Paukenschlag vor Beginn der Etatberatungen in Stuttgart: Schwarz-Grün hat sich in geheimen Verhandlungen über alle Änderungen und Ergänzungen des Verwaltungsentwurfs verständigt. Die anderen Fraktionen sollen aber nicht zu kurz kommen.

Stuttgart - Im November beginnen mit der ersten und zweiten nichtöffentlichen Lesung die Beratungen für den Haushalt 2016/2017. In der Aussprache am Donnerstag hatten alle Fraktionen ihre Anträge für das Publikum zusammengefasst. Zu diesem Zeitpunkt gingen die meisten Stadträte noch davon aus, in den nächsten sechs Wochen einen Diskussionsmarathon mit fast 100 Stunden vor sich zu haben und für einen Teil ihrer Vorhaben eine Finanzierungszusage zu erhalten. Von wechselnden Mehrheiten, mit denen eine Vielzahl der 616 Anträge bis zur Haushaltsverabschiedung am 18. Dezember beschlossen werden könnten, ist nach StZ-Informationen aber schon lange gar keine Rede mehr. Die Mehrheit steht bereits, gebildet von CDU (17 Sitze) und den Grünen (14), fixiert in einer schriftlichen Vereinbarung, die von beiden Fraktionen abgesegnet ist. Schwarz-Grün kommt damit auf 31 von 60 Sitzen.

 

Resignation bei anderen Fraktionen

Manchen Fraktionschef wird diese Botschaft überraschen. Thomas Adler (SÖS-Linke-Plus) hat so etwas geahnt: „Wir hatten zwei Gespräche mit den Grünen, die sich dann aber nicht mehr gemeldet haben.“ Die Aussichten seien trübe: „Eigentlich brauchen wir keine Beratungen mehr“, so der Fraktionschef. Seine Kollegen und er haben allein 170 Anträge gestellt.

Martin Körner (SPD) ist ebenfalls Leidtragender. Auf das Bündnis angesprochen, sagte er: „Dann hat die Geheimniskrämerei jetzt endlich ein Ende.“ Er verweist aber auf die Schnittmengen seiner Anträge mit jenen von CDU und Grünen. Die Genossen kämen deshalb nicht mit leeren Händen aus den Beratungen heraus. Körner hofft immer noch, dass die Mehrheit erkenne, dass die Stadt beim Thema Wohnungsbau mehr tun müsse, als im Haushaltsentwurf der Verwaltung enthalten sei.

CDU-Fraktionschef Alexander Kotz, der die Vereinbarung auf StZ-Anfrage bestätigte, sagte, er habe schon vor mehreren Wochen die Lage sondiert und sei schließlich mit der neuen Grünen-Doppelspitze Anna Deparnay-Grunenberg und Andreas Winter handelseinig geworden. Winter wollte die Vereinbarung gegenüber der StZ nicht bestätigen, ein Dementi gab es aber auch nicht. Er sprach von „intensiven Gesprächen“, dem „Abgleich von Schnittmengen“ und „großen Übereinstimmungen“.

Ein Sparpaket liefert Schwarz-Grün nicht

Kotz sagte, dem Haushalt fehlten die großen, strittigen Themen. Das vereinfache die Zusammenarbeit. Zudem seien unendlich viele Anträge der Fraktionen nahezu deckungsgleich. Dies rechtfertige diese Maßnahme, mit der das Verfahren verschlankt werden könne. Der Fraktionsvorsitzende erinnert an die Beratungen zum vorletzten Doppelhaushalt, als sich die Stadträte mit wechselnden Mehrheiten in der ersten Lesung alle Wünsche erfüllten. Der Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) hatte danach darauf hingewiesen, dass der Haushalt nicht genehmigungsfähig sei – und die Verhandlungen begannen quasi von vorne. Ein Sparpaket liefert Schwarz-Grün aber nicht: Es geht um 85 Millionen Euro, davon 40 Millionen für Investitionen. Der Kämmerer sieht bekanntlich keinen Spielraum mehr. Föll hat für 500 Millionen Euro Investitionen eine Viertelmilliarde Euro Schulden einplant.

Ein weiteres Argument für die Verständigung mit den Grünen lieferte der CDU-Chef in seiner Haushaltsrede. Kotz attackierte die Vertreter des linken (SÖS-Linke-Plus) und des rechten Flügels (AfD) vehement und versagte speziell Bernd Klingler (AfD) die Zusammenarbeit. Dieser war zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen, er werde als Mehrheitsbeschaffer für die CDU gebraucht.

Allerseits großer Konsens

Alle 99 Anträge der CDU und jene 77 der Grünen sind besprochen worden. Unproblematisch in der Bewertung sind die identischen. Dazu zählt etwa der Abriss der B-27-Auffahrtsrampe Friedrichswahl, die Entscheidung für Schulneubauten (Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium), die Schaffung der von der Verwaltung „vergessenen“ 33 Stellen, aber auch die Weiterentwicklung der Arbeit der Begegnungsstätten für Ältere, die Finanzierung des „Medmobils“ für Obdachlose und die Förderung des Stadtseniorenrats. Aus der CDU-Fraktion ist zu hören, dass selbst über Kleinstbeträge Einvernehmen erzielt wurde.

Die neue große Koalition hat sich dem Vernehmen nach aber auch darüber verständigt, wie mit Themen verfahren wird, die nun gar nicht die Sache der einen oder anderen Fraktion sind: Man schaut erst, ob der Partner mit Hilfe der anderen Fraktionen eine Mehrheit für sein Vorhaben sichert. Unterstützung wird nur im Notfall gewährt, und keinesfalls wird entscheidend blockiert. Zur Besänftigung ehemaliger Partner links und rechts der starken Mitte haben sich CDU und Grüne auf einen Fonds in sechsstelliger Höhe verständigt.

Vorgeschlagener Ratwegeetat gilt als tabu

Solche strittigen Themen könnten die alte Forderung der CDU nach einer „intelligenten“ Grundsteuersenkung sein; falls der Jahresabschluss 2015 positiv ausfalle, solle im Jahr 2017 der Hebesatz so weit wie ohne Schulden finanzierbar gesenkt werden, sagt Kotz. Weitere klassische Union-Themen sind die Förderung der Sportvereine und der Feuerwehr sowie der Bau neuer Straßen. Im Haushalt schlägt sie den Vollanschluss der Nord-Süd-Straße an die A 8 vor, die Auffahrtsrampe an der Sigmaringer Straße (Tränke) auf die B 27 sowie ein Zuschlag von acht Millionen Euro für die Sanierung von Straßen und eine Million für den Bau von Anwohnertiefgaragen.

Die Grünen wollen, dass der stattliche Radwegeetat im Entwurf von OB Kuhn (3,6 Millionen Euro) nicht angetastet wird, sind für den Einstieg in eine Förderung des Fußverkehrs (100 000 Euro), für ein Gratis-Ticket als Anreiz für neu Hinzugezogene (500 000 Euro) und für Hilfe für Biotop-pflegeinsätze (15 000 Euro).