Exklusiv Die Gemeinde hat über Jahre hinweg Bauaufträge immer wieder an dieselben örtlichen Unternehmer vergeben, und zwar im Umfang von insgesamt 40 bis 50 Millionen Euro. Die Gemeindeprüfanstalt kritisiert systematische Unregelmäßigkeiten im Rathaus.

Weissach - Es geht um viel Geld. Um richtig viel Geld. In den vergangenen zwölf Jahren hat der Sportwagenbauer Porsche gut 800 Millionen Euro Gewerbesteuer an die Gemeinde Weissach (Kreis Böblingen) überwiesen. Deren Kassen quollen lange Zeit über – und haben wohl Begehrlichkeiten geweckt. Recherchen der StZ haben ergeben, dass es bei der Vergabe von Bauaufträgen zu auffälligen Häufungen gekommen. Viele Aufträge gingen an die selben Firmen, oft an das Weissacher Bauunternehmen Essig.

 

„Es geht um unklare Aufträge, mindestens im Gesamtwert von 40 bis 50 Millionen Euro“, sagt ein Aufsichtsratsmitglied der kommunalen Baugesellschaft Kommbau. Die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) ist im Jahr 2010 auf eine ganze Reihe weiterer undurchsichtiger Vorgänge im Rathaus gestoßen: Grundstücksverkäufe zum Nachteil der Gemeinde, Umschichtungen von Wertpapieren, Sonderkonditionen für Privatleute. Die Verstöße sind so gravierend, dass sogar Klaus Notheis, der Präsident der Behörde, im Juni persönlich gekommen ist – um dringend Änderungen anzumahnen. Das bestätigt auch das Landratsamt.

Eine Rekonstruktion der Ereignisse

Als der erste Steuerbescheid über 10,7 Millionen Euro im Jahr 1999 im Weissacher Rathaus eingegangen ist, haben die Sektkorken geknallt – aber heimlich. „Wir wollten verhindern, dass das noch vor der Kommunalwahl herauskommt“, erzählt der damalige Bürgermeister Roland Portmann. Das ist gelungen. Einige wollten, dass von dem vielen Geld, das fortan von Porsche kam, möglichst viel in Weissach blieb. „Das war das erklärte Ziel“, sagt ein Insider.

Investitionen mit hohen Kosten verbunden

Und so wurde in den kommenden Jahren investiert, dass sich mancher die Augen rieb: Für die mondäne Strudelbachhalle gab die Gemeinde 9,7 Millionen Euro aus, für die Gaststätte Strudelbachhof 2,4 Millionen, für ein neues Rathaus 8,5 Millionen, und die Ratsstuben wurden für 2,4 Millionen Euro zu einem Edelrestaurant umgebaut. Zwei Seniorenheime wurden errichtet (17 Millionen), und die alte Strickfabrik wurde saniert (9,7 Millionen). Immer nahm man das Beste, die Kosten lagen oft um bis zu einem Drittel höher als geplant.

Der Bauunternehmer

Erich Essig ist in Weissach ein angesehener Bürger. Er saß jahrelang im Gemeinderat und ist Seniorchef seiner Baufirma. Nun ist es gemeinhin so, dass Bauunternehmer nicht die Mehrzahl der Aufträge in ihrer Heimatgemeinde bekommen. Schließlich muss der günstigste Bieter zum Zug kommen, das ist eben oft ein Auswärtiger. Doch Erich Essig ist ein in Weissach außergewöhnlich erfolgreicher Unternehmer. Er hat dort nämlich seit dem Beginn des Jahrtausends fast alle öffentlichen Einrichtungen gebaut. Die Strudelbachhalle mit den Außenanlagen, das Otto-Mörike-Stift und das Rosa-Körner-Stift sowie Seniorenwohnungen in der Gartenstraße und die Strickfabrik. Auch viele Straßenbauarbeiten haben seine Leute erledigt – ganz offen nachzulesen auf der Homepage der Firma Essig.

Auch ein Leonberger Architekturbüro ist immer wieder zum Zug gekommen – es hat etwa für die Seniorenstifte und die Seniorenwohnungen die Aufträge bekommen. „Die Projektsteuerung für die Großaufträge übernahm meist der langjährige FWV-Fraktionschef Wolfgang Gohl“, berichtet ein Insider aus dem Rathaus.

Kommunale Baugesellschaft Kommbau

Nun wäre all dies nicht ehrenrührig – wenn alles korrekt gelaufen wäre. Korrekt wäre: der günstigste Bieter bekommt den Zuschlag ohne Ansehen der Person, ohne Nachverhandlung. Doch in Weissach hat man die Kommunale Baugesellschaft Kommbau gegründet, bei der manches anders lief. Die GmbH wurde unter Roland Portmann um die Jahrtausendwende ins Leben gerufen. Sie gehört zu 100 Prozent der Gemeinde, die Geschäftsführung übernahmen Amtsleiter.

