Zum Gedenken an Rudolf Rathgeb, der von den Nazis mit knapp zwei Jahren ermordet worden ist, wird in der Knollstraße ein Stolperstein verlegt.

Stuttgart - Es brauchte nicht viel, um von den Nationalsozialisten als nicht lebenswert eingestuft zu werden – eine ganze Reihe von Stolpersteinen erinnert daran, auch in Stuttgart-Nord. An diesem Montag verlegt der Initiator Gunter Demnig einen weiteren in der Knollstraße 38. Das Schicksal dahinter schockiert um so mehr, weil der kleine Rudolf Rathgeb mit knapp zwei Jahren ermordet wurde.

 

Jupp Klegraf ist ehemaliger Bezirksvorsteher und seit vielen Jahren für die Initiative Stolperstein Stuttgart-Nord aktiv. Er hat bereits die Schicksale hinter zahlreichen Stolpersteinen recherchiert, mit den Nachfahren der Opfer gesprochen und Fotos von Menschen zusammengetragen, deren Leben auf abscheuliche Weise beendet wurde. Es ist keine leichte Aufgabe, aber eine, die wichtig ist. Und eine, für die er sich wünschen würde, dass mehr junge Leute sie weiterführen.

Das Schicksal des kleinen Rudolf Rathgeb hat Klegraf besonders berührt: „Es nimmt einen mit, wenn es um so ein kleines, unschuldiges Wesen geht.“ Von dem Zweijährigen ist nichts geblieben außer einem Namen und Krankenhausakten – bürokratische Aufzeichnungen seiner Mörder. Denn der Bub ist, wie auch Anneliese Schillinger, für die an diesem Montag in Feuerbach ein Stolperstein verlegt wird, eines von 55 Opfern des geheimen Euthanasie-Programms der Nazis.

Tödliche Dosis eines Medikaments gegen Lungenentzündung verabreicht

Klegraf vermutet, dass Rudolf Rathgebs Familie 1944 dem öffentlichen Aufruf gefolgt war, Kindern mit Gehirnschädigung in der „Kinderfachabteilung“ der Städtischen Kinderklinik in der Türlenstraße helfen zu lassen. Dort sei der Kleine an einer „Lungenentzündung“ verstorben, heißt es auf dem Totenschein. Die Krankenhausakten belegen, dass den kleinen Patienten die tödliche Dosis eines Medikaments gespritzt wurde, das in geringen Mengen tatsächlich bei Lungenentzündungen verabreicht wird. Klegraf konnte noch feststellen, dass der Vater des Jungen im Krieg als vermisst gemeldet worden war. Weder von dem Kind noch von seiner Familie ist ein Foto erhalten und auch sonst war nichts in Erfahrung zu bringen, außer dass die Mutter bald nach dem Tod des Jungen unbekannt aus der Knollstraße verzogen ist. Den Stolperstein will Klegraf nicht am Eingang im Innenhof der Wohnanlage verlegen lassen, sondern zur Straße hin: „Da sieht man ihn eher.“ Auch weil dieser Stolperstein der allerletzte Nachhall eines sehr kurzen Lebens ist.

Nach seinen Wünschen für die Stolperstein-Initiative gefragt, sagt Jupp Klegraf: „Es wäre schön, wenn wir nicht nur so ein Verein von Alten wären und mehr Jüngere zur Mitarbeit animieren könnten.” Große Hoffnungen setzt er auf seinen Enkel, und er erzählt begeistert von einer Schülerin, die eigenständig ein Schicksal für eine Stolpersteinverlegung recherchiert habe.

Ein Beispiel, das Schule machen könnte: Klegraf hofft auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Bildungseinrichtungen. Schon jetzt gibt es einmal im Jahr eine gemeinsame Begehung der Stolpersteine in Stuttgart-Nord mit Schülern des Hölderlin-Gymnasiums und deren französischen Austauschschülern. Immer in der Hoffnung, dass sich mehr junge Menschen für diesen Dienst an der Erinnerung gewinnen lassen.