Polen, wo die Löhne im Vergleich niedrig und die Qualifikation der Mitarbeiter hoch ist, ist vor allem als verlängerte Werkbank für westliche Unternehmen bekannt. Das dürfte sich künftig ändern.

Warschau - Die deutsche Industrie will ihre Geschäfte mit Polen ausbauen. Zwar sind die Maschinenexporte in das Nachbarland im vergangenen Jahr nur um magere 0,9 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro gestiegen, nach einem Plus von 14 Prozent im Jahr zuvor. Doch dies ist nach Ansicht von Yvonne Heidler, Osteuropa-Expertin beim Maschinenbauverband VDMA, nur eine vorübergehende Delle. „Für 2017 sehen wir die Zeichen wieder auf Wachstum“, sagte Heidler in Warschau. Sie verweist auf die Pläne Polens, die Industrie zu modernisieren. Ziel der Regierung in Warschau ist es, die Digitalisierung und die Automatisierung voranzutreiben.

 

In diesem Jahr ist Polen das Partnerland auf der Industriemesse in Hannover, die vom 24. bis 28. April ihre Pforten öffnet. Rund 150 Aussteller aus dem Nachbarland wollen sich in der niedersächsischen Landeshauptstadt präsentieren. Beata Szydlo, die Ministerpräsidentin von Polen, hat ihr Kommen zugesagt.

Die Politik hat die Unternehmen verunsichert

Den Grund für das deutlich abgebremste Exportwachstum im vergangenen Jahr sieht die Osteuropa-Expertin des VDMA zum einen in der Wahl der rechtskonservativen Regierung in Polen, die zu einer zeitweisen Verunsicherung und in der Folge einer Investitionszurückhaltung der Unternehmen geführt habe, und zum anderen in der bisher nur schleppend vorankommenden Verteilung der EU-Fördermittel. Demnach soll Polen bis 2020 mehr als 82 Milliarden Euro erhalten, die vor allem in den Ausbau der Infrastruktur – also Straßen, Bahnen und digitale Netze – sowie in Innovationen gesteckt werden sollen. Dies dürfte die Nachfrage nach modernen Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen zusätzlich ankurbeln, ist Heidler zuversichtlich.

Ähnlich optimistisch ist die deutsche Elektroindustrie gestimmt. „Polen will durch die Digitalisierung wirtschaftlich in die europäische Spitzengruppe aufrücken“, sagte Rada Rodriguez, Vorstandsmitglied des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Die Zuversicht hat auch damit zu tun, dass Deutschland mit Abstand wichtigster Handelspartner von Polen ist. Freilich hat Polen noch einen weiten Weg vor sich, um zu den technologisch führenden europäischen Ländern aufzuschließen. Bisher hat sich das Land vor allem einen Namen als verlängerte Werkbank des Westens gemacht. Die Vorteile Polens – attraktive Arbeitskosten, die räumliche Nähe zu Deutschland sowie gut ausgebildete Arbeitskräfte – haben viele Zulieferer oder Maschinenbauer aus Deutschland und anderen westlichen Ländern dazu veranlasst, dort zu fertigen.

6500 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung sind in Polen

Rund 6500 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung sollen in Polen präsent sein, hat die Marketinggesellschaft der Bundesrepublik errechnet. Damit stellen sie die größte Gruppe ausländischer Investoren dar. Rund zwei Drittel der polnischen Exporte werden durch ausländische Unternehmen generiert. Die Zahlen belegen auch die Bedeutung Polens als verlängerte Werkbank des Westens: Von der deutschen Maschineneinfuhr aus Polen im Wert von 2,6 Milliarden Euro (2016) entfallen knapp 70 Prozent auf Teile und Komponenten – also typische Produkte für eine verlängerte Werkbank – und nur 30 Prozent auf komplette Maschinen.

Noch sind die Arbeitskosten niedrig – in der Industrie liegt der Arbeitslohn im Schnitt bei knapp 1000 Euro im Monat –, was den Druck zum Automatisieren nimmt. Deshalb ist die Roboterdichte in Polen auch unterdurchschnittlich. So entfielen in Polen 2015 gerade mal 22 Roboter auf 10 000 Arbeitnehmer, in Europa waren es im Schnitt bereits 85 und im hochautomatisierten Deutschland gab es 292 dieser elektronischen Helfer.

Am mangelnden Interesse polnischer Unternehmen liege der geringe Automatisierungsgrad nicht, so Heidler, viele würden jedoch an der Finanzierung scheitern. Denn anders als in anderen Ländern gibt es in Polen überwiegend kleinste und kleine Unternehmen, die sich ausschließlich auf den heimischen Markt konzentrieren. Doch mit den zu erwartenden steigenden Lohnkosten dürfte der Druck schnell zunehmen.

Polen will Abwanderun stoppen

Polen will über die Modernisierung der eigenen Industrie die Abwanderung der Hochqualifizierten in westliche Länder stoppen. Erste Erfolge gibt es. So hat sich etwa in der Region Krakau ein regelrechtes Zentrum für Software entwickelt, von dem Konzerne wie ABB profitieren wollen. Auch auf dem Markt für Elektrobusse rechnet sich Polen Chancen aus.