Wir haben uns in den Wäldern rund um Stuttgart auf die Suche nach Besonderheiten gemacht. Dieses Mal gehen wir merkwürdigen Mauerresten auf den Grund.

Stuttgart - Wenn jetzt die Blätter von den Bäumen rascheln, entpuppt sich so mancher Waldhang als Naturtheater. Es ist, als ob ein Theatervorhang geöffnet wird und den Blick freigibt auf ein stummes Schauspiel von Natur und Kultur. Dann tauchen zwischen Eschen, Eichen, Heinbuchen und Ahornbäumen Mauern auf. Erst beim zweiten Blick wird klar, dass so mancher Hangwald mit Muschelkalk- oder Sandsteinen terrassiert ist.

 

Das Rätsel erklärt sich durch die einstige Nutzung

Solche Terrassenwälder finden sich an den eher schattigen Prallhängen des Neckars zwischen Stuttgart und Heilbronn, aber auch entlang der Zuflüsse wie Rems, Murr, Glems, Enz, Kocher und Jagst. Wie aber kommen die Mauern in den Wald?

Das Rätsel erklärt sich durch die einstige Nutzung. Denn nicht die Mauern kamen in den Wald, sondern der Wald überzog die mit Mauern abgestützten Terrassen. Noch vor 200 Jahren mühten sich hier Wengerter und pflegten Rebstöcke mit Traubensorten wie Heunisch, Räuschling oder Portugieser. Um den steilen Hängen etwas Nützliches abzutrotzen, wurden im klimatisch begünstigten Neckarland schon vor 1000 Jahren Weinbergmauern und damit Rebterrassen angelegt. Die Steine mussten mühsam von Hand in kleinen Steinbrüchen gebrochen und mit Ochsenkarren oder Pferdeanhängern zum Weinberg transportiert und kunstvoll ohne Mörtel aufeinandergeschichtet werden.

Stumme Zeugen der Weinbaugeschichte

Doch mit der Ausbreitung der Perenospora (Falscher Mehltau) und dem Aufkommen der Reblaus wurden viele Weinberge in weniger sonnenexponierten Lagen gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufgegeben. Erst machten sich Brombeeren breit, dann Gebüschdickicht aus Hartriegel, Schlehe, Weißdorn und Wildrosen. In deren Schutz konnten dann Bäume – zuerst Eschen als Pionierarten – gedeihen. Und schon bald wurde aus so manchem Wengert in den schattigeren Lagen Wald. Nun schlummern die Mauern verborgen im Wald als stumme Zeugen der Weinbaugeschichte. Aber wer weiß, ob durch die Auswirkungen des Klimawandels diese weniger günstigen – weil nicht so von der Sonne verwöhnten Prallhänge – irgendwann wieder weinbaulich interessant werden? Geht nämlich die Entwicklung so weiter, verkochen Riesling, Müller-Thurgau und Co. an den exponierten Hängen in der prallen Sonne. Dann wird aus Wald wieder Wengert.

Unser Autor ist Leiter der Umweltakademie des Landes. Wenn auch Sie Waldgeheimnisse kennen, schreiben Sie uns per Mail (lokales@stzn.de) oder per Post: Zentralredaktion, Postfach 10 44 52, 70 039 Stuttgart, Stichwort: Wald.