Der Stuttgarter Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas schlägt in seinem neuen Buch den Bogen über die ganz großen Fragen der Physik. Auch die Geschichte des Higgs-Teilchen ist in allen Facetten aufschlussreich nachzulesen.

Stuttgart - Es gibt Sätze, die muss ein Autor einfach zitieren, weil sie Teil des Themas geworden sind, über das er just in diesem Moment schreibt. „Wir haben eine Entdeckung“, ist zum Beispiel so eine Formulierung. So wird Rolf Heuer zitiert, der Direktor des Forschungszentrums Cern in Genf, als er am 4. Juli 2012 vor großem Publikum eine Vermutung bekannt gab, die von Anfang an als Gewissheit in die Welt hinaus ging: Am Cern ist das Higgs-Teilchen nachgewiesen worden. Zum Glück bestätigte sich die Vermutung, und im Jahr darauf folgte der Nobelpreis – nicht für das Cern, aber für zwei Theoretiker, die die Grundlagen entwickelt hatten.

 

Bei Rüdiger Vaas kann man die Geschichte in all ihren Details nachlesen, auch das Zitat natürlich, schon im Klappentext und im Prolog. Er erklärt auch, wie das Higgs-Teilchen zu seinem albernen Namen „Gottesteilchen“ kam, den Physiker „wegen seiner abwegigen Assoziationen“ überhaupt nicht mögen, wie er selbst schreibt, dann aber nicht rechtfertigt, warum er diese Assoziationen trotzdem schon im Buchtitel weckt.

Vaas nimmt sich der Geschichte um das Higgs-Teilchen von ihren Anfängen bis heute an. Er führt seine Leser von den Atomvorstellungen der Antike bis zum Standardmodell der Elementarteilchenphysik und der Rolle, die das Higgs-Teilchen darin spielt. Er erzählt von den Menschen, die diese Geschichte geformt haben, von Anekdoten um diese Geschichte und auch so manchen Irrungen und Wirrungen. Doch dies alles ist für ihn nur Anfang und Motivation seines Buches. Denn so, wie das Cern in den nächsten Jahren mit seinen Forschungen über das Higgs-Teilchen hinaus gehen will, wie es nach Antimaterie, supersymmetrischen Teilchen, Dunkler Materie und Dunkler Energie suchen wird, so schlägt auch Vaas diesen Bogen, bis zu den Versuchen, das Wissen über die Naturkräfte in einer einheitlichen Theorie zu vereinen, idealerweise in einer Weltformel, manche sprechen von einer Theorie von allem.

Wissen über die Welt des Allerkleinsten

Diesen Wunsch nach einem alles erklärenden, alles zusammenfassenden Theoriemodell der physikalischen Welt schildert Vaas mit durchaus ironischem Unterton und lässt auch Kritiker zu Wort kommen. Hier schlägt er, wie an anderen Stellen, immer wieder mit Anekdoten, Exkursen und Zitaten leicht lesbare Brücken auch für Leser, die seinen Einschub über „Phasenfaktor und Symmetriegruppen“ vermutlich genauso überblättern werden wie Exkurse über „Modifizierte Schwerkraft“ oder die verschiedenen Theorien zu den bis heute nicht auffindbaren Wimps (weakly interacting massive particles).

Vaas’ Buch ist ein Kompendium des modernen physikalischen Wissens über die Welt des Allerkleinsten, die Welt des Kosmos und die vielen Zusammenhänge, die die Forschung heute zwischen diesen beiden Welten bereits erkennt. Es ist ein Werk von beeindruckender Detailtiefe – man darf vermuten, es ist nicht zuletzt auch der Ausfluss seiner langjährigen Arbeit als Autor und Redakteur bei „Bild der Wissenschaft“.

Selbst Leser, die der Detailfreude des Autors nicht immer folgen können oder wollen, können das Buch mit tiefem Respekt beenden – Respekt nicht vor dem Gigantismus der Zahlen, die mit Forschungskathedralen wie dem Cern verbunden sind, sondern vor einer Wissenschaft, deren theoretisches Weltgebäude manchmal der realen Welt so aufregend nahe ist, dass es auf dem Papier Teilchen gebiert, die 48 Jahre später tatsächlich entdeckt werden, wie beispielsweise das Higgs. Und ein Gebäude, das zugleich so entmutigend fern der experimentellen Beobachtung ist, dass darin nur fünf Prozent der Welt vorkommen. Der Rest sind Rätsel – Dunkle Materie und Dunkle Energie.