Der leitende Oberarzt Christian Kasperk arbeitet seit 23 Jahren an der Universitätsklinik Heidelberg; seiner Einschätzung nach hat sich der Klinikalltag in den letzten Jahren stark verändert.

Heidelberg - Der Klinikalltag hat sich in den letzten Jahren tiefgreifend verändert. Früher hatte man meist einen strukturierten, weitgehend ungestörten Tagesablauf, heute ist man ständig Anfragen von allen Seiten ausgesetzt. Als ich am Uniklinikum Heidelberg vor 23 Jahren als Assistenzarzt angefangen habe, gab es noch keinen PC auf der Station, man war nicht unmittelbar über Telefon, sondern nur über Piepser zu erreichen und hat, falls möglich, zurückgerufen.

 

Die kostbarsten Stunden sind für mich von sechs bis neun Uhr morgens. Da kann ich mich relativ unbehelligt meiner Forschung – ich befasse mich seit vielen Jahren mit Knochenschwund, seiner Entstehung und Behandlung – widmen. Danach geht es bis 14 Uhr weiter mit der Patientenambulanz, wo ich mich auch um die Assistenzärzte und ihre Patienten kümmere. Nachmittags finden Spezialsprechstunden und Besprechungen mit Kollegen anderer Disziplinen statt, in denen wir gemeinsame Fälle besprechen.

Ein Berg an Verwaltungsarbeit

Daneben muss immer ein Berg an Verwaltungsarbeit erledigt werden, und es müssen Forschungsanträge und Begutachtungen geschrieben, Doktoranden betreut werden. Zu meiner Abteilung gehört auch die Notfallambulanz: Auch hier stehe ich für schwierige Fälle zur Verfügung. Etwa einmal am Tag werde ich gerufen.

Die Medizin hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. Gerade in meinem Fachgebiet, der Endokrinologie, das sich mit komplexen Hormonstörungen befasst, können wir unseren Patienten immer differenziertere diagnostische Verfahren und Therapien – meist ambulant – anbieten. Allerdings hat das Vergütungssystem in der Klinik mit diesen Entwicklungen nicht Schritt gehalten: Wir müssen immer mehr Patienten mit schweren Hormonstörungen engmaschig betreuen, bekommen im Vierteljahr aber nur eine Pauschale von den Krankenkassen, die die Leistungen in der Klinik bei Weitem nicht abdeckt.

Ausbildung nimmt breiten Raum ein

Ein Uniklinikum ist auch ein großer Ausbildungsbetrieb: Wir kümmern uns um die Weiterbildung der Assistenzärzte zu Fachärzten und bilden die Medizinstudenten aus. Die Lehre wurde in den letzten Jahren stark intensiviert, was auch nötig war. Aber das bedeutet natürlich auch, dass alle Ärzte hier mehr Zeit investieren müssen. Wir stehen unter einem gewaltigen Druck, und es gibt sicher viele Kollegen, die das belastet. Da berechtigte Gehaltssteigerungen aller Mitarbeiter und die gestiegenen Sachkosten durch das fest bemessene Budget der Krankenkassen nicht getragen werden, muss letztlich auf dem Rücken der Patienten gespart werden. Diese Entwicklung belastet viele Kolleginnen und Kollegen zusätzlich. Deswegen gibt es immer mehr Ärzte, die die Klinik verlassen. Dieser Trend wird nicht aufzuhalten sein, gerade bei der nachwachsenden Generation, die ihre Freizeit mehr schätzt, als wir das noch getan haben.

Auch mich persönlich beschäftigt der berufliche Stress, aber er belastet mich nicht. Man muss sich dem Ansturm stellen und Prioritäten setzen. Dabei stehen für mich die Patienten immer an erster Stelle. Wenn man Wertschätzung von seinen Patienten oder Studenten erfährt, wenn man gute Forschungsergebnisse erzielt, dann lohnt sich der Einsatz – und deshalb fühle ich mich hier wohl. Und es gibt auch für mich ein Leben außerhalb der Klinik; diesen Freiraum muss man sich erhalten.