Die Einbindung des neuen US-Präsidenten in die alte Weltordnung gelingt atmosphärisch – bei Streitthemen braucht es eine Verhandlungsnacht.

Hamburg - The Beast“ mag viele Tonnen schwer sein, schnell ist es trotzdem, und keiner sollte seinen Weg kreuzen. Am Freitagmorgen nahm das gepanzerte Monstrum vor dem Gästehaus des Hamburger Senats Fahrt auf. An Bord: Donald Trump, ein Mann, der für viele in der Stadt nicht minder biestig wirkt wie das automobile Ungetüm, das ihn mit rund 1000 Pferdestärken zur Messe der Hansestadt bringt.

 

Das Privileg, Hassobjekt Nummer eins der G-20-Gipfelgegner zu sein, macht ihm keiner streitig. Ein Plakat mit seinem Konterfei, versehen mit dem Schriftzug „Der Kasper kommt“, ist die harmloseste Form der Geringschätzung. Kein Wunder, dass die Demonstranten, die den Freitag zum Tag blockierter Gipfelzufahrtsstraßen erkoren haben, es auf Trumps Fahrzeugkonvoi abgesehen haben.

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Schon am frühen Morgen versuchen sie, die schnellste und damit wahrscheinlichste Route östlich der Alster zu versperren. Die Polizei setzt Wasserwerfer gegen die in einer Sitzblockade Versammelten ein, trägt Demonstranten fort – „business as usual“ an diesen Gipfeltagen. Dabei wäre dieser Einsatz am Ende gar nicht nötig gewesen, denn das Biest jagt mit hoher Geschwindigkeit um die nördliche Spitze der Alster, nimmt dann den Weg am westlichen Ufer.

Man ist froh, dass Trump trotz seines „America-First“-Verhaltens sich blicken lässt

Schließlich fährt er vor, dieser Präsident, den sie – wenn sie ehrlich sind – im Berliner Regierungsviertel für nicht minder durchgeknallt halten wie die Protestierer in St. Pauli. Aber weil man halt mit dem Anführer der mächtigsten Nation im Gespräch bleiben muss, ist man froh, dass Trump trotz seines „America first“-Verhaltens sich überhaupt blicken lässt bei diesem Stelldichein der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, die rund 75 Prozent des Welthandels kontrollieren.

Der amerikanische Präsident trifft etwas verspätet ein – diesen Mini-Erfolg können die Straßenblockierer für sich verbuchen. Mit typischem „Ich-bin-zu-allem-entschlossen-Blick“ schreitet Trump über den roten Teppich zur Begrüßung, die Gastgeberin Angela Merkel, mit der er schon am Vorabend ein „konstruktives Gespräch“ über die anstehenden Gipfelthemen geführt haben soll, erwartet ihn dort. Ein paar Worte werden gewechselt, ein für Trump-Verhältnisse moderater Handschlag folgt, keine sonderlich provokanten Posen, sieht man von der geballten Faust ab, die er bei seinem Abgang formt. Man kennt diese Gesten von Tennisspielern nach einem gewonnenen Ballwechsel oder von Wrestlern, wenn die Showcatcher vor dem Kampf Siegesgewissheit demonstrieren.

Dabei ist in diesem Moment noch gar nicht klar, wie das Spiel aussieht, das Donald Trump in Hamburg gewinnen will. Der Showdown zwischen Internationalismus und Protektionismus, wie das Gipfeltreffen im Vorfeld bezeichnet worden ist, hat endgültig begonnen. Den Straßenblockierern mag es gelungen sein, die Abfahrt von Trumps Frau Melania so lange aufzuhalten, dass das Begleitprogramm der Partner verändert werden muss – ihr eigentliches Ziel, die Gipfelteilnahme von Staats- und Regierungschefs zu verhindern oder zu verzögern, erreichen sie nicht.

In der Hochsicherheitszone am Messegelände werden die Krawalle ausgeblendet

In der abgeschotteten Hochsicherheitszone rund um das Hamburger Messegelände werden die Krawalle der vorangegangenen Nacht weitgehend ausgeblendet. Auf den Monitoren des internationalen Pressezentrums tauchen sie nicht auf. Einzig EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geht in gewohnter Ironie auf die Ausschreitungen und die brennenden Autos ein: „Der Empfang ist warm.“ Zugleich beteuert der Luxemburger, dass die Protestbotschaften, die sich in ihrer Mehrheit gegen eine ungerecht gestaltete Globalisierung richten, durchaus vernommen wurden: „Es ist nicht so, dass wir blind und taub durch Hamburg laufen.“

Plötzlich steht Trump mutterseelenallein rechtsaußen im Bild – bis Macron herbeieilt

