Die deutschen Fans in Russland sind gespalten, ob sie Mesut Özil zum WM-Auftakt auspfeifen sollen. Doch der Ex-Bundestrainer Berti Vogts ist klar in seiner Haltung. Der alte Terrier hat das Erdogan-Theater mit dem Machtwort beendet: „Es reicht!“

Stuttgart - Vor dem WM-Auftaktspiel gegen Mexiko an diesem Sonntag möchte man nicht in der Haut unserer zum Russlandfeldzug aufgebrochenen Schlachtenbummler stecken – nie zuvor waren deutsche Fußballfans gedanklich so dicht bei Goethe und Faust, schier verrecken könnten sie im tragischen Dilemma ihrer inneren Zerrissenheit: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.

 

Pfeifen wir Mesut Özil aus?

Oder wollen wir Weltmeister werden?

In solchen Momenten des Zwiespalts hilft nur ein Machtwort, und diesmal kommt es von Berti Vogts. Kraft seines Amtes als Ex-Weltmeister, Ex-Bundestrainer und Experte ist unser Ex-Berti dieser Tage bei einer WM-Diskussion in seinem Schwarzwälder Lieblingslokal, der Traube in Tonbach, schlagartig aus der Haut gefahren, als plötzlich wieder alle über Özil und Gündogan zu debattieren begannen.

„Nun hört doch mal auf mit dem Theater“, bellte Berti wie anno Tobak als bissiger Terrier, „jetzt reicht es!“

Basta, finito und Schluss. Ab sofort wird Fußball gespielt, sagen alle Bertis, jetzt geht’s los und nicht mehr darum, ob zwei unserer Ballzauberer öffentlich einen Politiker poussieren, der Andersdenkende verfolgt, in den Knast wirft und sich einen feuchten Kehricht schert um Menschenrechte oder Meinungsfreiheit.

Der junge Vogts ließ schon 1978 aufhorchen

Berti war schon rigoros, als er noch jünger war. Bei der WM 1978 in Argentinien war er Kapitän der deutschen Mannschaft, und als ihn ein Reporter zur dortigen Militärjunta des Generals Videla und den Meldungen über Folterkammern und massenhaft verschwundene Regimegegner befragte, antwortete er mit seinem Herz auf dem rechten Fleck, strafend und vorwurfsvoll: „Würden Sie die gleiche Frage auch stellen, wenn die WM in der Sowjetunion stattfinden würde?“ Er habe keine politischen Gefangenen gesehen, gab Vogts außerdem zur Beruhigung aller bekannt, aber vor allem: „Wir sind hier, um Fußball zu spielen.“

Spätestens nach der „Schmach von Cordoba“ gegen die Wiener war dann von Blindgängerfußball die Rede.

Die Politik ist ein heikles Thema, vor allem für manche Fußballer. Sobald der Ball rollt, wollen sich viele die Freude am Spiel nicht mehr mit der Frage verderben, ob womöglich in finsteren Kerkern auch Köpfe rollen. Mit der Leichtigkeit des Seins hat schon Franz Beckenbauer gerne reagiert, wenn es politisch wurde – als Katar sich um die WM bewarb und mit dem Vorwurf zu kämpfen hatte, dass es Arbeitsmigranten ausbeutet, erzählte der letzte deutsche Kaiser dem nächstbesten Mikrofon: „Ich habe dort noch keinen einzigen Sklaven gesehen, da laufen alle frei rum.“

Wie mündig sind Fußballer?

Erstaunlich optimistisch hat sich dazu neulich der Ex-Nationalspieler Arne Friedrich geäußert, im Small Talk bei „Anne Will“ – worauf sein CDU-Gegenüber Norbert Röttgen einen Lachanfall nur mühsam unterdrückte, denn spontan dachte er an Özil und Gündogan und deren Eiertanz um Erdogan: Beide betonen ihre Treue zur freiheitlichen Wertegesellschaft, betreiben aber gleichzeitig kniefällig Reklame für den Alleinherrscher in Ankara.

Abhaken, finden aber jetzt alle Bertis, unsere Jungs in ihrer Moskauer Kaserne brauchen schleunigst Ruhe, wie sollen wir sonst wieder Weltmeister werden? Das lästige Thema gerne ein bisschen abwürgen würden auch Oliver Bierhoff und Jogi Löw, jedenfalls knöpften sich die DFB-Sportchefs zuletzt eher die Medien oder das pfeifende Publikum vor, statt Özil und Gündogan zum Reden zu zwingen.

Wie räumt man einen Fehler aus?

George Best, der grandiose Ex-Dribbler von Manchester United, hat es perfekt vorgemacht, als ihn das „Esquire Magazine“ gegen Ende seines Lebens hin einmal fragte: „Gibt es irgendetwas in Ihrer Karriere, das Sie gerne anders machen würden?“

„Ja“, nickte Georgie, „1971 schoss ich einen Elfmeter gegen Chelsea, und Peter Bonetti konnte ihn parieren. Ich wünschte, ich hätte den Ball in die andere Ecke gesetzt.“ So hätten es im Zuge einer nachträglichen Selbstbeschimpfung auch Özil und Gündogan sagen sollen: „Wir wünschten, wir hätten Erdogan in die andere Ecke gesetzt.“

Erdogan sitzt jetzt ständig mit am Tisch

Stattdessen schweigen sie. Und Erdogan sitzt seither beim deutschen Team mit am Tisch. Er fliegt mit, er isst mit, er trainiert mit, und auf Schritt und Tritt lacht er sich vermutlich wund über diese Fußballer, die sich häufig für mündig halten – aber es fertiggebracht haben, dass die redlichen Deutschen sich jetzt mit den Populisten und Rassisten in einem Boot wiederfinden und Berti Vogts flehen muss: „Schluss mit dem Theater!“

Hören die Fans am Samstag auf Berti?

Falls nicht, kann nur Mesut Özil die Sache noch retten, indem er wenigstens im Spiel eine Antwort gibt – und sein linkes Füßchen sprechen lässt.

Sein linkes Füßchen ist mündig.