Wie läuft es ab, wenn eine Kommune Geflüchtete zugewiesen bekommt und kurzfristig Quartiere für sie stellen muss? Der Bürgermeister in Markgröningen redet Klartext über die zermürbende Aufgabe für Städte und Gemeinden.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Wie läuft es eigentlich ab, wenn eine Kommune Geflüchtete zugewiesen bekommt und kurzfristig Quartiere für sie stellen muss? Bürgermeister Jens Hübner berichtet am Markgröninger Beispiel, wie groß der Druck ist, wie die Stadt an Wohnraum kommt – und warum seine Sorge, was die nächsten Monate angeht, groß ist.

 

Herr Hübner, wie erfahren Sie, wenn Sie Geflüchtete aufnehmen müssen?

Wenn die Landeserstaufnahmestellen voll sind, erfolgt die Zuweisung auf die Landkreise, und wenn die Landkreis-Unterbringungen auch voll sind, erfolgt die Zuweisung direkt an die Kommune. Der Vorlauf beträgt in der Regel lediglich eine Woche. Da bekommen wir dann mitgeteilt, wie viele Personen wir unterbringen müssen, aber ich weiß dann noch nicht, in welcher Konstellation.

Wie erhalten Sie die Mitteilung?

Die bekommt unser Amt für öffentliche Sicherheit und Ordnung schriftlich. Sinngemäß: „Liebe Stadt Markgröningen, die Zuteilung für den Monat Februar sind 16 Personen.“ Sind es 16 Männer? Sind es Familien? Acht Frauen, vier Kinder, vier Männer? In welcher Konstellation die Leute kommen, erfahren wir kurz vor knapp: eine Stunde vor Ankunft per E-Mail, mal gar nicht. Faktisch manchmal auch erst, wenn die Leute aus dem Bus steigen und im Rathaus stehen.

Ist dieser miserable Informationsfluss Unvermögen oder Überlastung?

Absolute Überlastung. Man kommt mit dieser Menge an geflüchteten Personen einfach nicht mehr klar. Auch hinsichtlich der Unterbringung. In Markgröningen haben wir jetzt 170 Personen in privat angemietetem Wohnraum untergebracht. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Aus welchen Beweggründen vermieten die Leute ihren Wohnraum?

Manche wollen helfen. Andere vermieten, weil die Stadt zusichert, dass sie sich um alles kümmert. Man schließt einen Mietvertrag mit uns als Stadt ab, wir zahlen die Miete verlässlich, und wenn mal was nicht funktioniert, schauen unsere Hausmeister danach. Wenn die Leute ihren Müll nicht sauber trennen, die Kehrwoche nicht machen, eine Lampe kaputt ist, die Spülmaschine nicht funktioniert, dann rücken unsere Hausmeister an, auf die wir alle angemieteten Liegenschaften verteilt haben. Jeder muss zum eigentlichen Geschäft zusätzlich einiges übernehmen. Wir haben personell aufgestockt für die Flüchtlingsunterbringung. Faktisch ist es mehr als eine Hausmeisterstelle, deren Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt wurden.

Wie kriegen die Hausmeister alles hin?

Indem sie Überstunden machen. Jeder klappert seine Liegenschaften einmal wöchentlich ab und kommt auf Zuruf zusätzlich. Wenn uns Bürger eine Wohnung anbieten, wir aber sagen würden: „Wir als Stadt wollen sie nicht mieten, aber wir hätten eine geflüchtete Familie, mit der Sie den Vertrag direkt abschließen können“, sagen die Leute: „Auf dem freien Wohnungsmarkt bekomme ich die Wohnung auch an jemanden vermietet, bei dem ich keine sprachliche Barriere habe, der nicht traumatisiert herkommt, der dieselben Tages- und Nacht-Zeiten pflegt wie wir. Direkt an Geflüchtete zu vermieten ist mir zu viel Stress.“ Also sagen wir als Stadt: „Okay, dann nehmen wir den Stress auf unsere Kappe.“ Auf diese Weise konnte die Stadt bisher viel Wohnraum anmieten, es ist aber eine extreme Belastung. Unser Gebäudemanagement schaut die Wohnung an und sagt: „Da müssen wir noch mal wen schicken, der den Rollladen repariert, der die Elektrik prüft, den defekten Wasserhahn repariert.“ Das richten wir dann alles her. Wenn keine Küche in der Wohnung ist, bauen wir eine Küche ein. Wird der Mietvertrag abgeschlossen, sagen manche: „Vermietet es an jemanden, den ihr wollt“, andere: „Belegt nur mit ukrainischen Flüchtlingen.“ Manche wollen nur eine bestimmte Zahl von Mietern, manche befristet, andere unbefristet. Das alles im Blick zu behalten ist heftig.

Zahlt die Stadt diese Dinge selbst?

