Lange war Boris Palmer für Winfried Kretschmann eine Art Ziehsohn. Doch die ständigen Provokationen des Tübinger OB gingen auch dem Regierungschef irgendwann zu weit. Nun macht Kretschmann eine Andeutung, was er von dem geplanten Rausschmiss Palmers hält.

Stuttgart/Tübingen - Der von den Grünen im Südwesten geplante Rauswurf des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer wird beim Realo-Flügel intern vermehrt infrage gestellt. Während die Grünen-Landesspitze das Parteiordnungsverfahren am Dienstag gegen Kritik aus den eigenen Reihen verteidigte, wollte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht eindeutig positionieren. Auf die Frage, was ihn bewogen habe, einen Aufruf für einen Verbleib Palmers in der Partei nicht zu unterschreiben, sagte Kretschmann in Stuttgart: „Mein Amt.“ Er müsse sich in seiner Position aus dieser Sache heraushalten.

 

Ein Landesparteitag hatte Anfang Mai beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Palmer anzustrengen. Am Montag veröffentliche eine Gruppe von Unterstützern aus dem Tübinger Kreisverband einen Aufruf zugunsten des Rathauschefs, den etwa 500 Parteimitglieder vor allem aus dem Südwesten unterschrieben.

Kretschmanns Sohn unterstützte Palmer

Zwar war kein aktueller Spitzenpolitiker vom Realoflügel bei den Unterstützern. Allerdings unterschrieben langjährige Kretschmann-Vertraute wie der frühere Staatskanzleichef Klaus-Peter Murawski und Ex-Umweltminister Franz Untersteller den Aufruf. Auch Kretschmanns Sohn Johannes, der vergeblich für den Bundestag kandidiert hatte, unterstützte Palmer. In Grünen-Kreisen hieß es, der Inhalt des Aufrufs werde von vielen Realos geteilt.

In dem Schreiben wird unter anderem beklagt, „dass es intellektuelle Exzentriker in unserer Partei schwer haben und Charakterköpfe nicht als interessante Bereicherung angesehen werden“. Palmers verbale Entgleisungen reichten für einen Ausschluss nicht aus. Zudem sei der 49-Jährige ein äußerst erfolgreicher Kommunalpolitiker.

Kretschmann und Palmer Oberrealos

Der 73-jährige Kretschmann und Palmer galten lange als enge Vertraute, sie sind beide Oberrealos. Doch auch Kretschmann ging wegen der ständigen provokanten Aussagen Palmers immer wieder auf Distanz. Nach der Empörung über einen Facebook-Beitrag Palmers über den früheren deutschen Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo im vergangenen Mai gab es bei den Grünen kein Halten mehr. Mit drei Viertel der Stimmen votierte der Parteitag gut vier Monate vor der Bundestagswahl für ein Parteiordnungsverfahren.

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Palmer hatte in dem Post das sogenannte N-Wort benutzt. Mit diesem Begriff wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. Palmer beteuerte, seine Äußerung sei ironisch gemeint gewesen. Die Grünen-Führung sieht den Vorfall aber nur als Teil einer „langen Liste von kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen“. Kretschmann sagte damals: „Solche Äußerungen kann man einfach nicht machen.“ Und: „Ich finde es auch eines Oberbürgermeisters unwürdig, dauernd mit Provokationen zu polarisieren.“ Jetzt müsse man abwarten, wie das Ordnungsverfahren ausgehe.

Grenzüberschreitungen gehörten nicht zu Debattenkultur

Als Reaktion auf den Aufruf der 500 Mitglieder sagte eine Sprecherin des Landesverbands am Dienstag: „Wir Grüne haben in unserer Geschichte immer wieder bewiesen, dass wir eine streitbare Partei sind, die lebendig und offen diskutiert. Abweichende Meinungen auszuhalten und Provokationen zu ertragen, gehört zum Parteileben selbstverständlich dazu.“ Mit Blick auf Palmer sagte sie aber: „Grenzüberschreitungen des Sagbaren, bei denen Menschengruppen gegeneinander ausgespielt werden, gehören nicht zu einer gesunden Debattenkultur und nicht zu den Grundsätzen von Bündnis 90/Die Grünen.“

Sie ergänzte: „Das schiedsgerichtliche Verfahren wird nun klären, was wir als Partei ertragen müssen und ob ein Parteiausschluss gerechtfertigt ist.“ In dem Aufruf, hatte es geheißen: „Wir erinnern an die in unserer Partei hochgehaltene Debattenkultur, die wir für besonders schützenswert halten. Menschen auszuschließen, nur weil sie in einer bestimmten Zeit, in der bestimmte Themen Hochkonjunktur haben, den Mainstream verlassen, halten wir für unsere Partei unwürdig.“