Die Probleme von Samsung stehen für eine Branche, in der Tempo alles ist – und in der Vorsicht oft als Bedenkenträgerei denunziert wird, kommentiert Andreas Geldner.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Das Smartphone in der Tasche als Feind, der womöglich brandgefährlich werden kann? Vielleicht ist es die fast intime Nähe, die wir inzwischen zu diesen Geräten haben, welche der Akku-Panne von Samsung so viel Aufmerksamkeit verschafft. Wenn es bisher um Sicherheitsprobleme von Apps oder anderer Software ging, dann waren diese oft abstrakt. Internetvideos von rauchenden Geräten beeindrucken da mehr. Und der Gedanke, in einem Flugzeug zu sitzen, während ein Galaxy Note 7 zu schmoren beginnt, ist in der Tat mehr als unangenehm.

 

Der koreanische Konzern erlebt nun ein Sicherheitsdesaster, wie es bisher nur von Autokonzernen bekannt ist. Diese haben immer wieder mit solchen Fragen zu tun. Ob es in den vergangenen Jahren General Motors mit defekten Zündschlössern war, Toyota mit abrupt beschleunigenden Gaspedalen oder der japanische Hersteller Takata mit nicht richtig funktionierenden Airbags – die Autobranche kann von Rückrufen, die das Image ruinieren, ein Lied singen. Volkswagen hat da noch ein ganz eigenes Kapitel aufgeschlagen.

Bei Smartphones ist es hingegen ungewöhnlich, dass ein defektes Teil im Extremfall sogar über Leben und Tod entscheiden könnte. Vielleicht erklärt das die Hilflosigkeit und die übertriebene Hast, mit der das südkoreanische Unternehmen auf die gefährliche Panne reagiert hat. Die Sicherheitskultur im Unternehmen war der Herausforderung offenbar nicht gewachsen. Samsung wird, wie die genannten Autohersteller, als Unternehmen die Krise wohl überleben. Die Lösung des Problems mag schmerzliche Milliarden kosten. Und das Image ist im harten Wettbewerb erst einmal im Keller. Doch die Trends in der Elektronikbranche sind schnelllebig. Sieg und Niederlage liegen dort näher zusammen als in anderen Bereichen.

Hinter der Krise steckt ein tiefer liegendes Problem der IT-Branche

Hinter der Krise von Samsung steckt ein tiefer liegendes Problem der IT-Branche insgesamt. Mehrere Jahrzehnte des fast grenzenlosen, rasanten Fortschritts haben hier einen teilweise rücksichtslosen Machbarkeitswahn gedeihen lassen. Schmaler, leistungsfähiger und schneller aufladbar als bei der Konkurrenz sollten die Samsung-Akkus werden. Grenzen der Produktionstechnik oder der Physik durften keine Rolle spielen. Im Wettrennen mit Apple, das gerade sein iPhone 7 präsentiert hat, wollte Samsung Innovationsführer werden. Schließlich hatte man nach einem lange unaufhaltsamen Aufstieg zum Weltmarktführer in jüngster Zeit einige Rückschläge hinnehmen müssen. Welcher Mitarbeiter wollte da das Entwicklungstempo verlangsamen?

Einpeitschen gehört zum Stil der gesamten tempoversessenen Branche, die für sich manchmal arrogant in Anspruch nimmt, die Spielregeln der Ökonomie umzukrempeln. Wer nachliest, wie etwa der Amazon-Gründer Jeff Bezos oder der Tesla-Unternehmer Elon Musk Bedenkenträger letztlich verachten, der ahnt, wie schwer es auch unabhängig von der als besonders patriarchalisch verschrienen Konzernkultur bei Samsung gewesen sein muss, womöglich vorhandene Zweifel zu artikulieren. Die Ironie ist, dass dies ausgerechnet an einem vermeintlich ganz banalen Stück Hardware, nämlich dem Akku der Geräte, auf einmal sichtbar wurde.

Vielleicht ist es aus deutscher Sicht sogar ein wenig beruhigend, dass wir auch in der Informationstechnologie nicht allein auf Betaversionen vertrauen können, also von schnell auf den Markt geworfenen Produkten, die erst bei der Weiterentwicklung reifen. Auch deutsche Konzernchefs reden beim Weg ins digitale Zeitalter lieber vom Tempo selber als von den Bedingungen, die nötig sind, um ein solches Tempo langfristig durchhalten zu können. Auch dies ist deshalb eine wichtige Lektion des Samsung-Skandals: Innovationswille darf nicht alle Grenzen aushebeln.