Wir bekommen eine pauschale Vergütung pro Quadratmeter Wohnraum, die reicht aber meistens nicht für eine Kostendeckung aus, wir legen den Rest also aus allgemeinen Haushaltsmitteln drauf. Wir machen das, weil wir es als richtig erachten, der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, ihre Stadthalle weiterhin für Veranstaltungen zu nutzen, anstatt dass wir sie mit Geflüchteten belegen. Und wir machen es, weil wir sagen: es ist menschenwürdiger, einer Familie das Leben in einer Wohnung zu ermöglichen, als zehn Familien in einer Halle einzuquartieren. Das kostet eben Geld. Einige Wohnungen werden uns auch überteuert angeboten, wir mieten sie notgedrungen teilweise trotzdem an.

An welchem Punkte ist da Schluss?

Wenn sich Leute bereichern wollen und zum Beispiel 18 Euro Kaltmiete verlangen, muss ich sagen: „Nein, herzlichen Dank, bevor ich in so eine Verlegenheit komme, muss ich doch vorsorglich eine Halle blocken.“ Es gibt aber auch Personen, die sagen: „Liebe Stadt Markgröningen, ich vermiete meine Wohnung für null Euro und hätte nur gerne meine Nebenkosten.“ Es gibt wirklich Menschen, die stellen uns Wohnraum zur Verfügung und wollen dafür nichts haben. Für diese Solidarität und Hilfe bin ich sehr dankbar! Dazwischen gibt es die ganze Bandbreite. Die Pauschale, die wir bekommen, richtet sich nach den Gebühren für die Obdachlosenunterbringung bei der Stadt Markgröningen. Wir versuchen in diesem Rahmen anzumieten, sodass wir noch etwas Puffer haben. Das gelingt aber nicht immer. Die Pauschale berücksichtigt ja nicht, dass wir Unmengen an Stunden für Hausmeister, Gebäudemanagement, auch von meiner eigenen Zeit aufwenden. Wir werden unsere Obdachlosengebühren daher zeitnah neu kalkulieren müssen. Aber es ist grundsätzlich falsch, für die Erstattung rein die Kaltmiete zu betrachten.

Wo bekommt die Stadt spontan Küchen her, wenn sie in der Wohnung fehlen?

Vom örtlichen Küchenbauer.

Warum nicht günstiger bei Ikea?

Weil ich nicht das Personal habe, das mir die Ikea-Küche aufbauen kann. Der örtliche Schreiner ist schneller, das ist oft ausschlaggebend. Wenn ich privat weiß, ich ziehe in vier Monaten um, kriege ich genug Leute, die mir eine Küche aufbauen. Aber wenn ich weiß, heute ist die Begehung, wir mieten die Wohnung ab 1. Februar, irgendwann in der ersten Februarwoche bekommen wir unsere Zuteilung, dann habe ich eine Woche Zeit zu reagieren. Dann beiße ich in den sauren Apfel und zahle eben mehr für die Küche. Ich weiß aber auch, dass es zuverlässig klappt.

Und wenn der Küchenbauer selbst keine Zeit dafür hat?

Dann müssen wir erst mal eine Kochplatte hinstellen. In die Verlegenheit sind wir aber bisher nicht bekommen.

In öffentlichen Gebäuden wurden Temperaturen runtergefahren,aber in den Unterkünften wird teils ordentlich geheizt. Wie geht man damit um?

Es ist menschlich, dass man nicht die Bereitschaft zum Energiesparen hat, wenn es nicht an den eigenen Geldbeutel geht. Klar ist es angenehmer bei 23 Grad im T-Shirt als bei 19 Grad im Pullover. Das hat auch nichts mit der Nationalität zu tun.

Was kann man da machen? Versuchen Ihre Mitarbeiter das anzusprechen?

Wir können in manchen Objekten die Vorlauftemperatur herunterdrehen oder Behördenventile einbauen, damit man die Temperatur nicht weiter als bis zu einer gewissen Grenze aufdrehen kann. Aber was passiert dann praktisch? Dann stellen sich die Leute teilweise halt zwei Heizlüfter rein, weil sie den Strom ja auch nicht zahlen müssen. Spätestens dann sind wir raus. Wir können das nicht kontrollieren und haben auch kein Druckmittel. Wir können ja niemanden auf die Straße setzen. Wir können den Menschen gut zureden. Unsere Hausmeister machen das auch. Manche Leute haben auch Verständnis. Aber einige denken sich: wenn der Hausmeister am Mittwoch vorbeikommt, drehe ich runter, und wenn er weg ist, stelle ich die Heizung wieder auf Stufe fünf.

Sind in all den angemieteten Wohnungen gerade Menschen ausgezogen, oder gibt es tatsächlich so viel Leerstand?

Ich bin überzeugt davon, dass in Markgröningen mindestens noch mal so viele Wohnungen leer stehen. Viele Besitzer sind oftmals nicht auf die Miete angewiesen und wollen sich, gerade auf ihre alten Tage, den Stress mit Mietern nicht mehr antun.

Wäre es nicht eine gesellschaftliche Verantwortung, diesen Wohnraum zu vermieten?

