Ein schwäbischer Schaffer im besten Sinne: Der Fellbacher Gerhard Hummel ist ein Tüftler und Erfinder, seine Leidenschaft sind der Wengert und die Obstwiese, sein Pläsier ist die Kupfertreiberei, sein Glück die Familie. Er steht auch mit 94 noch mitten im Leben.

Fellbach - Der Herrgott meint es gut mit Gerhard Hummel. In seinem langen, bald 95-jährigen Leben – Anfang November hat er Geburtstag – hat er viel Glück gehabt, wie er sagt, viel (er)schaffen dürfen, so viel Gutes erlebt.

 

Gerhard Hummel ist ein echter Fellbächer

Und auch jetzt, im gesegneten Alter, ist er noch voll dabei, geht täglich in den Wengert und erlebt im engen Familienanschluss alles hautnah mit. Der „Hartle“, wie er von allen genannt wird, verfügt über einen riesigen Fundus an Erlebnissen, und man könnte ihm wohl einen ganzen Tag lang zuhören, weil es immer noch etwas gibt, was ihm einfällt.

Trotzdem ist es nicht leicht, Gerhard Hummel zu porträtieren. Denn nach fast jeder tragischen Geschichte aus dem Krieg, nach einem Bericht von einer seiner vielen Erfindungen und nach den schönsten Schnurren aus seinem Leben fügt er an: „Des schreibet se aber net, des interessiert doch niemand,“ oder „des isch privat, des soll net en’d Zeitung.“ Gerhard Hummel ist ein echter Fellbächer, er kann auf eine lange Linie von Vorfahren am Ort zurückblicken. Seine Eltern hatten einen der früher üblichen gemischten landwirtschaftlichen Betriebe, ein paar Schweine und Kühe, Hühner, viele Obstbäume und ein paar Weinberge. In der ehemaligen Scheuer neben seinem Elternhaus in der Vordergass’ lebt jetzt die Familie eines seiner Enkel, und er selbst ist ins Haus seiner Tochter Sonja gezogen, noch ein Stück näher an die Weinberge heran.

Als Zimmermann hat er das Dach der Silcherschule gedeckt

Schon als Schulbub fand er daheim meist einen Zettel vor: „Wir sind im Wengert, komme nach!“ So lernte er schon früh die Arbeit in der Natur lieben. Kaum mit der Schule fertig, hat er sich mit „Siebzehneinhalb“ als Kriegsfreiwilliger gemeldet, zwei Mal ist er verwundet worden, einmal in Salerno, einmal in Ostpreußen, beide Male war „viel zufälliges Glück“ im Spiel, sodass seine Tochter Sonja auf gut Schwäbisch sagt: „Er hatte Schutzengel noch und nöcher!“ Mit 20 Jahren kam er wieder heim, der Krieg war zu Ende, und Gerhard Hummel wusste nicht so recht was tun. Er schnupperte in viele Berufszweige hinein: Als Zimmermann hat er das Dach der Silcherschule gedeckt, er war auch Drahtflechter und mal Meßgehilfe bei den Geometern.

In Ostpreußen hatte ihn „das Weitläufige und Großzügige“ fasziniert, und plötzlich kam ihm seine schwäbische Heimat kleinzellig und eng vor. „Am liebsten wäre ich nach Kanada ausgewandert“, erzählt er. Aber da kam ihm die Liebe dazwischen. Im Wengert sah er seine Inge zum ersten Mal. „Sie hat oben die Reben geschnitten, ich weiter unten.“ Ein Sträußlein Heckenrosen hat er ihr hingelegt, ein zarter Gruß ohne Worte. Fast 65 Jahre waren sie verheiratet, kurz vor der Eisernen Hochzeit ist sie gestorben.

