Der Berliner Autor, Produzent und Rechtsanwalt Fred Breinersdorfer hat gemeinsam mit seiner Tochter Léonie-Claire das Drehbuch zu „Elser“ ­geschrieben. In einem Beitrag für die StZ kritisiert er die Landesregierung von Baden-Württemberg.

Stuttgart - Es war und ist ein beschwerlicher Vorgang, sich mit dem millionenfachen Morden in der Nazizeit auseinanderzusetzen, der von den eigenen Leuten, den Eltern, Großeltern und Freundesfreunden geduldet oder vielleicht sogar selbst begangen wurde. Wir Deutschen haben über Jahrzehnte damit gerungen. Dabei konnte der Eindruck entstanden sein, unser ganzes Volk sei gleichsam im Stechschritt den Nazis gefolgt.

 

Ohne irgendeines der unbegreiflichen NS-Verbrechen relativieren zu wollen, entstand so ein asymmetrisches Geschichtsbild, in dem der Widerstand gegen die Nationalsozialisten aus dem Blick geriet. Und nicht nur das: wer gegen Hitler aufgestanden war, galt noch lange nach den Krieg als „vaterlandsloser Geselle“. Elisabeth Hartnagel erzählte mir bei den Recherchen zu meinem Film über ihre Schwester Sophie Scholl, wie die Familie in Ulm von den Bürgern regelrecht geschnitten wurde.

Elser war der erste Attentäter gegen Hitler

Es dauerte lange, bis der Widerstand der „Weißen Rose“ und des Kreises um Stauffenberg als Teil des anderen Deutschland wahrgenommen wurde, als Teil derer, die nicht nur geschwiegen, sondern gehandelt haben. Es waren Verwandte und Freunde dieser Opfer des Nationalsozialismus, die um deren Anerkennung gekämpft haben, keineswegs die Regierung von Baden-Württemberg, obwohl die Scholls und Stauffenbergs aus unserem Land stammen. Und ein anderer, der als Einzelkämpfer gegen das Regime kaum Unterstützung erfahren hat, wurde buchstäblich links liegen gelassen: Georg Elser aus Königsbronn.

Dabei war er der erste und potenziell effektivste, der gegen Hitler vorgegangen ist. Er hätte die Weltgeschichte entscheidend verändert, wenn es ihm gelungen wäre, die Führungsriege des NS-Staates zwei Monate nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auszuschalten. Sie saßen alle im Bürgerbräukeller um den Pfeiler, in dem die Bombe tickte.

Die Landesregierung verhält sich empörend ignorant

Elser wollte das mörderische Blutvergießen des Krieges verhindern, die Offiziere um Stauffenberg hatten nur noch die Chance, es vor dem totalen Zusammenbruch zu beenden. Die „Weiße Rose“ versuchte eine verblendete Nation aufzurütteln – 1943, vor und nach Stalingrad. Als Elsers Bombe im Bürgerbräu am 8. November 1939 zündete, gab es erst vier am Krieg beteiligte Nationen – Polen, England, Frankreich und Deutschland – und damit eine reale Chance für ein frühes Ende. Möglicherweise hätte der Holocaust nicht stattgefunden. Es bedeutet nicht, den seltenen Widerstand in Deutschland gegeneinander aufzurechnen, wenn man sich diese Fakten vor Augen führt.

Doch ein so großer Widerstandskämpfer wie Georg Elser wird heute immer noch unterschätzt. Ich könnte noch zahlreiche Beispiele für meine These anführen, eine bittere Erkenntnis aus jahrelangen Recherchen zu unserem Film über ihn. Und aus Baden und Württemberg stammen noch andere, ebenso übergangene Widerständler gegen die Nazis, zum Beispiel Eugen Bolz, Gertrud Luckner oder das Ehepaar Mörike.

Was mich empört, ist die Ignoranz der Landesregierung, die, wie es der Historiker Peter Steinbach kürzlich in Berlin in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand formulierte, schlicht ahistorisch ist, wenn es um die Würdigung politischen Widerstands geht. Dabei handelt es sich hier um ein Erbe mit langer Geschichte, die von der Badischen Revolution 1848 bis zu Stuttgart 21 reicht. Und deswegen kommt sie ihrer Verantwortung nicht nach, die dieses Erbe mit sich bringt.

Im Südwesten herrscht amtliches Schweigen

Um das Gegenteil zu beweisen, hat mir der Sprecher der Landesregierung jüngst eine kleine Aufstellung der Aktivitäten übermittelt, die sich teils wie ein Reisetagebuch beim Gedenkstättentourismus lesen, teils als Budgetposten im Finanzresort, wenn es um Einrichtungen wie das Haus der Geschichte geht. Den Widerstand selbst betreffen auf der Liste zwei Aktivitäten: 2011 eine Rede des Ministerpräsidenten bei der Stauffenberg-Gedächtnisvorlesung mit dem Hinweis, dass man dazu den Weißen Saal im Neuen Schloss kostenfrei zur Verfügung gestellt habe. Chapeau! Und die Videobotschaft des Ministerpräsidenten bei der Premiere des Films „Elser“ kürzlich in Stuttgart. Auch kostenfrei.

Jedes Jahr am 20. Juli sprechen die Spitzen der Republik im Bendlerblock in Berlin und ehren die Widerständler um Stauffenberg. Wenn sich am 9. April 2015 zum siebzigsten Mal der Tag jährt, an dem Georg Elser in Dachau ermordet wurde, herrscht im Südwesten amtliches Schweigen. Ist das nicht beschämend? Nur die Landesvertretung im fernen Berlin ehrt Elser mit einer Veranstaltung, die ich angeregt habe.

Mahnmal für den Widerstand

Was wäre, wenn man im Land ein Mahnmal für Widerstand und Zivilcourage – der eine wächst ja aus der anderen – errichtete? Eigenständig, nicht als Teil einer Ausstellung, etwa im Hotel Silber. Geeignete Plätze gäbe es nicht nur in Stuttgart. Und es muss noch nicht einmal aufwändig sein, vielleicht aber kunst- und fantasievoll? Es wäre sicher ein Zeichen öffentlicher Anerkennung und Würdigung derer, die ihre Leben eingesetzt und oft genug verloren haben.

Es könnte ein Platz sein, an dem man etwa an einem 9. April eines Georg Elsers gedenkt, an einem 22. Februar der Geschwister Scholl, am 20. Juli Stauffenberg, an anderen Tagen den eher Namenlosen. Ein Gedenken in aller Stille – oder, falls die Regierenden im Land sich zu unserem Erbe bekennen, gelegentlich in aller Öffentlichkeit. Ein Motto für das Mahnmal fällt mir spontan ein. Es ist der Artikel 20 unseres Grundgesetzes: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“