Ramsay Bolton, gespielt von Iwan Rheon, ist einer der irrsten Sadisten der Film- und TV-Geschichte. Ihm galt die neunte Folge der sechsten Staffel der Serie „Game of Thrones“, deren Finale am Sonntag ausgestrahlt wird. Wir wagen eine Analyse. Aber Achtung, Spoiler-Gefahr!

Westeros - - Westeros verführt zum Atheismus. „Wenn es die Götter gibt, warum haben sie mich nicht längst bestraft?“, spottet Sandor Clegane in einer Szene der aktuellen Staffel von „Game of Thrones“. Clegane ist einer der vielen blutrünstigen Kerle, die das Fantasiereich der TV-Serie bevölkern. Und vermutlich liegt der vernarbte Hüne mit seiner theologischen Skepsis richtig. Denn in der Welt, von der „Game of Thrones“ erzählt, waltet nicht göttliche Gerechtigkeit, sondern der Wahnsinn: Verrat, Gewalt, Zerstörung sind hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Da fällt es schwer, daran zu glauben, dass höhere Mächte die Geschicke auf Erden lenken könnten.

 

In dem kolossalen Märchen, das der US-Autors George R. R. Martin erschaffen hat, ist jede Ordnung verloren gegangen ist. Womöglich passt es gerade deswegen so gut in die Gegenwart, weil auch die reale Welt immer weiter aus den Fugen zu geraten droht: Jede ausgestandene Krise scheint nur das Vorspiel für die nächste zu sein, und die Hoffnungen beschränken sich darauf, dass die Zukunft nicht noch schlimmer werden möge.

Tröstlich ist zumindest, dass man einem irren Sadisten vom Schlage Ramsay Boltons, der seit der dritten Staffel von „Game of Thrones“ sein Unwesen treibt, im wirklichen Leben eher selten begegnet. Der Bösewicht, gespielt von dem walisischen Darsteller Iwan Rheon, mordete, folterte, verstümmelte und vergewaltigte in einer Bestialität, die auch hartgesottenen Zuschauern auf den Magen geschlagen haben dürfte. Es waren mehrere Jahrtausende menschlicher Kulturgeschichte notwendig, um einen Halunken dieses Formats zu fingieren.

Bald spielt Rheon den jungen Hitler

Rheon brachte die Rolle den Ehrentitel ein, den weltweit am meisten gehassten Menschen im Fernsehen gegeben zu haben. Für den 31-Jährigen, der neben der Schauspielerei gefühlvolle Folksongs schreibt, könnte sich dies als Glücksfall erweisen – schließlich prädestinierte ihn seine putzige Physiognomie eigentlich für eine Existenz als Teenagerschwarm. Dieses traurige Los dürfte ihm nun dank seines Mitwirkens in „Game of Thrones“ erspart bleiben: Ramsay wütete derart abscheulich, dass Rheon die Rolle so schnell nicht wieder los werden wird. Dass er bald schon in einem britischen Fernsehfilm mit dem Titel „Adolf the Artist“ als der junge Hitler zu sehen sein wird, mag als Beleg dafür dienen.

Dabei hatte sich der Waliser bei David Benioff und D. B. Weiss, den Produzenten der Serie, ursprünglich für den Part des Jon Snow beworben – und dieser zählt zu den wenigen edlen Charakteren, denen man bei „Game of Thrones“ begegnet. Snows Rolle ging dann aber an Kit Harington, dessen Engagement wiederum nach der fünften Staffel eigentlich beendet schien, nachdem seiner Figur ihre aufrechte Gesinnung zum Verhängnis geworden war. Snow war von seinen eigenen Leuten gemeuchelt worden, doch erlebte er – die Zauberkunst macht’s möglich – eine Wiederauferstehung.

In der Anfang dieser Woche ausgestrahlten neunten Folge kam es nun zum lange erwarteten Aufeinandertreffen zwischen Jon Snow und Ramsay Bolton. Die Episode mit dem Titel „Die Schlacht der Bastarde“ war der spektakuläre Höhepunkt der laufenden Staffel, die auch insgesamt deutlich stärker ist als die vorangegangene. Und dies aller Unkenrufe zum Trotz: Nicht wenige hatten gemutmaßt, dass die Serie abfallen könnte, nachdem sie die literarische Vorlage von Martin eingeholt hatte und die Produzenten die Geschichte nun ohne selbige fortspinnen mussten.

Die Zombies im Norden haben noch keine Invasion geschafft

Ein wohltuender Effekt der veränderten Arbeitsweise scheint aber zu sein, dass das Erzähltempo zugelegt hat und die Geschichte sich nicht mehr in ereignislosen Nebensträngen verliert. Stattdessen kulminierte das Geschehen in einem gewaltigen Schlachtengetümmel, das mit einem Aufwand inszeniert wurde, der für eine Fernsehproduktion bislang einmalig gewesen sein dürfte. Überraschender noch als die effektvollen Bilder war das Ergebnis des Duells der Antipoden. Am Ende siegt der Gute, während der Schurke einen überaus unangenehmen Tod findet: Ramsay wird auf einen Stuhl gefesselt seinen eigenen Hunden zum Fraß vorgeworfen. Derartige Grausamkeiten sind bei „Game of Thrones“ wahrlich nicht selten, nur sind es eben in der Mehrzahl der Fälle Unschuldige, die zu leiden haben.

Bei aller Genugtuung darüber, dass bisweilen selbst in Westeros die Gerechtigkeit triumphiert, ist Ramsays Ableben auch ein bisschen zu bedauern – allein schon deswegen, weil der Tod des sadistischen Schurken eine dramaturgische Leerstelle hinterlassen wird. Es ist kaum vorstellbar, dass die Produzenten nun einen neuen Protagonisten einführen werden, der auch nur annähernd so wütet, wie es der verblichene Bolton-Sprössling getan hat.

Als finaler Widersacher der Sache der Guten könnte sich der zwielichtige Petyr Baelish (Aidan Gillen) entpuppen, der eben erst Snow gerettet hat, aber für seine Gerissenheit berüchtigt ist. Möglich ist auch, dass sich die Handlung nun endlich auf die zahllosen Zombies konzentriert, die im eisigen Norden der Fantasiewelt lauern, es aber bis dato nicht geschafft haben, eine ordentliche Invasion in die Welt der Menschen zu initiieren – vermutlich weil auch eine Zombie-Apokalypse erst einmal organisiert sein will.

Rolle und Realität verschwimmen

Iwan Rheon wird der Serie jedenfalls fehlen, zumal der Schauspieler im realen Leben ein recht sympathischer Kerl zu sein scheint. In einem Interview antwortete der Waliser auf die Frage, ob er oft in der Öffentlichkeit erkannt werde, dass er tatsächlich kürzlich von einem aufgeregten Passanten in London angesprochen wurde: „He, bist du nicht dieser Ramsay aus ‚Game of Thrones’?“ Worauf Rheon mit irrem Blick antwortete: „Für dich immer noch Lord Bolton!“

Völlig auszuschließen ist eine Rückkehr des psychopathischen Adligen allerdings nicht – es wäre nicht das erste Mal, dass ein Toter bei „Game of Thrones“ wiederaufersteht. Als Zombie würde sich Ramsay zweifellos gut machen.