Überall versuchte er, das Optimum herauszuholen

Vielleicht wäre Gerhard Hummel ein guter Ingenieur geworden, wenn er in eine andere Zeit hineingeboren worden wäre. Ein rechter Tüftler war er auf jeden Fall. Bei „den Amis“ habe er kurz nach Kriegsende drei Jeeps gekauft, Stückpreis 500 Mark, und in Schorndorf hat er jemanden gefunden, der Lenker, Getriebe, Achsen, Fahrgestell nach seinen Ideen anders und neu zusammenschweißte: Das wurde Hummels persönlicher erster Traktor. Mit seinem Mähdrescher drosch er das Getreide für viele andere, und mit technikbegeisterten Kumpels gründete er die „Reparatur- und Schmiergesellschaft“, die alles zum Laufen brachte, was irgendwo schlapp machte. Bei allem, was er benutzte, sinnierte er, wie er es verbessern könnte. „Er tüftelte so lange herum, bis es funktionierte“, sagt Tochter Sonja.

Mit 94 Jahren arbeitet er noch täglich morgens und nachmittags im Wengert

Überall versuchte er, das Optimum herauszuholen, auch beim Schnitt der Obstbäume war er immer innovativ und aufgeschlossen für Neues. Seit 1946 war er Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr, wenig überraschend als Maschinist. Zudem langjähriger Schriftführer beim Obst- und Gartenbauverein und 25 Jahre lang Ausschussmitglied bei den Fellbacher Weingärtnern.

Auf seine beiden Töchter, die fünf Enkel und drei Urenkel ist er mächtig stolz, die wichtigsten Ereignisse der Großfamilie präsentiert er auf einer riesigen Bilderwand gleich neben dem Wohnzimmer. Es sind Fotos eines ganzen Jahrhunderts. Als die Tochter Sonja ins Weingut Aldinger einheiratete, war klar: Der Hartle schafft da mit. Mit den „Gegenschwiegern“ verstanden er und seine Inge sich bestens: „Wir haben gleich gesagt, wir sind nicht Gegenschwieger, sondern Mitschwieger“, erzählt Hummel. Gerhard Aldinger wurde der Opa Gips, Gerhard Hummel der Opa Hartle: „Einfach jeder bezeichnete die beiden Charakterköpfe so“, sagt die Tochter.

Er sieht halt das G’schäft und will den Jungen helfen

Noch heute sind der Weinberg und die Familie die wichtigsten Konstanten im Leben von Gerhard Hummel. Mit 94 Jahren arbeitet er noch täglich morgens und nachmittags im Wengert, am gemeinsamen Mittagessen im Weingut nimmt er natürlich auch teil. Bis heute hat er das Mitdenken und Optimieren nicht aufgegeben, so hat er zum Beispiel ausprobiert, ob es nicht besser sei, statt ganze Trauben vom Stock zu schneiden, besonders große zu halbieren: „Wir haben das an zwei Weinbergen zum Vergleich ausprobiert, und die Methode von Opa Hartle brachte mehr Quantität und mehr Qualität“, sagt Sonja Aldinger. Für diesen Schnitt hat „der Hartle“ gleich eine Spezialschere mit besonders langen Klingen entwickelt.

Die Knie schmerzen inzwischen, nur im Liegen sei das besser. Aber was will man machen, bei dem Alter müsse man das eben hinnehmen, alles Schmieren und Salben nütze da nichts. Das Gehen ist deshalb beschwerlich geworden. „Aber im Wengert mache ich ja immer nur kleine Tapperle“, winkt er ab. Er sieht halt das G’schäft und will den Jungen helfen: „Das gibt mir Auftrieb.“ Genauso wie das „prima Verhältnis“ mit allen in der Familie. Ach ja, ein Hobby pflegt Gerhard Hummel auch: Er treibt Bilder in Kupfer, von der Weintraube bis zu ganzen Ortsansichten. Und sein Sonntagsritual ist ihm heilig. Erst der Kirchgang, dann das Mittagessen in wechselnden Gaststätten mit den „Oizeachten“, den „Übriggebliebenen“, also ebenfalls verwitweten Frauen und Männern aus dem Freundeskreis. „Und die Getränke, die zahlen wir Buben“, das ist Ehrensache für „den Hartle“.