Bevor es losgeht, wird geplaudert und das traditionelle Familienfoto gemacht. Kurz scheint es, als habe das Protokoll einen folgenschweren Fehler gemacht: Als die Teilnehmer ihre markierten Positionen einnehmen, steht Donald Trump plötzlich mutterseelenallein rechtsaußen im Bild. Diese fatale Botschaft soll dieser Gipfel, der ja gerade eine Einbindung Trumps in multilaterale Strukturen zum Ziel hat, gewiss nicht aussenden. Dann aber kommt, scheinbar aus dem Nichts, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron herbeigeeilt. Weil er jetzt den Außenstürmer gibt, wird der US-Präsident gerade noch rechtzeitig eingerahmt. Als der 39-jährige Macron dem 71-jährigen Trump dann noch freundschaftlich in den Magen boxt, ist stimmungsmäßig erst einmal alles wieder in Butter.

Der Sitzungssaal, in dem die Weltenlenker in einem großen Rechteck sitzen, ist tiefergelegt. Auf der Galerie stehen die Fotografen und verfolgen interessiert, wer mit wem besonders lange redet. Da fällt etwa auf, wie gestenreich Merkel mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin parliert: Er deutet in alle möglichen Richtungen, sie mit den Bewegungen ihrer Hand eine Berg-und-Tal-Fahrt an. Das Thema der Unterhaltung bleibt Außenstehenden genauso verborgen wie jenes, das Macron im anschließenden Dreiergespräch mit Trump und Merkel laut zum Lachen bringt. Aber eines kann man daraus ableiten, die Stimmung scheint gelöster als befürchtet.

Es haben sich ungewöhnliche Allianzen gebildet

Eine informelle Runde zum internationalen Antiterror-Kampf, bei dem sich die Teilnehmer noch am wenigsten in den Haaren liegen, liegt da schon hinter ihnen. Die Krisenherde der Welt, vor allem Nordkorea und Syrien, haben in zahllosen bilateralen Treffen am Rande eine Rolle gespielt. Jetzt beginnen die entscheidenden Spitzengespräche über den Welthandel und den Klimaschutz, bei denen sich in den vergangenen Wochen und Monaten höchst ungewöhnliche Allianzen zwischen Europäern, Chinesen und auch Russen gegen die Vereinigten Staaten gebildet haben. Die Front, der sich Trump mit seinen angedrohten Strafzöllen für Stahlimporte gegenübersieht, steht denn auch in der Freihandelsstadt Hamburg: Putin warnt die Runde vor Protektionismus, Pekings Xi Jinping, dessen Land den Weltmarkt mit billigem Stahl überschwemmt, schließt sich an, und Kommissionschef Juncker hat für Merkel ein „Mitbringsel“ dabei, wie er es nennt: die politische Grundsatzeinigung auf ein EU-Handelsabkommen mit Japan.

Das gefällt der Kanzlerin natürlich, die in ihrer Begrüßungsrede den Geist der internationalen Zusammenarbeit beschwört: „Wir kennen alle die großen globalen Herausforderungen, wir wissen, dass die Zeit drängt.“ Lösungen könnten oft nur gefunden werden, so Merkel, „wenn wir uns aufeinander zubewegen, ohne uns aber – das sage ich ganz ausdrücklich – zu sehr zu verbiegen“. Das ist als doppelte Botschaft an Donald Trump zu verstehen: Man will ihm eigenen Spielraum zugestehen, sich aber auch nicht von ihm zu einer Politik zwingen lassen, die den eigenen Überzeugungen widerspricht.

Trump trifft sich dann mit Putin im Hotel „Atlantic“

Zum Ende des ersten Arbeitstages, der mit einem Konzert in der Elbphilharmonie und einem Abendessen ausklingen soll, steht der Knackpunkt Klimaschutz auf dem Programm. Der US-Präsident hat sich vor dem Sitzungsmarathon lange mit seinem Finanzminister Steven Mnuchin und seinem Spitzenberater Gary Cohn ausgetauscht, und entgegen des Vorurteils minutenlang seine Unterlagen gelesen. Ausgerechnet bei diesem Thema aber verlässt er zusammen mit Putin das Messegelände Richtung Hotel Atlantic, wo die beiden zum ersten Mal direkt aufeinandertreffen.

Die deutsche Delegation bemüht sich schnell, dies nicht als Affront zu werten. Stattdessen wird erzählt, dass auch Merkel schon G-20-Sitzungen vorübergehend für bilaterale Gespräche geschwänzt hat. Die ersehnte Wiederannäherung beim Klimaschutz soll demnach ohnehin zwischen den engsten Beratern erfolgen. Kanzlerin Merkel kündigt eher mitleidlos an, dass ihr Gipfel-Sherpa Lars-Hendrik Röller die Nacht wird durcharbeiten müssen, damit es eine gemeinsame Abschlusserklärung gibt – „was aber dazugehört“.

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