Der Europäische Gerichtshof urteilt, dass der Mechanismus zur Ahndung von Verstößen gegen den Rechtsstaat nicht gegen EU-Recht verstößt

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Luxemburg - Ungarn und Polen müssen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine schwere Schlappe einstecken. Die Luxemburger Richter haben am Mittwoch eine neue Regelung zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in EU-Ländern für rechtens erklärt. Damit machen sie den Weg frei für die Anwendung des sogenannten EU-Rechtsstaatsmechanismus. Der sieht letztlich auch die Möglichkeit vor, Staaten Mittel aus dem Haushalt der Europäischen Union zu kürzen. (Rechtssachen C-156/21 und C-157/21).

 

Polen und Ungarn im Fokus der Vorwürfe

In dem Verfahren vor dem EuGH ging es um ein fast schon typisch europäisches Begriffsungetüm: die Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit. Die ist seit Anfang 2021 in Kraft und soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben, wenn dadurch ein Missbrauch von EU-Geldern droht. Die Verordnung bezieht sich zwar auf alle Länder der Europäischen Union, doch Polen und Ungarn sahen sich besonders im Fokus dieses neuen Instruments. Grund ist, dass die Regierungen in beiden Ländern seit Jahren den Rechtsstaat aushöhlen und die Demokratie demontieren.

Die Mehrheit der Parteien im Europaparlament reagierte erleichtert auf den Richterspruch. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen Abgeordneten, erklärte: „Die Abweisung der Klage ist eine Ohrfeige für die polnische PIS Partei und Ungarns Regierungschef Orban.“ In beiden Staaten werde ein „Feldzug gegen die Rechtsstaatlichkeit und unsere europäische Demokratie“ geführt. Die EU-Kommission müsse nun unverzüglich die Verfahren starten.

EU-Parlamentarier sind zufrieden über das Urteil

Auch die deutsche CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier, Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des Europaparlaments, zeigte sich zufrieden und spricht von einem „historischen Erfolg des Europäischen Parlaments zum Schutz des EU-Haushalts und der damit verbundenen Europäischen Rechtsordnung“. Ihr CDU-Kollege Daniel Caspary erklärte, die EU habe nun endlich ein „wirksames Mittel an der Hand, um gegen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit“ vorzugehen.

Angesichts der Tatsache, dass die konservative EVP-Fraktion im Europaparlament über Jahre in Sachen Polen und Ungarn ein Auge zugedrückt hat, wundert sich die Sozialdemokratin Katarina Barley darüber, dass das Urteil in den Reihen der CDU/CSU nun so überschwänglich begrüßt wird. Seit die Fidesz-Partei von Victor Orban aus der konservativen Familie ausgeschieden ist, habe sich die Haltung in dieser Sache allerdings geändert, sagt die Europaparlamentarierin. Sie befürchtet, dass Orban nun versuchen wird, den Richterspruch und die EU zu diskreditieren. „Wir sollten uns deshalb im Fall von Ungarn auf die Korruption konzentrieren“, sagt Barley. Auch im Volk sei weithin bekannt, dass die Regierung überaus korrupt sei, das könne von Orban nicht für seine Zwecke umgedeutet werden.

Möglicher Einfluss auf die Wahl in Ungarn

Bis die Mittel für Polen und Ungarn tatsächlich gekürzt werden können, wird es allerdings wohl noch bis Ende des Jahres dauern. Was jetzt folgt ist eine Art Pingpong aus Anfragen der EU-Kommission an die betroffenen Staaten und Antworten auf diese Anfragen. Für Victor Orban unangenehm ist, dass die EuGH-Entscheidung bei den Parlamentswahlen in Ungarn Anfang April eine Rolle spielen könnten. Es gilt aber als äußerst unwahrscheinlich, dass die Kommission noch davor Schritte gegenüber Budapest einleiten wird, die als Wahlkampfeinmischung verstanden werden könnten. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dämpfte die Erwartungen nach baldigen Strafen gegen Ungarn oder Polen. Ihre Behörde werde nun erst einmal gründlich die Begründung des Urteils und mögliche Auswirkungen analysieren.

Polen und Ungarn reagieren empört

Die ersten Reaktionen auf das Urteil aus Polen und Ungarn waren sehr empört. Die ungarische Justizministerin Judit Varga nannte das Urteil eine „politische Entscheidung“. Sie sei ein „lebendiger Beweis dafür, dass Brüssel seine Macht missbraucht“, erklärte sie auf Facebook. Der Richterspruch stelle einen „Angriff auf unsere Souveränität“ dar, erklärte der polnische Vize-Justizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. „Polen muss seine Demokratie gegen die Erpressung verteidigen, die darauf abzielt, uns unser Recht auf Selbstbestimmung zu nehmen.“ Im Gegensatz zu den üblich polternden Tönen aus Ungarn, sendete Warschau zuletzt Signale der Entspannung nach Brüssel. Präsident Andrzej Duda schlug die Auflösung der hoch umstrittenen Disziplinarkammer vor, die seit Jahren für Streit mit der EU-Kommission sorgt. Zudem legte Polen einen Streit mit Tschechien bei, der zuvor bereits den EuGH beschäftigt hatte. Die EU-Kommission äußert sich bislang nur zurückhaltend zu diesen Entwicklungen, pocht auf konkretes Handeln - und nicht nur auf Ankündigungen.