Der französische Präsident lädt die Staats- und Regierungschefs der Welt zur Gedenkfeier ein. Sie sind alle gekommen– nur einer tat sich sichtlich schwer.

Paris - Schöner kann man den Traum geeinter Nationen nicht inszenieren. Mehr als 70 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt ziehen einträchtig die Champs-Elysées hinauf. Weitgehend frei von protokollarischen Zwängen strebt die in Wintermäntel gehüllte Schar ihrem Ziel entgegen: dem Pariser Triumphbogen. Dort will Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs den Frieden feiern.

 

Eine Rangfolge ist unter den Regenten nicht auszumachen. Gewiss, Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel marschieren vorneweg – Sinnbild der Aussöhnung der Kriegsgegner von einst, die heute eng zusammenarbeiten. Aber um die beiden herum ist alles in Bewegung. Ein Großfamilienausflug scheint hier stattzufinden, kein Staatsakt. Der zur Ehrentribüne am Arc de Triomphe führende rote Teppich erweist sich im Gedränge der Staatenlenker als zu klein. Für die Schirme, die Macrons Gäste vor dem prasselnden Regen bewahren sollen, gilt das Gleiche.

Die raue politische Gegenwart bricht über die Feier herein

Jugendliche lesen vor den Versammelten aus Briefen chinesischer, amerikanischer, französischer oder deutscher Weltkriegssoldaten, die den Tag des Waffenstillstands erleben durften. Vom Glück des Friedens handeln die Schriftstücke, einige auch von der Sinnlosigkeit des Mordens. Als dann noch die Klänge von Yo-Yo-Mas Violincello ans Ohr dringen, der eine Sarabande Johann Sebastian Bachs vorträgt, bekommen auf der Ehrentribüne selbst militärische Haudegen feuchte Augen.

Aber natürlich ist all das zu schön, um wahr zu sein. Immer wieder bricht die raue politische Wirklichkeit über die Friedensfeiern herein. So stattlich die über die Pariser Prachtstraße ziehende Schar auch wirkt, einer der Geladenen wahrt demonstrativ Distanz. Donald Trump, der von geeinten Nationen und internationaler Zusammenarbeit wenig hält, lieber auf das Recht des Stärkeren pocht, ließ sich mit seiner Gattin Melania in seiner gepanzerten Limousine bis zum Triumphbogen chauffieren. Und vermutlich sah sich der im Fond sitzende US-Präsident in seiner Entscheidung bestätigt. Jedenfalls, wenn er bemerkt haben sollte, dass sich eine barbusige Aktivistin der Frauenrechtsbewegung Femen dem Wagen näherte, ihm „Fake Peacemaker“ zurief, falscher Friedensmacher. Auf der Tribüne würdigt Trump die Bundeskanzlerin keines Blickes, drückt unwirsch ein paar Hände.

Der Amerikaner scheint zu spüren, diese Veranstaltung richtet sich gegen seine Politik. Trumps russischer Kollege Wladimir Putin, der ebenfalls im Wagen vorfuhr, wirkt an der Seite des unwirschen Amerikaners geradezu fröhlich-gelöst. Hinzu kommt die Anschlagsgefahr. Wer zur Aussichtsplattform des Triumphbogens hinaufblickt, entdeckt Scharfschützen. Rund 10 000 Polizisten, Gendarmen und Soldaten sind im Einsatz.

Vaterlandsliebe sei das Gegenteil von Nationalismus

Auch der Gastgeber ist von der rauen Wirklichkeit gezeichnet. Macron wirkt blass. Das Lächeln, das gelegentlich auf dem Gesicht des Präsidenten aufscheint, zeugt weniger von Erbauung als von grimmiger Entschlossenheit. Die Zeiten, da die Franzosen Macron Jupiter nannten, da er Hoffnungen auf eine sein Volk beglückende Erneuerung des Landes, ja Europas weckte, scheinen vorbei. Auf 26 Prozent Zustimmung ist der Staatschef zurückgefallen.

Was nicht heißt, dass es ihm nicht immer wieder gelänge, den deprimierenden politischen Alltag hinter sich zu lassen, über sich hinauszuwachsen. Hier am Triumphbogen im Angesicht der Geschichte gelingt es ihm besonders gut. Macron erinnert an die zehn Millionen toten Soldaten des Ersten Weltkriegs, schlägt dann den ihm so wichtigen Bogen zur Gegenwart. Der Präsident warnt vor dem Egoismus von Völkern, die nur die eigenen Interessen im Blick hätten.