Die Kommbau als Blackbox

„Die Bauprojekte wurden von der Kommbau organisiert, sie bekam dafür praktisch unbegrenzt Geld zur Verfügung“, erklärt ein Kenner der Vorgänge. Wenn das Gebäude fertig gewesen sei, habe es die Gemeinde gekauft – zu den Kosten, die eben angefallen seien. Und diese lagen oft deutlich höher, als ursprünglich geplant. „Manchmal wurden sogar Rechnungen bezahlt, für die es keine Gegenleistung gab“, erklärt ein Aufsichtsrat der Kommbau dazu.

Die zweite Merkwürdigkeit: als GmbH gelten für die Kommbau nicht so strenge Verfahrensregeln wie für die Gemeinde, und sie wird auch von der Kommunalaufsicht nicht so genau durchleuchtet. So hat die Kommbau Bauaufträge manchmal gar nicht ausgeschrieben. Manchmal dann schon, doch der günstigste Bieter, oft ein Generalunternehmer aus Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern, kam nicht zum Zug. Wie Aufsichtsräte berichten und in Protokollen nachzulesen ist, wurde dann „nachverhandelt“.

Und plötzlich war der örtliche Bauunternehmer um 5000 Euro günstiger. Oder auch mal nur um zwei Cent, etwa bei einem Straßenbauprojekt, und er kam zum Zug. Ein unglaublicher Zufall? Erich Essig selbst saß übrigens bis 2004 sowohl im Gemeinderat als auch im Aufsichtsrat der Kommbau.

Und so ging es in den Jahren bis 2005 Projekt um Projekt – am Ende bekamen fast immer die Selben den Zuschlag. Seltsamerweise hatten auch bei Ausschreibungen, die nicht über die Kommbau liefen, meist genau die selben Unternehmer Erfolg.

„Sie haben oft zusammen gesessen und Skat gespielt“, erzählt ein Kenner der Rathausszene.

Ein Zufall, dass sich die beteiligten Personen gut kannten? „Sie haben oft zusammen gesessen und Skat gespielt“, erzählt ein Kenner der Rathausszene. Absprachen können ihnen aber nicht nachgewiesen werden, und die Sitzungsvorlagen waren korrekt. Darauf verweist auch die Gemeindeverwaltung in einer Stellungnahme an das Landratsamt. „Alle Aufträge wurden entsprechend der gesetzlichen Vorgaben vergeben“, heißt es da. Erich Essig sei als Aufsichtsrat befangen gewesen und habe daher bei der Auftragsvergabe nicht mitgestimmt. Auch Jürgen Troll, der ehemalige kaufmännische Geschäftsführer der Kommbau, betont: „Das lief alles korrekt.“

Erich Essig betont ebenfalls: „Das war alles sauber. Gerade als Bauunternehmer kann man sich da nichts erlauben.“ Er sei immer offen und geradlinig geblieben. An einzelne Auftragsvergaben kann er sich im Detail nicht erinnern.

Dennoch hat die Gemeindeprüfanstalt das undurchsichtige Verfahren schon in ihrem Bericht von 2010 moniert, zuvor hatte schon im Jahr 2005 das Landratsamt deutliche Kritik geäußert. Unterlegene Konkurrenten haben sich bei der Strudelbachhalle sogar an den Dachverband der Bauwirtschaft gewandt – vergeblich, auch dieses Großprojekt baute wieder Essig. Trotz allem hat bis heute nie die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob die Kritik berechtigt ist. Sie wurde nie eingeschaltet, weil formal immer alles korrekt ausgesehen hat.

Bürgermeisterin macht sich unbeliebt

Ein Vorfall aus dem Jahr 2008 zeigt, wie selbstverständlich manche Amtsleiter offenbar davon ausgingen, dass lokale Unternehmer die Aufträge bekommen. So sollte eine Straßensanierung für 300 000 Euro vergeben werden. Allerdings nicht mehr über die Kommbau – denn die seit 2006 amtierende Bürgermeisterin Ursula Kreutel wollte zu Beginn ihrer Amtszeit damit Schluss machen. In den Gemeinderatsakten ist nachzulesen, dass ein auswärtiger Bieter am günstigsten war – aber aus der Verwaltung kam der Vorschlag, dennoch wieder die Firma Essig zu beautragen. Kreutel schaltete das Landratsamt ein – diesmal hatte Essig das Nachsehen.

