Am Sonntagabend brennen auf dem Marienplatz Kerzen. Sie sind ein Zeichen, dass die Coronatoten nicht vergessen sind. Deutschlandweit verbreitet sich die Idee im Netz mit dem Hashtag #coronatotesichtbarmachen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es ist keine Initiative. Es ist keine feste Veranstaltung. Es ist einfach nur eine Idee, ein Zeichen zu setzen: Mit dieser Haltung treffen sich seit Jahresanfang in Stuttgart mal am Schillerplatz mal am Marienplatz sonntagabends Menschen und zünden Kerzen an, die ein helles Zeichen der Erinnerung sein sollen an all jene, die in der Coronapandemie in Deutschland bislang gestorben sind. Ein Toter, eine Kerze – das geht bei mehr als 60 000 Menschen, die seit Beginn der Pandemie ihr Leben verloren haben, schon lange nicht mehr. Deswegen steht die Zahl auf einem Schild.

 

In Berlin dürfen die Kerzen stehenbleiben

„Ich hab einen Anruf aus Berlin bekommen, dort gab es das schon längst“, sagt der Journalist Joe Bauer. Also suchte er ein paar Leute, die mitzogen. Denn es war seiner Meinung nach nicht in Ordnung, dass Stuttgart fehlte. Am Schillerplatz fingen sie an. „Beim ersten Mal hat es geregnet, da konnten wir unterstehen.“ Inzwischen ist der Marienplatz der Ort, wo am Sonntagabend die Kerzen brennen neben der erschreckend großen Zahl. „Aber es ist ja nicht an einen Ort oder eine Gruppe gebunden. Wenn jemand auf dem Hallschlag auch Kerzen anzünden will, ist das auch gut“, sagt Bauer. Die Erinnerungsstelle muss am nächsten Tag abgeräumt werden und ist bei der Stadt angemeldet. Wie in Berlin, wo die Kerzen dauerhaft stehen, diese Form der Erinnerung sei in Stuttgart nicht möglich.

Keine Reden, nur ruhige Musik und Kerzen

Ein bisschen Musik, zurückhaltend und angemessen, zum Beispiel von Marcel Engler mit dem Alphorn, ein paar ruhige Minuten, mehr passiere nicht. Auch keine Reden werden gehalten. „Es ist keine Kundgebung, keinerlei politische Idee steckt dahinter“, sagt Bauer. Es soll bewusst nichts los sein – und so ist das Gedenken auch ein bisschen ein Kontrapunkt zum Lärmen der sogenannten Querdenker geworden, die lautstark gegen die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie protestieren. Bauer erklärt, dass es darum gehe, dass die Toten „nicht nur Zahlen und Statistiken sind. Da geht es um Menschen. Wer weg ist, ist nicht weg – er gehört immer noch dazu.“

Die Idee wird im Netz weiterverbreitet

Das Lichtermeer soll sich auch im Internet verbreiten. Der Hashtag dazu heißt #coronatotesichtbarmachen. Auf Instagram und Facebook sieht man, wo die Idee schon überall angekommen ist.

Die Mund-zu-Mund-Werbung im Netz und im realen Leben wirkt. Es seien am vergangenen Sonntag einige Leute „bewusst vorbeigekommen“, um sich zu beteiligen. Man achte sehr auf die Abstandsregeln und auch darauf, dass keine zu große Menschenmenge zusammenkomme. Ein paar mehr, als es seither waren, dürften es aber schon noch sein, das äußert Bauer in seinen Facebookeinträgen zum Thema. „Nirgendwo in der Republik findet bisher die Aktion „Wir trauern um die Corona-Toten“ vergleichsweise so wenig Resonanz wie in Stuttgart“, schrieb er nach dem vierten Treffen am 11. Januar in einem Beitrag. Da hatte es die Berliner Aktion schon in die Tagesthemen geschafft.