Wenn man sage „unsere Interessen zuerst, was auch immer mit den anderen passiert“, zerstöre man das Kostbarste, was eine Nation besitze: ihre moralischen Werte. Vaterlandsliebe sei das Gegenteil von Nationalismus, die wachsende Neigung, sich aufs Nationale zurückzuziehen, sei ein verhängnisvoller Irrtum. Und dann preist der Staatschef den zur Festigung des Friedens erzielten Fortschritt: die deutsch-französische Freundschaft, die europäische Union, die Vereinten Nationen. Als Macron endet, deutet er ein Lächeln an.

Ein Eklat am Rande: Trump wettert auf Twitter gegen Macron

Hier zumindest ist Macron die ihm so kostbare Botschaft losgeworden. Hier wird er nicht unterbrochen oder gar niedergeschrien wie noch ein paar Tage zuvor, als er auf Gefallenenfriedhöfen und ehemaligen Schlachtfeldern des Landes das Wort ergriff. Das Volk, dessen Nähe der Staatschef suchte, treiben steigende Benzinpreise und erhöhte Abgabenlasten der Rentner um. Nicht selten ging die Botschaft des Präsidenten in Buhrufen unter. Am Triumphbogen erntet Macron Beifall. Selbst Trump führt ein paar Mal die Hände zusammen.

Am Vorabend hatte der Amerikaner den Gastgeber in einem Tweet noch scharf angegriffen. Macrons in einem Interview erhobene Forderung, eine europäische Armee aufzustellen, um sich „vor Russland, China und sogar den USA zu schützen“, hatte Trumps Zorn hervorgerufen. Der US-Präsident nannte die Äußerungen „sehr beleidigend“, forderte die Europäer auf, erst einmal den ihnen zukommenden Anteil an den Kosten der Nato zu bezahlen. Macron sprach im Elysée-Palast später von einem Missverständnis. Eine europäische Armee richte sich nicht gegen die USA, versicherte der Staatschef, die finanziellen Lasten seien innerhalb der Nato in der Tat gerechter zu verteilen. Beide Präsidenten versicherten einander anschließend ihrer unverbrüchlichen Freundschaft.

Angela Merkel steht eng an Macrons Seite

Bei den Festlichkeiten am Triumphbogen ist von dieser Freundschaft indes nichts zu spüren. Augenscheinlich ist stattdessen die enge Bande zu Angela Merkel. Gewiss, sie ist Kanzlerin auf Abruf – aber eben noch immer seine wichtigste Verbündete im Kräftemessen mit den allseits erstarkenden, nationale Nabelschau propagierenden Populisten. Merkel ist es auch, die am Nachmittag zusammen mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres das Pariser Forum für den Frieden eröffnet. Gleichgesinnte kommen dort zusammen, die Macrons Forderung nach Multilateralismus und verstärkter internationaler Zusammenarbeit nachkommen und auf dem Forum friedensfördernde Initiativen vorstellen wollen. Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler und Unternehmer gesellen sich dabei zu den Staats- und Regierungschefs. Trump bleibt dem dreitägigen Treffen fern.

Merkel greift Macrons Botschaft auf. Sie bekundet ihre Sorge, „dass sich wieder nationales Scheuklappendenken ausbreitet“. Internationale Zusammenarbeit, friedlicher Interessenausgleich, ja selbst das europäische Friedensprojekt würden wieder in Frage gestellt, sagt die Kanzlerin. Am Vortag bereits hatten Macron und Merkel gemeinsame Sache gemacht. Im Wald von Compiègne, wo Franzosen und Deutsche am 11. November 1918 in einem Eisenbahnwaggon dem Weltkrieg ein Ende gesetzt und einen Waffenstillstand unterzeichnet hatten, enthüllten Macron und Merkel eine Gedenkplakette. Für einen Augenblick lehnte die Kanzlerin vertraulich den Kopf an Macrons Schulter, Hand in Hand verharrten die beiden im nachgebauten Waggon. Sinnbilder der Hoffnung waren das, wie tags drauf jene vor dem Triumphbogen.