Kommt die Umgehung für den lärmgeplagten Vaihinger Ortsteil Enzweihingen? Corona stockte den Planungsfortgang, doch jetzt steht der Erörterungstermin für das Planfeststellungsverfahren an. Naturschützer wollen, wenn es hart auf hart kommt, klagen.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Vaihingen an der Enz - Auf diesen 28. Juli haben sie lange gewartet: Die Befürworter der Enzweihinger B-10-Umfahrung, die fordern, dass jahrzehntelangem Hin und Her jetzt endlich Taten folgen. Und die Gegner, die den geplanten Eingriff in die Natur für unverantwortlich halten und diese Umfahrung um jeden Preis verhindern wollen. Nachdem der für April angesetzte Erörterungstermin, bei dem alle Argumente für die abschließende Entscheidung auf den Tisch kommen sollten, wegen Corona flachfiel, geht es nun Ende Juli ums Ganze. Politiker und Verbände brachten sich deshalb schon in Stellung, bevor das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) dieser Tage den Nachholtermin überhaupt publik machte.

 

Markus Rösler: „Das Eis ist dünn“

Der Ton zwischen der Pro- und der Contra-Umfahrungs-Seite ist zuletzt immer schärfer geworden. Er verbreite „Fake News“, warf der Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Rösler seinem CDU-Bundestagskollegen Steffen Bilger vor. Bilger hatte in einem Interview gesagt, der Große Feuerfalter – eine besonders streng geschützte Schmetterlingsart – komme auf dem geplanten Trassengebiet in der Enzaue nicht vor, das habe die Untersuchung des RP ergeben. Die Umfahrung müsse jetzt schleunigst gebaut werden.

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Markus Rösler echauffiert sich darüber: „Das Eis für den Kollegen Bilger ist dünn. Wenn er das Gegengutachten gelesen hätte, was er dringend mal tun sollte, wüsste er nicht nur, dass der Große Feuerfalter sehr wohl dort lebt. Er wüsste auch, dass das RP ihn nicht gefunden hat, weil es ihn gar nicht gesucht hat.“

Experte Steffen Caspari: „Gravierender methodischer Mangel“

Zu diesem Schluss kommt Steffen Caspari, Experte vom Rote-Liste-Zentrum des Bundesamts für Naturschutz. Er erstellte im Auftrag der baden-württembergischen Umwelt- und Naturschutzverbände ein floristisch-faunistisches Gutachten im Trassengebiet und fand an mehreren Stellen „signifikant und etablierte“ Populationen des Großen Feuerfalters, aber auch andere gefährdete Tier- und Pflanzenarten wie die Sumpfschrecke, die Scheinzypergras-Segge oder den Runden Lauch.

Caspari urteilt über das RP-Gutachten: „Gleich für mehrere relevante Artengruppen beziehungsweise aufgrund der Biotopstruktur zu erwartenden gefährdeten Arten fanden keine Untersuchungen statt.“ Das sei „ein gravierender methodischer Mangel“.

Steffen Bilger: „Ich setze auf zügiges Handeln des Regierungspräsidenten“

„Auch ein nachträglicher Fund des Großen Feuerfalters wäre kein größeres Problem“, findet Steffen Bilger. Das könne gegebenenfalls mit einer Vergrämung gelöst werden. Das Geld für die Umfahrung liege bereit, das Planfeststellungsverfahren müsse endlich abgeschlossen werden. „Ich setze auf zügiges Handeln des Regierungspräsidenten“, so Bilger. „Den Falter zu vergrämen, ist rechtlich unzulässig“, wettert dagegen Markus Rösler. Das Tierchen rangiere in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union unter den Arten, für die Tötungs- und Störungsverbote gälten. Dass die Umfahrungsplanung, wenn es hart auf hart komme, vor Gericht bestehe, „das halte ich für äußerst unwahrscheinlich“, sagt Rösler.

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Dass Natur- und Umweltschützer den Planfeststellungsbeschluss unter den aktuellen Voraussetzungen juristisch anfechten würden, steht so gut wie fest. „Wir Verbände sind uns einig. Der große Feuerfalter ist bei diesem Vorhaben nur die Spitze des Eisbergs“, erklärt Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbandes. Die Zahl der gefährdeten und geschützten Arten in der Enzaue sei schlichtweg zu groß. „Und im Voraus schon zu sagen, wir machen den Feuerfalter platt, das geht gar nicht.“

Geplant wird seit Jahrzehnten

Ohnehin sei in der Vorbereitung vieles nicht gut gelaufen: „Normalerweise ist es bei einer guten Planung Gepflogenheit, dass man sich vorher zusammen an den Tisch setzt. Dann wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen“, so Bronner. Das RP erklärt in einer Stellungnahme, „die Ergebnisse des Vorhabenträgers und weitere Stellungnahmen“ würden beim Erörterungstermin nochmals ausführlich diskutiert und abgewogen. Man strebe den Planfeststellungsbeschluss auf jeden Fall noch für 2020 an. Nach dem Erörterungstermin würden alle Pro- und Contra-Gesichtspunkte gegenübergestellt, „um so auf einer gesicherten Grundlage eine Abwägungsentscheidung treffen zu können“.

Die Frage, wie Enzweihingen entlastet werden kann, wird fast seit einem halben Jahrhundert gewälzt: In den 1970er Jahren dachte man an ein Enztalviadukt, später gab es Ideen für einen Langtunnel und Pläne für Kurztunnel. 2005 verkündete das Bundesverkehrsministerium: „Der Tunnel in Vaihingen-Enzweihingen kann kommen!“

Gerd Maisch: „Der Tunnel ist verworfen, den zahlt der Bund nicht“

Doch 2007 brachte das RP, vornehmlich aus Kostengründen, die Umfahrung ins Spiel. Sie soll über einem Damm und Brücken nördlich um den Ort führen und die Enz und den Strudelbach überqueren. Seit 2017 läuft das Planfeststellungsverfahren; 38 Millionen Euro sind veranschlagt, acht Millionen allein für die Verlegung der Straßenmeisterei.

Den Vaihinger Oberbürgermeister Gerd Maisch (Freie Wähler), den die B-10-Turbulenzen schon durch seine gesamte Amtszeit begleiten, verdrießt die Aussicht, das Vorhaben könne wegen Klageverfahren weiter auf die lange Bank rutschen. „Ich hoffe sehr, dass wir dieses Jahr den rechtskräftigen Planungsbeschluss noch kriegen“, sagt er. „Der Tunnel ist verworfen, den zahlt der Bund nicht.“ Die große Mehrheit der Enzweihinger wolle die Umfahrung. „Und die Alternative heißt nicht Umgehung oder Tunnel. Die Alternative heißt Umgehung oder keine Umgehung.“