Hans-Christoph Rademann dirigiert in der Liederhalle die Gaechinger Cantorey und Händels Oratorium „Saul“. Durch kluge Klangdramaturgie gelingen ihm fast schon narkotische Momente.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Händels Harmonie bewege die Seele, schrieb ein englischer Zeitgenosse („but Handel’s harmony affects the soul“), und nicht von ungefähr war da 1742 die Konjunktion „but“ vorangesetzt: Aus diesem „doch“ nämlich lebt im Wesentlichen Georg Friedrich Händels barocke Musik. Werden „Seelen“ „auf der Folterbank“ gequält, wie es in „To Mr. Handel“ heißt, wiege dessen Komposition die „Ungeheuer“ gleichsam „in den Schlaf“. Eine so drastische wie teils tröstliche Vorstellung.

 

Hans-Christoph Rademann gelang in der Stuttgarter Liederhalle mit der Gaechinger Cantorey in einer bewunderungswürdigen Aufführung von Händels Oratorium „Saul“ ein doppeltes Kunststück: Einerseits erzwang er durch eine kluge Klangdramaturgie immer wieder solche fast schon narkotischen Momente: Zum Beispiel in der achten Szene in der Vorbereitung und Durchführung der Arie der Merab, während der die Königstochter einen mentalen Richtungswechsel vollzieht. Vormals Antipodin zum nur kurz am Hof gehypten David, demaskiert sie die Verhältnisse. In höchster Schönheit wird höchste Grausamkeit prophezeit – die sich dann prompt ereignet.

Formvollendete barocke Sprache

Die Sopranistin Yeree Suh, die vor knapp zwanzig Jahren schon mit Monteverdis „L’Orfeo“ Furore machte, aber auch hochkompetent ist in puncto neuer Musik (Pintscher, Furrer, Rihm), singt ihren Part mit einer Weichheit und kristallinen Schärfe zugleich, die mehr als nur formvollendete barocke Sprache allein ist – und sie kann das auch deshalb, weil Rademann die Musik zugewandt strukturanalytisch liest: Er zeigt, was Effekt macht, freilich ohne den Effekt zu demaskieren. Das ist groß, gerade weil es nicht auf Größe (und Überwältigung) spekuliert. Zwar kann Rademann dynamisch und binnen einer Zehntelsekunde metrisch anziehen (was er im Allegro der gekürzten Anfangssinfonie gerne ausführlicher getan hätte), auftrumpfen (wie im Largo, Nr. 58) oder auch gespenstisch den Kontext verschleiern (wie in der Hexenszene, Nr. 72 ff.). Aufs Ganze gesehen aber ist er vor allem an Klarheit interessiert, die ihm Orchester, Chor und Solisten von Johanna Winkel über Benno Schachtner (David) und Joshua Ellicott (Jonathan) bis hin zu Andreas Wolf als Saul auch liefern.

Am Limit – aber man merkt es nicht

Ensemble und Einzelkräfte bewegen sich da, nach zwei Konzerten in Ludwigsburg und einem folgenden am Abend in Stuttgart, am Limit. Nur: Man merkt es nicht. Dass die Kürzungen dem Stück die (teils politische) Doppelbödigkeit nehmen, merkt man schon. Søren Schwesig arbeitet als affirmativ theologisch denkender Sprecher dagegen an. Dennoch: Man spürt, was die Didaktik der Bachakademie sonst leistet – echte Aufklärung.