Schlag 10 Uhr haben Polizeibeamte und -beamtinnen bundesweit am Freitag innegehalten und der toten Kollegen in Rheinland-Pfalz gedacht.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Im Polizeirevier 1 an der Theodor-Heuss-Straße hängt das Foto eines getöteten Kollegen. Er wurde im Dienst ermordet. Das Foto ist mit umgezogen, es hing zuvor auch schon im Revier an der Hauptstätter Straße und davor in den Räumen an der Schmalen Straße. Dort wurde der Polizist Peter Blaschke am 6. November 1977 erschossen. Von einem Mann, dem die Polizei den Führerschein abnahm und der danach ausrastete. „Das Foto wird immer da hängen und wir hoffen, dass nie ein weiteres hinzukommt“, sagt Jens Rügner, der Revierleiter. Im ersten Revier ist die Mahnung an die Gefahr, die mit dem Polizeidienst einhergehen kann, immer präsent. Diese Tat und den dreifachen Polizistenmord an der Gaisburger Brücke kenne alle bei der Stuttgarter Polizei.

 

Es kommen Drohanrufe, aber die Solidarität überwiegt

An den ermordeten Kollegen mussten die Polizistinnen und Polizisten des Reviers natürlich denken, als die Nachricht vom Mord an einer 24-jährigen Polizeianwärterin und einem 29-jährigen Oberkommissar bei Kusel in Rheinland-Pfalz sie erreichte. Und keine 45 Minuten nach der Nachricht vom Tod zweier Kollegen kam für seine Leute im ersten Revier der nächste Schock: „Es kamen Anrufe von Leuten, die die Tat guthießen und sagten, sie freuen sich, dass es zwei von uns erwischt hat“, berichtet Rügner. „Aber davon lassen wir uns nicht provozieren, wir gehen geradeaus unseren Weg. Schließlich haben wir Recht und Gesetz auf unserer Seite“, fügt er hinzu. Den Kolleginnen und Kollegen, die solche Anrufe erhielten, riet er, ruhig zu bleiben und alle Daten zu erheben, um eine mögliche Strafverfolgung aufzunehmen. In Rheinland-Pfalz ist eine eigene Ermittlungsgruppe „Hate Speech“ eingerichtet, um gegen die Verbreitung von Hassbotschaften vorzugehen.

Das Team kam dem Chef mit der Idee zur Gedenkminute zuvor

Die Trauer überwiegt aber den Ärger über die Hassbotschaften, und zum Glück seien auch viele Solidaritätsbekundungen gekommen. Daher sei es auch das Bedürfnis seiner Leute gewesen, ein Zeichen zu setzen. „Ich war gerade dabei zu überlegen, wie wir das machen, da kam die Anregung zu einer Gedenkaktion auch schon aus meinem Team“, sagt Rügner. Dann kam noch der Aufruf zur bundesweiten Gedenkminute. Rügner bot allen, die gerade nicht in dringenden Einsätzen waren, an, sich vorm Revier an der Theo zu versammeln.

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Eine Beamtin spricht aus, was vielen durch den Kopf geht: „Es ist tatsächlich so, dass die ganze Woche schon ein Wechselbad der Gefühle war. Die absolute Fassungslosigkeit ist nach wie vor das vorherrschende Gefühl“, sagt die 32-jährige Polizeihauptkommissarin Tanja Herkommer. Der Kopf sage, dass die Nachrichten aus Rheinland-Pfalz wahr seien – doch das Herz wolle es noch nicht akzeptieren. Der Vorfall habe ihr mal wieder vor Augen geführt, wie präsent die Gefahr im Polizeialltag sei, und dass man gut aufeinander aufpassen müsse. Für ihren Kollegen, den 30-jährigen Polizeioberkommissar Maximilian von Hoiningen, hat die Schweigeminute das Geschehen noch einmal in den Mittelpunkt gerückt.

Auch Beamtinnen und Beamte auf Streife halten inne

Auf der Treppe aufgereiht standen die Beamtinnen und Beamten mit schwarzen Masken am Freitagmorgen. Zwei Minuten vor 10 Uhr kommt eine Passantin mit einer weißen Rose in der Hand, legt sie auf die unterste Stufe und geht wieder. Schlag 10 Uhr gibt Jens Rügner das Kommando, die Mütze abzuziehen.

Schweigend stehen sie da, Kopf gesenkt, Seite an Seite, in aller Stille. Dann gehen sie wieder los, in alle Richtungen. In alle Richtungen gehen die Einsatzkräfte auseinander. Eine Streife bringt eine aufgegriffene Jugendliche, andere rücken mit dem Streifenwagen aus oder gehen zurück an den Schreibtisch. Der Alltag geht weiter. Wie für alle Polizisten und Polizistinnen, die Schlag 10 Uhr am Freitag nicht bei einer der Dienststellen sein konnten. Auch sie hatten jedoch die Möglichkeit, kurz innezuhalten – so es die Einsatzlage zuließ: „Wer wollte, konnte auch mit dem Streifenwagen kurz an den Straßenrand fahren und so an der Gedenkminute teilnehmen“, sagt Rügner.