Meiner Meinung nach, ja. Ich finde, Eigentum verpflichtet. Aber das ist auch leicht gesagt. Wenn der Partner verstorben ist, die Kinder aus dem Haus sind, wer weiß, ob ich nicht genau so denken und doch lieber ohne Mieter im Haus wohnen würde.

Wie könnten Anreize aussehen?

Aus meiner Sicht müsste man eine ähnliche Lösung finden wie die Stadt München, die eigenen Wohnraum vorhält. Dann kann man sagen: „Liebe Frau XY, wir besitzen hier ein Zehn-Familien-Haus, wir vermieten Ihnen eine Wohnung 20 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete. Drei Zimmer, Neubaustandard, Aufzug. Dafür kaufen wir Ihr Haus zu marktüblichen Konditionen.“ Und bringen dann nicht eine Person darin unter, sondern drei Familien. Oft fehlt es an einer Option. Wer Eigentum hat, geht doch nicht ohne Anreiz in eine Wohnung mit 1500 Euro Kaltmiete. Es braucht Konzepte, wie man Leute in anderen Wohnraum bringt.

Wie wird es weitergehen, wenn irgendwann auch alle noch verfügbaren leeren Wohnungen belegt sind?

Dann müssen wir tatsächlich eine Halle blocken. Und wenn die auch voll ist, dann weiß ich nicht mehr, was machen. Dann kann ich mein Rathaus mit Feldbetten belegen, einen Kindergarten zumachen oder eine Schule schließen. Irgendwann endet jede Kapazität. Dann muss man einfach größer denken, zum Beispiel über Verteilungsquoten reden. Es gibt in Deutschland viele Bereiche, in denen reichlich Fläche ist, man großen Leerstand hat, auch Bereitschaft zur Aufnahme von Menschen da ist. Hier, im absoluten Ballungsgebiet, wo Wohnraum ohnehin komplette Mangelware ist, kriege ich die Leute nicht mehr unter. Auch nicht eine einheimische Familie, die in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt und die vom Vermieter wegen Eigenbedarfs gekündigt wird. Es ist unfassbar schwierig, eine Wohnung zu finden. Ein Freund von mir sucht seit einem halben Jahr eine Wohnung. Er findet keine. Höchstens wenn er sagen könnte: Geld spielt gar keine Rolle. Aber etwas zu zwölf, 13 Euro Kaltmiete zu finden: aussichtslos. Er hat auf Immoscout 100 Wohnungen angefragt. Für sechs hat er eine Rückmeldung bekommen mit der Info, sie würden anderweitig vergeben. Andere melden gar nicht mehr zurück.

Allen Ballungsräumen geht es so. Was muss passieren, damit das auf der Entscheider-Ebene ankommt?

So blöd es klingt und so wenig das irgendwer will: es müsste eskalieren. Wenn es mal Bilder gäbe, auf denen man sieht, dass niemand mehr untergebracht werden kann, dass Menschen faktisch auf der Straße schlafen müssen, käme das Thema wohl bei allen an.

De facto hat eine Kommune das Thema also null in der Hand und kann nicht agieren, sondern immer nur reagieren?

So sieht es aus. Und wenn man über das kurzfristige Anmieten hinausdenkt und zum Beispiel längerfristig überlegt: bauen wir noch mal eine Flüchtlingsunterkunft – dann zahlen wir die selbst. Mit Geld, das wir nicht haben. Aber sogar wenn man eine andere Finanzierung oder eine andere Verteilung hinbekäme, auch wenn der Bund die Unterbringung als Aufgabe des Katastrophenschutzes übernehmen würde – wir kriegen derzeit einfach zu viele Geflüchtete. Das Ganze ist eine große, große Belastung für alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für die Hausmeister, für die Integrationsbeauftragte, die nicht rundum alle Familien betreuen kann – wir bräuchten fünf. Fürs Gebäudemanagement, das schauen muss, dass die Liegenschaften in ordentlichem Zustand sind und bleiben. Für die Personen, die die Mietverträge abschließen und im Blick behalten müssen, wann die Verträge enden und was die Optionen sind, wenn sie nicht verlängert werden.

Gibt es einen Schulterschluss über die Kommunen und den Kreis hinaus, oder hat dafür niemand Kraft und Kapazität?

Ich würde Zweiteres vermuten. Die Flüchtlingsunterbringung gehört zu einer Bundesaufgabe gemacht. Man müsste sich Standorte überlegen wie die Messe in Stuttgart. Das wäre nicht schön, aber ich glaube, man muss zwischenzeitlich so groß denken, weil man die Kommunen sonst schlichtweg an die Wand drückt.

Der Stadtchef

Der Bürgermeister
Jens Hübner ist 37 Jahre, verheiratet und hat drei Kinder. Er wurde im Februar 2022 mit knapp 80 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister der 15 000-Einwohner-Stadt Markgröningen gewählt.

Der Berufsweg
Vorher war Hübner, der an der Ludwigsburger Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen studierte, Kämmerer in Oberriexingen und stellvertretender Kämmerer in Möglingen.