Vor dem Halbfinale gegen Frankreich haben die DFB-Frauen während der gesamten EM noch kein Gegentor kassiert. Nicht nur die Rechtsverteidigerin Giulia Gwinn möchte, dass dies so bleibt.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Das EM-Finale im legendären Londoner Wembley-Stadion, es bleibt der Sehnsuchtsort der deutschen Fußball-Nationalelf der Frauen. Gelingt der Sprung in eines der größten Heiligtümer des internationalen Fußballs, dann wäre das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bei Anpfiff des Endspiels am Sonntag inklusive der Vorbereitung bereits stolze sechseinhalb Wochen beisammen.

 

Bei so viel Miteinander und dem steten Wechsel zwischen Spiel, Training, Essen und Regeneration könnte vor dem Halbfinale an diesem Mittwoch (21 Uhr/ZDF) gegen Frankreich auch mal ein Lagerkoller aufkommen. Doch Rechtsverteidigerin Giulia Gwinn schiebt wie das gesamte DFB-Team der Monotonie des Nationalspielerinnen-Alltags bislang erfolgreich den Riegel vor.

Team-Essen im Herzen Londons

Denn der Erfolg motiviert – und es ist weiterhin auch für Ablenkung gesorgt: Da waren der freie Samstag sowie das Team-Essen am Sonntag in einem Restaurant nahe der Tower-Bridge. „Das hat uns als Gruppe sehr gutgetan. Man bekommt den Kopf wieder frei“, sagt Abwehrspielerin Gwinn vom FC Bayern, die sich auch Social-Media-Aktivitäten widmet – und sich hier wachsender Beliebtheit erfreut: 330 000 Follower hat die 23-Jährige schon. Tendenz steigend.

Ein wenig Abwechslung bieten Gwinn auch ihre treuesten Fans, die sie an Spieltagen im Stadion nicht lange suchen muss. „Ich erkenne die zwei ziemlich schnell“, sagt die Defensivspielerin über ihre Eltern Gabi und Florian. Die sind aus dem heimischen Friedrichshafen mit dem Camper auf die britische Insel gereist, fahren dann stets mit der Vespa zum Stadion, wo sie mit ihren schwarz-rot-goldenen Perücken auf der Tribüne gut auszumachen sind.

Doch natürlich liegt der Fokus von Giulia Gwinn, die mit 16 Jahren den Bodensee verließ, um im Internat des SC Freiburg durchzustarten, im EM-Semifinale von Milton Keynes gegen die ambitionierten Französinnen auf dem Fußball: „Dass da viel Qualität auf uns zukommt, das wissen wir“, sagt sie: „Wir wollen ihnen aber die Lust am Fußballspielen nehmen.“

Bisher hat dies im Turnierverlauf gut geklappt. „Ich habe eine gute Kette hinter mir“, lobt der aufgehende Stern im DFB-Team, die defensive Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf (20), die Kolleginnen hinter sich. Sie meint damit die deutsche Abwehr, die neben Gwinn („Frankreich ist vor allem über die Flügel stark“) aus den zentralen Kräften Marina Hegering und Kathrin Hendrich sowie aus der Linksverteidigerin Felicitas Rauch besteht.

WM-Sieg von 2007 ohne Gegentor

Wie gut das Quartett harmoniert, zeigt vor allem der Umstand, dass hinter Torfrau Merle Frohms auch nach vier EM-Spielen weiterhin die Null steht. Beim bisher letzten WM-Sieg der Deutschen von 2007 war das Team von Ex-Bundestrainerin Silvia Neid gar ohne Gegentor zum Titel geeilt.

Diesen Rekord einzustellen, das ist allerdings nicht das primäre Ziel von DFB-Kapitänin Alexandra Popp, die schon viermal getroffen hat, und ihren Mitstreiterinnen. Denn die Zeiten haben sich geändert: „An der Spitze geht es immer enger zu“, sagt Cheftrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Schließlich machten sich vor dem ersten Anpfiff der EM noch eine Handvoll Teams Hoffnungen auf den Turniersieg.

Darunter auch die Französinnen, die in ihrer Historie zwar noch keinen Titel geholt haben – doch Les Bleus stellen mit der 1,87 Meter großen Abwehrchefin Wendie Renard, (32, Spitzname „Madame Eiffelturm“) nicht nur die größte Akteurin dieses EM-Turniers. Sie besitzen mit vielen Spielerinnen des achtmaligen Champions-League-Siegers Olympique Lyon vor allem eine aufstrebende, international erfahrene Mannschaft.

Doch die deutsche Abwehr um Marina Hegering will sich der Équipe de France erfolgreich in den Weg stellen. Denn gerade die kopfballstarke Defensivchefin ist heiß auf Erfolg: Bereits mit 16 debütierte Hegering unter Voss-Tecklenburg beim FCR Duisburg in der Bundesliga, durchlief sämtliche Nachwuchsteams des DFB. Dann ihr tiefer Fall: Nach chronischen Problemen in der rechten Ferse war die heute 32-Jährige sechs Jahre lang komplett raus aus dem Spitzenfußball – und debütierte nach ihrem Comeback erst mit 28 Jahren in der Nationalelf. „Marina ist eine echte Führungspersönlichkeit“, sagt Youngster Lena Oberdorf.

Hendrich besitzt ein feines Auge

Dabei harmoniert Marina Hegering, von den Mitspielerinnen aufgrund ihres Einsatzes liebevoll „Maschina“ genannt, sehr gut mit Nebenfrau Kathrin Hendrich, die als Tochter einer Belgierin in Eupen geboren wurde. Hendrich steht für den Typus der modernen Innenverteidigerin: laufstark und technisch gut, verfügt sie über ein feines Auge im Spielaufbau, während die generell sehr variabel einsetzbare Felicitas Rauch auf links die Defensivreihe komplettiert.

„Unsere Abwehrstärke ist auch ein Zeichen an andere Mannschaften, dass es schon viel braucht, um gegen uns ein Tor zu schießen“, sagt Torhüterin Merle Frohms vor dem Frankreich-Spiel: „Aber wir wissen auch, dass die Gegner jetzt stärker werden.“