In der Stadtbibliothek lesen Autorinnen und Autoren aus Texten, die die Epoche der Gastarbeiter heraufbeschwören. Unter ihnen ist auch eine junge Stuttgarterin, die ihrer griechischen Herkunft zum Trotz eine ganz besondere kulinarische Vorliebe hat.

Es gibt für Maria Tramountani kaum etwas Schöneres, als in Stuttgart mit der Stadtbahn durch die Gegend zu gondeln. „Mein Herz hüpft, wenn ich von allen Seiten unterschiedliche Sprachen zu hören bekomme“, sagt sie und ihre Augen glänzen dabei. „Ich liebe die Vielfalt um ihrer selbst Willen“, fährt sie dann fort. „Viele Menschen aus vielen Ländern bedeutet, unterschiedliche Stärken zu haben, unterschiedliche Sichtweisen. Wenn wir die miteinander teilen, gewinnt jeder.“ Wichtige Worte, ausgesprochen von einer jungen Frau, deren Großeltern beider Seiten in den Siebzigern aus Griechenland nach Deutschland kamen. Ihr Vater wurde noch in Griechenland geboren, ihre Mutter schon in Deutschland. Sie ist hier geboren, aufgewachsen, zuhause – und wie so viele im bunten Stuttgart in beiden Kulturen verwurzelt.

 

Hallo in Stuttgart

Das brachte die 27-Jährige schon früh dazu, sich intensiv mit ihrer Herkunft und mit der Vielfalt in diesem Land auseinanderzusetzen. Heute arbeitet sie in der Bildungs- und Geflüchtetenarbeit des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart, zuvor studierte sie Interkulturalität. „Und mehr Interkulturalität als eine Griechischstämmige in einem deutsch-türkischen Verein geht ja wohl nicht“, meint sie und zeigt ein breites Grinsen. Im Verein kümmert sie sich um das Programm „Ağabey-Abla“ („großer Bruder – große Schwester“), in dem sich türkeistämmige Studenten für türkeistämmige Schüler ehrenamtlich einsetzen, zudem leitet sie das Projekt „Merhaba in Stuttgart“ („Hallo in Stuttgart“). „Hier engagieren sich junge Menschen aller Kulturen für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Form verschiedener Freizeitangebote“, erklärt sie.

We are the Gastarbeiters

Ziemlich viel Engagement also, das bei Tramountani auch in Form des Literatur-Blogs „Literally Peace“ fortgeführt wird. Auf dem vereint sie syrische und deutsche Autoren, bietet ihnen eine Plattform, die sie sonst nicht bekommen. Ein ähnliches Ziel verfolgt die Literaturplattform „Daughters and Sons of Gastarbeiters“. 2015 in Berlin ins Leben gerufen, vereint sie Autoren mit den unterschiedlichsten Herkunftsgeschichten und Biografien, um genau darüber zu sprechen: Ihre Geschichten und ihre Erinnerungen an die Zeit, als ihre Eltern oder Großeltern als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Nach deutschlandweiten Lesungen gastiert die Plattform am morgigen Freitag in der Stadtbibliothek. Neben anderen Autorinnen und Autoren wird auch Tramountani einen persönlichen Text lesen, in dem sie zurückblickt. Auf eine Zeit, in der Familien aus den Dörfern Anatoliens, Südeuropas oder des Balkans nach Deutschland kamen, um als Gastarbeiter den Wirtschaftsaufschwung zu ermöglichen. Ein zweischneidiges Schwert für die Autorin. „Alt werden und sterben in einem Land, in dem man sich nie zuhause gefühlt hat und immer nur als Gast angesehen wurde, muss ein schlimmes Gefühl sein.“

Ein griechischer Schwabe

Nun ist Tramountani strenggenommen eine Gastarbeiter-Enkelin, die dennoch zwischen der griechischen und der deutschen Kultur aufgewachsen ist. „Wobei die griechische eben nicht die Kultur Griechenlands war, sondern die wohl konservierte Kultur der griechischen Gastarbeiter“, fügt sie an. „Also quasi die Kultur Griechenlands der Achtziger, die sich in der neuen Heimat zu einer handfesten Paranoia entwickelte, dass man im Angesicht der Allgegenwärtigkeit der deutschen Kultur keine Chance hatte, griechisch zu bleiben.“ Davon ist bei ihr nichts mehr zu spüren. Tramountani ist eine reflektierte junge Frau, die nichts von Stereotypen und Vorurteilen hält – und diese auch in ihrem Umfeld nicht vorgelebt bekam. „Mein Vater, der durch und durch eine griechische Erziehung genossen hat, hasst es, unpünktlich zu sein, und ist sparsamer als jeder Schwabe“, lacht sie.

Döner statt Gyros

Auch sie ist alles andere als typisch griechisch. Gefragt nach ihrem liebsten kulinarischen Geschenk der Gastarbeiter, gesteht sie nämlich etwas. „Für diese Aussage werde ich jetzt wahrscheinlich direkt enterbt, aber: der Döner!“ Nach einer kurzen Pause fügt sie bestärkend hinzu: „Und zwar nicht, weil er besser schmeckt als der Gyros, sondern weil ich ihn damit verbinde, dass ich als Kind meine Mama nach der griechischen Schule überredete, noch bei unserer Stammdönerbude zum Abendessen vorbeizugehen. Weil ich als Teenager mein letztes Taschengeld zusammengekratzte, um mich auf der Shoppingtour mit ihm zu stärken. Und weil ich als Studentin kurz vor Sonnenaufgang nach dem Feiern mit ihm dem morgen drohenden Kater entgegenwirkte.“ Wir haben eben alle doch viel mehr gemeinsam als uns das mancher einreden will.

Und dennoch könnte auch für Tramountani einiges besser laufen hier in Stuttgart. „8,8 Prozent“, sagt sie mit dunkler Miene. „Das ist der Anteil der Wähler Stuttgarts, die kürzlich eine rechte Partei in den Bundestag gewählt haben. Solange es diese 8,8 Prozent gibt, so lange müssen wir weiter hart daran arbeiten, dass jemand mit einem ausländisch klingenden Namen oder dunkler Hautfarbe nicht deswegen keine Arbeit oder keine Wohnung bekommt.“ Wie viel uns Offenheit, Toleranz und Vielfalt bringen, sieht man nämlich nicht nur am Döner, am Gyros oder an der Pizza. „Die wohl besten Produkte all dieser Menschen, die in dieses Land kamen, sind ihre Kinder und Enkelkinder, die ein Teil davon sind, was Deutschland ausmacht.“ Und das schon seit vielen, vielen Jahren.

„Daughters and Sons of Gastarbeiters“: Lesung in der Stadtbibliothek am Freitag, den 6. Oktober 2017, 20:30 Uhr.