ganz gut beschreibt ihn, den Vorkämpfer ohne jede Veranlagung zur Weinerlichkeit, wohl auch eine Erzählung, die auf das Jahr 1997 zurückgeht. In der Nachspielzeit hatte Holger Kimmich damals bei den Sportfreunden Schwäbisch Hall das viel umjubelte Tor zum 3:3-Ausgleich geköpfelt. In dieser Begegnung hatte sein Teamgefährte Stephan Lehmann allerdings zweimal die gelbe Karte gesehen – ein Regelverstoß, der ein Wiederholungsspiel nach sich zog. Wenig später also musste Holger Kimmich mit seinen Teamgefährten erneut nach Schwäbisch Hall fahren. Dumm gelaufen? Eher nicht: Diesmal erzielte er drei Treffer beim 4:0-Erfolg des SV Fellbach, der daraufhin auch deshalb aus der Landes- in die Verbandsliga aufsteigen sollte. „Einmalig – der Typ“, sagt Norbert Lindmayer, eine Art Lexikon der Abteilung mit eigener Wirkungszeit in verschiedenen Funktionen: „Das war eben Holger Kimmich. Für mich war das zweite Spiel in Schwäbisch Hall sein größtes. Und für mich war er in den vergangenen vier Jahrzehnten der beste Spieler des SVF.“

Nach Fellbach wollte der flinke Medizinstudent erst gar nicht dringend wechseln. Als junger Draufgänger war er von der SpVgg Stuttgart-Ost, seinem Heimatverein, beim SV Stuttgart-Rot in der Verbandsliga angekommen. Mathias Fischer, damals Außenverteidiger und heute Abteilungsleiter an der Esslinger Straße, war allerdings schon zu jener Zeit, anno 1990, ein guter Kumpel. Einer, der nicht locker lassen wollte. „Er hat so lange gedrängt, bis ich nachgegeben habe“, sagt Holger Kimmich und lacht. Die Entscheidung war ganz in Ordnung: Er blieb zehn Jahre.

Der erste Teil der Saison 1999/2000 ist in allerfeinster Erinnerung

Mit Mathias Fischer verband ihn schon vor der gemeinsamen Fußball-Dekade der Studienort. Der eine durchlief in Tübingen den Weg zum Juristen, der andere jenen zum Arzt. Der sportliche Neubeginn an Mathias Fischers Seite entsprach auch deshalb Holger Kimmichs Plänen, weil er nicht mehr so oft zum Training anreisen wollte wie noch davor in der Verbandsliga. Beim SV Stuttgart-Rot kam er dreimal pro Woche zu den Übungseinheiten aus Tübingen, an der Esslinger Straße ist er dann bloß noch zweimal eingetroffen. Sein Studium verging, ehe er sich mit den Teamgefährten in Fellbach – und auch den drei Treffern in Schwäbisch Hall – aus der Landes- in die Verbandsliga aufgeschwungen hat. Auf höchstem Niveau in Württemberg ist der erste Teil der Saison 1999/2000 nach wie vor in allerfeinster Erinnerung. „Bis zur Winterpause haben wir überragend gespielt. Es war extrem, wie alles zusammengepasst hat“, sagt Holger Kimmich. Der Vorsprung auf die Konkurrenz war mit acht Punkten überaus komfortabel, er schwand nach der Jahrtausendwende dennoch rasch dahin. Die Sportfreunde Dorfmerkingen verabschiedeten sich in Richtung Oberliga. Dem SV Fellbach blieb bloß der vierte Platz – auch das war jedoch noch das beste Abschneiden in der Historie der Fußballabteilung.

Holger Kimmich arbeitete zu jener Zeit bereits als Assistenzarzt in Riedlingen. Der Aufwand war groß. Auch wenn er in der Nachbarschaft beim FV Altheim mittrainieren konnte, musste „der Vollgasfußballer“ (Norbert Lindmayer) sehr viele Stunden hinter Autoscheiben absitzen. Die Alleinfahrten zurück in Richtung Riedlingen waren selbst nach Siegen spaßfrei. Also beendete Holger Kimmich seine Zeit beim SV Fellbach. Er wirbelte noch ein paar Monate für den FV Altheim in der Kreisliga A – bis er sich einen Kreuzbandriss zuzog. Fußball spielt er aber längst wieder und immer noch. Nunmehr jedoch in Cuxhaven. Dort, direkt an der Nordsee in Sahlenburg, nahm er am 1. November 2001, eine Stelle als Orthopäde an.

Holger Kimmichs Söhne sind bestens ausgebildete Talente

Holger Kimmich, mittlerweile 52, fühlt sich mit seiner Ehefrau Inka wohl in der neuen Heimat. Die Familie wohnt im Stadtteil Altenwalde. Die Söhne Pirmin, 17, und Laurin, 15, sind, auch als Auswahlspieler, bestens ausgebildete Fußballtalente. Und der Vater ist bei den Sportfreunden Sahlenburg Spielertrainer der Senioren. Mit 50, das nur nebenbei, hat der Oberarzt zuletzt in Cuxhaven noch einmal unter den jüngeren Männern ausgeholfen. So gut wie alle Mit- und Gegenspieler hätten seine Kinder sein können.

Auch die Freundschaft zu den Fußballern des SV Fellbach hat er aufrechterhalten, vorneweg jene zum Abteilungsleiter. Holger Kimmich und Mathias Fischer telefonieren nach wie vor jeden Sonntag vor der Tagesschau miteinander.