Joshua Kimmich spricht über seinen Aufstieg in München und in der Nationalelf, Vorgänger Philipp Lahm, seine Flexibilität – und unterschiedliche Anforderungen an einen Rechtsverteidiger.

Sport: Marco Seliger (sem)

Eppan - Joshua Kimmich (23) ist ein höflicher junger Mann, und so kommt es, dass er sich am Dienstagnachmittag auf der Terrasse des Mannschaftshotels in Eppan kurz vorstellt, obwohl das im Grunde ja gar nicht mehr nötig ist. „Hallo, ich bin der Joshua“, sagt der Nationalspieler des FC Bayern München. Es folgt ein fester Händedruck – und ein Gespräch am Bistrotisch.

 
Herr Kimmich, wie geht es Ihnen?
Danke, sehr gut. Aber warum fragen Sie?
Nun ja, weil Sie nach dem jüngsten Testspiel gegen Österreich extrem ausgelaugt und müde wirkten.
Das stimmt, da war ich extrem platt.
Sie sind ein so genannter Vielspieler – vor zwei Jahren die EM, 2017 der Confed-Cup, jetzt kommt die WM, und dazwischen gab es permanent englische Wochen mit dem FC Bayern. Bräuchten Sie gerade nicht einmal eine Sommerpause?
Nein, ich fühle mich jetzt schon wieder total fit. Dass ich am Samstag so platt war, lag auch nicht an der langen Saison, sondern am Spiel und an den Trainingseinheiten. Jetzt geht es wieder weiter.
Haben Sie eigentlich ein Fitnessgeheimnis?
Ich bin immer offen für Neues. Hier in Südtirol habe ich zum Beispiel Yoga für mich entdeckt, das mache ich öfters im Hotel; dazu immer sehr viel Stretching und auch Kräftigungsübungen vor dem Training. Man muss schon auf seinen Körper achten.
Wenn man so will, hat Sie Ihr Körper zuletzt oft zu Höchstleistungen getrieben. Müssen Sie sich manchmal noch selbst zwicken, um Ihren rasanten Aufstieg zu realisieren?
Vor vier Jahren, als die Jungs in Brasilien Weltmeister wurden, da war ich noch mit RB Leipzig (damals Zweiter in der dritten Liga, d. Red.) im Trainingslager und habe mit meinen Mitspielern die WM geschaut. Es ging schon schnell, ja (lacht).
2014 war Philipp Lahm am Ende des WM-Turniers Rechtsverteidiger. Sie sind beim FC Bayern und in der Nationalelf sein Nachfolger – und haben es dank starker Leistungen geschafft, dass kaum noch einer von ihm redet.
Aber Sie reden doch gerade über ihn.
Ja. Aber gerade deshalb, weil es sonst keiner mehr macht. Wie haben Sie es geschafft, die Fußstapfen auszufüllen?
Philipp war der beste Außenverteidiger der Welt, ihn kann man eh nie eins zu eins ersetzen. Ich habe versucht, meine eigene Note reinzubringen und zu schauen, wie ich dem Team auf der Position helfen kann.
Das dürfte nicht einfach gewesen sein, schließlich sind Sie von Haus aus ein zentraler Mittelfeldspieler. Wie kam es eigentlich zum Positionswechsel– und wie haben Sie gelernt, sich hinten rechts zurechtzufinden?
Das war ein schleichender Prozess. Ich komme ja sogar von der Achter-Position aus dem Mittelfeld, dann ging es irgendwann auch mal zurück auf die Position vor der Abwehr – und dann hat mich Pep Guardiola (Ex-Trainer des FC Bayern München, d. Red.) bekanntermaßen ja mal als Innenverteidiger aufgestellt. Bei Bayern kam ich dann auch mal hinten rechts zum Zug – und in der Nationalelf hat mich Joachim Löw dann als Rechtsverteidiger für die EM 2016 in Frankreich im Auge gehabt.
Wie haben Sie diese Rolle für sich angenommen?
Na ja, ich habe erst mal drauflosgespielt und es so gemacht, wie ich es selbst eben machen würde.
Und dann?
Kamen die Videoanalysen mit dem Trainerstab der Nationalelf (lacht). Thomas Schneider und Marcus Sorg haben mir aufgezeigt, was auf dieser Position wichtig ist für unser Spiel – und ich habe es versucht umzusetzen.
Was ist denn wichtig als Rechtsverteidiger der Nationalelf?
Wenn wir in Ballbesitz sind, muss ich weit nach vorne aufrücken. Meine Position ist dann meist dort, wo der Außenverteidiger des Gegners steht.
Und wie spielt Joshua Kimmich in München als Rechtsverteidiger?
Beim FC Bayern spiele ich ein bisschen anders. Da steht meist Arjen Robben auf dieser vorderen Position; ich soll mehr aus der Tiefe kommen und hinterlaufen. In der Nationalelf haben wir ein etwas anderes Positionsspiel, deshalb soll ich mich bei Ballbesitz früher nach vorne orientieren.
Sie sind also nicht nur auf mehreren Positionen flexibel einsetzbar. Woher kommt eigentlich Ihre Vielseitigkeit – und sehnen Sie sich nicht manchmal nach Ihrer Stammposition im Mittelfeld zurück?
Mein großer Vorteil ist, dass ich schon in der Jugend, unter anderem beim VfB Stuttgart, auf mehreren Positionen im Mittelfeld ausgebildet wurde. Das hat mir später überall dabei geholfen, auf meine Einsätze zu kommen, diese grundsätzliche Flexibilität hat mir überall Türen geöffnet – auch, dass Pep Guardiola mich in München mal hat als Innenverteidiger spielen lassen. Ich habe die Position hinten rechts irgendwann mal als Riesenchance als junger Profi begriffen. Wer weiß, vielleicht hätte ich woanders auf dem Platz erst mal weniger Einsatzzeiten bekommen.
Beim FC Bayern München sind Sie eine feste Größe, in der Nationalelf ebenso – Joachim Löw hat Sie kürzlich als einen seiner kommenden Führungsspieler bezeichnet. Wie sehen Sie Ihre aktuelle und künftige Rolle?
Ich bin kein großer Lautsprecher, bei uns geben derzeit Manuel Neuer, Sami Khedira, Mats Hummels, Thomas Müller oder Toni Kroos den Takt vor. Das sind ja im Gegensatz zu mir auch alles Weltmeister, und sie bleiben es für immer. Toni Kroos gewinnt dazu noch ab und zu mal die Champions League, da muss ich mir schon immer den Respekt bewahren (lacht). Ich will nicht durch schlaue Kommentare auffallen, sondern durch konstant gute Leistungen. Aber wenn mir etwas auf dem Platz auffällt, dann sage ich das schon auch.
Herr Kimmich, werden auch Sie sich bald Weltmeister nennen dürfen?
Wir haben noch eineinhalb Wochen Zeit bis zum ersten WM-Spiel, um uns zu weiter zu verbessern. Es wird was möglich sein in Russland, so viel kann ich sagen (lacht).