Prüfanstalt rügt nicht nur die Vergabe von Bauaufträgen

Doch damit machte sich die Bürgermeisterin nicht beliebt – schließlich profitierten viele von dem System. Das war wohl ein Grund für die Machtkämpfe, die das Weissacher Rathaus von 2012 an erschüttert haben. Es kam zum Streit zwischen Kreutel und ihrem Hauptamtsleiter Jürgen Troll, wobei auch Unstimmigkeiten wegen der Kommbau eine wichtige Rolle spielten. Kreutel wollte Troll entlassen, doch er klagte sich wieder ein. In dem Streit ging es um die Abrechnungen der GmbH, die Troll als kaufmännischer Geschäftsführer leitete. Kreutel darf darüber nicht sprechen – ihr drohen sonst mehrere Unterlassungsklagen mit hohen Bußgeldern.

Die Kommbau erhielt unter Kreutel nur noch kleinere Aufträge. Die Geschäftsführer und Amtsleiter Wolfgang Sättele und Axel Michael wurden in den Ruhestand verabschiedet – mit Schampus und einer luxuriösen Abschiedsfeier für je 10 000 Euro. Mit Weissacher Standard sozusagen. Aber das System lief nicht mehr rund.

Ein Kredit für die lokale Bank

Die Gemeindeprüfanstalt hat aber nicht nur die Vergabe von Bauaufträgen gerügt. Die Millionen auf dem Konto der Gemeinde waren auch für Banken lukrativ. In den Jahren 2004 und 2006 war Volker Kühnemann gleichzeitig Vorstand der Raiffeisenbank Weissach und als Ratsmitglied kommissarischer Bürgermeister. In dieser Zeit wurden zwei Wertpapier-Depots über vier Millionen Euro, die die Gemeinde bei der VR-Bank Sindelfingen hatte, an die Raiffeisenbank Weissach umgeschichtet – wo Volker Kühnemann eben der Chef war. Das bestätigen sowohl das Landratsamt als auch Markus Günter, der Vizepräsident der Gemeindeprüfanstalt. Ein Verstoß gegen die Befangenheitsregeln.

Kühnemann sagt dazu: „Es wurden lediglich die Wertpapiere, die auf zwei Banken verteilt waren, in einem Depot zusammengelegt.“ Er habe das nicht angewiesen, dafür sei der Kämmerer zuständig. Er habe zudem keinen Vorteil davon gehabt.

Grundstücke günstig zu haben

Immer wieder kam es zu Grundstücksgeschäften zum Nachteil der Gemeinde. Etwa im Gewerbegebiet Neuenbühl neben der Firma Autec Wöhr, wo diese erweitern wollte. Sie bot dem Rathaus einen stattlichen Preis – doch die Verwaltung lehnte ab. Auch dies bestätigen beide Prüfbehörden schriftlich. Wenige Wochen später wurde das Grundstück doch noch verkauft – für 30 Prozent weniger. Der Verlust für die Gemeinde geht in die Millionen. Ein Sprecher der Verwaltung erklärt dazu: „Die Firma Autec Wöhr war mit den Preisvorstellungen der Gemeinde nicht einverstanden.“

Und noch ein sagenhaftes Grundstücksgeschäft moniert die Prüfanstalt in ihrem Bericht. Ein örtliches Busunternehmen hat im Jahr 2004 einen Vertrag mit der Gemeinde abgeschlossen, der ihm eine Option auf ein benachbartes Gelände eingeräumt. Doch darauf steht die Alte Festhalle. Bis zum kommenden Jahr hat die Firma noch die Option – wenn sie will, muss die Gemeinde abreißen. Alle Vorteile liegen beim Privaten. Das hat die GPA ebenfalls gerügt – auch, weil es kein Wertgutachten dazu gibt.

Landratsamt: Kein Handlungsbedarf

Warum konnte dieses System über Jahre hinweg erfolgreich sein? Spätestens seit 2010 hat die GPA alle Mängel aufgelistet. Bis heute ist vieles nicht abgearbeitet, was die Kommune mehrere 10 000 Euro Säumnisgebühren gekostet hat. „Wir haben die Kritik dem Landratsamt übergeben“, erklärt dazu der GPA-Vize Markus Günther. Dort wurde fast immer das Verfahren eingestellt – mit einer sanften Rüge.

Etwa zu den umgeschichteten Geldanlagen erklärt das Landratsamt, man habe das angemahnt, seither habe es keine Beanstandungen mehr gegeben. Das Gleiche gilt für die Grundstücksgeschäfte. Und in Sachen Kommbau heißt es: „Für eine Betätigung der Rechtsaufsicht innerhalb des Aktionsfeldes der GmbH ist kein Raum.“ Sprich: was in der Kommbau so getrieben wird, interessiert die Kommunalaufsicht nicht.