Die Corona-Krise trifft auch die Justiz. Teils kann nicht verhandelt werden, weil Zeugen oder Schöffen fehlen, oft erschwert das Homeoffice die Arbeit. Gerichtsverhandlungen werden abgesagt. Ein Gesetz soll helfen. Justizminister Wolf ist nicht ganz zufrieden.

Stuttgart - Desinfektionsfläschchen am Haupteingang, Schöffen mit Mundschutz oder Flatterband zwischen Anklagebank und Besucherreihen. Mal werden Prozesse verlegt, mal ganz abgesagt, an einem Tag sind die Verteidiger in Quarantäne, an einem anderen vielleicht die Zeugen. Gerichte in Baden-Württemberg müssen wegen der Corona-Krise auf Notbetrieb schalten. Richter in Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart und Mannheim ringen mit Lösungen. Denn grundsätzlich liegt es in ihrer Hand, ob sie trotz der Corona-Krise weiterhin verhandeln. Die richterliche Unabhängigkeit ist unumstößlich.

 

Bei größeren Verfahren wie dem derzeit in Stuttgart laufenden Prozess gegen mutmaßliche Schleuser und Scheinehen vor dem Landgericht kommen mit Angeklagten, Schöffen, Verteidigern, Zeugen und Justizpersonal schon Dutzende in einem Saal zusammen - ein Gesundheitsrisiko für alle Anwesenden, die oft aus ganz Deutschland anreisen müssen. Auch darf die Öffentlichkeit nur unter sehr strengen Voraussetzungen von Verhandlungen ausgeschlossen werden. Der Schleuser-Prozess wird deshalb nun im gesicherten Gerichtsgebäude der Justizvollzugsanstalt Stammheim verhandelt und nicht in der City.

Ausgenommen sind unaufschiebbare Angelegenheiten

Fast überall gilt: Verhandelt wird, was nötig und was möglich ist. Nicht überall wird dies gleich bewertet, das liegt allerdings auch an den Verfahrensvorschriften: Das Bundesverfassungsgericht setzt bis Ende April keine großen Verhandlungen und Urteilsverkündungen mehr an. Ausgenommen sind unaufschiebbare Angelegenheiten, wie das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe mitteilt. Die Arbeit in den Kammern sei aber sichergestellt, weil die Richterinnen und Richter auch von zu Hause aus arbeiten könnten. „Unser primäres Ziel ist es, die persönlichen Kontakte zu verringern“, sagt eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts stellvertretend für zahlreiche andere Gerichtsvertreter. Auch am Bundesgerichtshof und anderen Gerichten fallen Verhandlungen aus.

„Alle aufschiebbaren Verhandlungen werden vorerst nicht stattfinden“, sagt auch die Präsidentin des Stuttgarter Oberlandesgerichts, Cornelia Horz. Dies gelte vor allem für Zivilverfahren und Familiensachen. Die meisten Gerichte im Land haben aber mit Hilfe eines Notfallplans sichergestellt, dass bearbeitet werden kann, was bearbeitet werden muss, darunter Haft- und Eilsachen sowie die Arbeit von Ermittlungsrichtern.

Bundestag will am Freitag einen Gesetzentwurf verabschieden

Beim Karlsruher Landgericht werden Haftsachen im Strafrecht wie der laufende Prozess gegen zwei Männer nach einem vorgetäuschten Überfall auf einen Geldtransporter auch unter den erschwerten Umständen weitergeführt. Alle Verhandlungstermine bei Zivilverfahren wurden dagegen „sämtlich abgesagt“, sagt eine Gerichtssprecherin.

Das Virus hat auch den derzeit bekanntesten Prozess des Freiburger Landgerichts in die Warteschleife geschoben: Frühestens Mitte Mai wird wieder verhandelt im Verfahren um die Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen vor einer Disco in Freiburg. Organisiert würden lediglich Kurztermine, um rechtliche Fristen einzuhalten.

Und selbst dies könnte schon bald nicht mehr notwendig sein. Denn der Bundestag will am Freitag einen Gesetzentwurf des Justizministeriums verabschieden, der Gerichten wegen der Corona-Krise für laufende Strafprozesse längere Unterbrechungen erlaubt. Vorgesehen ist eine Pause für bis zu drei Monate und zehn Tage, um zu verhindern, dass Hauptverhandlungen platzen und von Neuem beginnen müssen. Bislang dürfen Hauptverhandlungen laut Strafprozessordnung im Strafverfahren nur für drei Wochen unterbrochen werden. Bei besonders umfangreichen Verfahren, die länger als zehn Verhandlungstage gedauert haben, ist eine Unterbrechung bis zu einem Monat möglich. Verrinnt die Frist, muss der Prozess von vorne beginnen.

Anwälte sind noch nicht zufrieden

Das Landgericht in Stuttgart beobachte das Gesetzgebungsverfahren mit sehr großem Interesse, sagte ein Sprecher. Eine entsprechende Unterbrechungsmöglichkeit verschaffe wertvolle Luft, um ein mögliches Platzen von Prozessen zu verhindern. Nach Ansicht von OLG-Präsidentin Horz kann ein solches Gesetz entlasten und für Planungssicherheit sorgen. Landesjustizminister Guido Wolf geht das aber nicht weit genug: Eine Verlängerung für normale Strafprozesse um zwei Monate und eine Pause von somit insgesamt maximal drei Monaten und zehn Tagen sei eine „absolute Untergrenze“, sagt der CDU-Minister. „Ich hätte mir eine Verlängerung der aktuell möglichen Fristen um zusätzliche drei statt nur um zwei Monate vorstellen können“, sagt er.

Auch die Anwälte sind noch nicht zufrieden: „Die neue Regelung bezieht sich nur auf das Strafprozessrecht, sie lässt aber Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsprozessrecht außer Acht“, sagt Peter KothePräsident des Anwaltsverbands Baden-Württemberg. Das sei aber ein Nachteil, weil es auch in diesen Verfahren Fristen gibt, die weiter gelten und die Anwälte und deren Mandanten unter Druck setzten. „Bei Kündigungen muss eine Kündigungsschutzklage zum Beispiel auch weiterhin innerhalb von drei Wochen zugestellt werden.“