Seit drei Jahren gibt es die Gemeinschaftsschule in Weil der Stadt. Wie läuft’s? Ein Rundgang.

Weil der Stadt - Fatima hakt schon wieder ’was ab. „Das ist unser Wochenplan“, erklärt sie. „Den müssen wir bis Freitag fertig haben.“ Die Zwölfjährige sitzt an einem Schreibtisch mit Überbau, zwischen Ordnern, Heften, kichernden Mitschülerinnen. Denn auch wenn kaum etwas danach aussieht, das hier ist in der Tat eine Schule.

 

Im September 2015 ist die Gemeinschaftsschule in Weil der Stadt an den Start gegangen, seitdem ist in den alten Gebäuden am Festplatz vieles anders. Klassen sind hier Lerngruppen, und im Unterricht arbeiten die Schüler selbstständig, jedenfalls jeden Vormittag von 9.30 bis 11 Uhr während der sogenannten „Lernzeit“.

„Wir spüren die wachsende Akzeptanz“

Fatima hat die Auswahl zwischen verschiedenen Levels und Schwierigkeitsstufen. Das einfache Niveau entspricht der Hauptschule und das mittlere der Realschule. „Ich nehm’ immer Level 3, in allen Fächern“, erklärt die Schülerin und strahlt. „Ich bin generell gut.“ Fatima ist erst seit drei Jahren in Deutschland, sie sei aus Syrien geflüchtet, erzählt sie in perfektem Deutsch. Die Gemeinschaftsschule kam ihr da entgegen. „Ich war mir nicht sicher, ob ich das Gymnasium wirklich schaffen würde.“ Jetzt arbeitet sie eben an der Gemeinschaftsschule auf gymnasialem Niveau.

48 Schüler gehen in die derzeitige fünfte Klasse – ein deutlich stärkerer Jahrgang, als noch vor vier Jahren. Für die Konrektorin Sascha Annette Sauter ist das ein Beleg dafür, dass die Schulart angekommen ist. „Wir sind sehr zufrieden“, berichtet sie. „Wir spüren die wachsende Akzeptanz.“ Denn einmütig war es keineswegs, damals Anfang 2014, als der Gemeinderat zu entscheiden hatte, ob diese neue Schulart nach Weil der Stadt kommen solle. Ein Drittel der Stadträte war damals dagegen. Man befürchtete unter anderem, den anderen Schularten das Wasser abzugraben. Ein umfangreiches pädagogisches Konzept hatte der damalige Rektor Jochen Holzwarth mit seinem Team erarbeitet und den Befürchtungen gegenübergestellt, umfangreiches Material erarbeitet, die Lerntagebücher und Wochenpläne konzipiert.

Lehrer: „Ich bin richtig stolz“

Davon profitiert die Schule bis heute. „Wenn ich sehe, wo wir jetzt sind und was wir geschafft haben – dann bin ich richtig stolz darauf“, sagt Philipp Wohlleben, einer der Lehrer, die von Anfang an dabei sind. Mit großen Augen hat da auch Doro Moritz zugehört, die Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, als sie jüngst in der Heinrich-Steinhöwel-Gemeinschaftsschule zu Gast war. „Wenn Sie das so erzählen, Herr Wohlleben, dann kribbelt es richtig bei mir“, sagt die Heimsheimerin. „Wie lange habe ich von einem Lehrer nicht mehr den Satz gehört: Ich bin stolz.“

Fatima ist mittlerweile mit ihren Aufgaben fertig. Sie stellt ein kleines Fähnchen auf ihren Tisch. Damit weiß ihr Lehrer, dass er zu ihr kommen und über die Aufgabe drübersehen kann. Denn frei hat er natürlich nicht, während die Schüler selbstständig arbeiten. „Ich beantworte Fragen und sehe nach den Aufgaben“, erklärt Wohlleben. Genau darin liege auch einer der großen Vorteile der Schulart. Hausaufgaben gibt es nämlich nicht, die Schüler erledigen alles während der Lernzeit in der Schule. „Und hier sind wir Fachleute und betreuen sie“, sagt er. „Damit bleibt es nicht bei den Eltern hängen.“

„Wichtig ist, dass wir viel reden“

Frontalunterricht gibt es übrigens immer noch, denn Lernzeit ist nur eineinhalb Stunden pro Tag. „Es gibt auch richtig guten Frontalunterricht – aber eben nicht nur“, erklärt Wohlleben. Zum Beispiel gerade nebenan, bei Marie-Claire Kaletta, die in der siebten Klasse Französisch gibt. „Wichtig ist, dass wir viel reden“, erklärt sie. Damit beleben auch ganz neue Fächer die alten Räume der früheren Hauptschule, die es dort vorher nicht gegeben hat.

Zum Beispiel Französisch, für das neben Marie-Claire Kaletta auch eine Gymnasiallehrerin der Berufsschule Leonberg nach Weil der Stadt abgeordnet ist. Oder Chemie. Das unterrichtet Bastian Dietrich, ein Diplom-Chemiker und Gymnasiallehrer für Chemie und Biologie. Er hat beim Rundgang eine Gruppe Gemeinschaftsschullehrer von anderen Standorten bei sich, denen er eine Fortbildung zuteil werden lässt. „Solche Fortbildungen sind bei uns Alltag“, erklärt die Konrektorin Sauter. „Die Lehrer müssen mit den neuen Fächern vertraut werden.“ Nicht nur neue Fächer, auch neue Kollegen sind in Weil der Stadt eingezogen. Mit Désirée Hapke ist eine Sonderschullehrerin mit an Bord, die sich um die Kinder mit besonderem Förderbedarf kümmert. 19 Schüler sind das in den Klassen 4 bis 8. „Das ist herausfordernd, aber auch schön“, sagt sie. „Ich arbeite dabei eng mit den Kollegen zusammen.“

Eine gymnasiale Oberstufe gibt es nicht

Bleibt am Ende die Frage, wie es für die Schüler einmal weitergeht. Denn eine gymnasiale Oberstufe stand für Weil der Stadt nie zur Debatte. „Nein, dafür haben wir zu wenige Schüler“, sagt Sascha Annette Sauter. Die Konrektorin, die die Steinhöwel-Schule bis zur Ernennung eines Nachfolgers des im Sommer in den Ruhestand gegangenen Rektors Jochen Holzwarth leitet, gibt aber Entwarnung.

„Wir haben Kooperationsverträge abgeschlossen.“ Den Haupt- und Realschulabschluss machen die Schüler noch in Weil der Stadt. Wer das Abi machen will, kann dann auf das G-9-Gymnasium in Rutesheim oder auf die Berufsschule Leonberg wechseln. „Das Weil der Städter Gymnasium ginge auch, aber wegen G 8 müssten die Schüler hier die zehnte Klasse wiederholen“, erklärt Sauter. Bis sich Fatima mit dieser Frage beschäftigen muss, sind es aber noch knapp drei Jahre. So lange arbeitet sie weiterhin an ihren Wochenplänen, und murmelt ganz nebenbei das wohl größte Lob, das man einer Schule machen kann: „Schule macht Spaß.“