Die Jobcenter im Land bereiten sich auf das neue Integrationsprogramm für Langzeitarbeitslose vor. BA-Regionalchef Rauch warnt vor überzogenen Erwartungen und plädiert für eine Überarbeitung des Gesetzentwurfs. Mit seiner Kritik ist er nicht allein.

Stuttgart - Die Kritik am neuen Teilhabechancengesetz reißt nicht ab. Sowohl die Bundesagentur für Arbeit (BA), als auch Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften fordern Veränderungen an dem im Juli von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf. Dabei wird in erster Linie die Deckelung der Fördersumme auf dem Niveau des Mindestlohns bemängelt.

 

„Es wird für uns ohnehin eine Herausforderung, die Stellen für diese Menschen zu finden“, sagte Christian Rauch, der Regionalchef der Bundesagentur für Arbeit im Südwesten, am Dienstag in Stuttgart. „Aber ohne die Begrenzung auf den Mindestlohn wäre das Programm nachhaltiger und sinnvoller.“ Ab Oktober sollen Mitarbeiter in den Jobcentern potenzielle Kandidaten ansprechen und schrittweise auf eine Beschäftigung vorbereiten. „Dafür gibt es kein Patentrezept“, so Rauch. Erfahrungswerte zeigten, man müsse sieben bis acht Betroffene ansprechen, um einen Teilnehmer zu finden. Die konkrete Vermittlung könne erst erfolgen, nachdem das Gesetz voraussichtlich im November den Bundesrat passiert hat – es soll zum 1. Januar in Kraft treten.

Der Bund nimmt bis 2022 vier Milliarden Euro in die Hand, um Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben. Menschen über 25, die in den vergangenen acht Jahren mindestens sieben Jahre arbeitslos waren, können von dem Programm profitieren. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass ein Arbeitgeber – egal ob kommunal, sozial oder privat – im ersten Jahr einhundert Prozent der direkten Lohnkosten bis zur Höhe des Mindestlohnes staatlich bezuschusst bekommt. In jedem weiteren Jahr der fünfjährigen Förderung sinkt der Zuschuss um jeweils zehn Prozentpunkte.

Helfer verdienen im Schnitt 14,50 Euro pro Stunde

In Baden-Württemberg, wo ohnehin weniger als zehn Prozent der Arbeitsverträge zum Mindestlohn von 8,84 Euro (ab 2019: 9,19 Euro) abgeschlossen sind, läge das durchschnittliche Arbeitsentgelt für Helfertätigkeiten in Branchen, die für die Förderung in Betracht kommen, bei 14,50 Euro, rechnete der BA-Chef vor. Laut dem Gesetzentwurf müsste der Arbeitgeber die Differenz zwischen Mindestlohn und ortsüblichem Lohn oder Tariflohn aus eigener Tasche drauflegen. Damit sinke der Zuschuss von 100 faktisch auf nur noch 70 Prozent. „Dafür stellt kein Arbeitgeber einen Betroffenen aus diesem Personenkreis ein“, sagte Rauch.

Mit scharfen Worten kritisierten auch die Arbeitgeber Baden-Württemberg den Gesetzentwurf. Das neue Instrument sei zwar generell dazu geeignet, die Beschäftigungschancen von Langzeitarbeitslosen zu verbessen, heißt es bei der Spitzenorganisation der Wirtschaft im Land. Allerdings gelte dies nicht für Unternehmen der privaten Wirtschaft: „Wir teilen die Einschätzung (. . .), dass beim Paragrafen 16i zur Teilhabe am Arbeitsmarkt nicht der Mindestlohn die Bezugsgröße sein sollte, da wir sonst die gewerblichen Unternehmen der Privatwirtschaft de facto ausschließen und das Ganze zu einer Subventionsmaschinerie für soziale Beschäftigungsunternehmen verkommen würde“, sagte Arbeitgeber-Geschäftsführer Stefan Küpper im Gespräch mit unserer Zeitung. „Und dann wären wir schlussendlich wieder bei den Arbeitsmarktbeschaffungsmaßnahmen – kurz ABM – angekommen, mit denen wir vor allem in den 90er Jahren schlechte Erfahrungen machen mussten.“

Der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann befürchtet indes, es könnte im Zuge des Programms zu Verdrängungseffekten regulärer Beschäftigungsverhältnisse kommen, und mahnte die Tariftreue an: „Auch bei öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen müssen die geltenden Tarifverträge der jeweiligen Branchen angewandt werden. Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft bei den Beschäftigten – mit und ohne Tarifvertrag.“ Insbesondere im öffentlichen Dienst sei die Frage der Eingruppierung elementar, so der DGB-Chef. „Es besteht sonst die große Gefahr, dass ein tarifvertragsloser öffentlicher Niedriglohnsektor unter der Ägide der Wohlfahrtsverbände entsteht.“

Kommunen im Osten müssen West-Tarife zahlen

BA-Regionalchef Rauch wies darauf hin, dass das Problem mit der Zuschusshöhe nicht nur die Betriebe betreffe. Noch größere Hemmungen, Langzeitarbeitslose einzustellen, dürften klamme Kommunen im Osten der Republik haben. Für diese gelten mittlerweile die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes auf Westniveau: Die Kluft zwischen Mindestlohn und tatsächlichem Gehalt sei dabei noch größer.

Rauch rechnete vor, dass 2019 rund 70 Millionen Euro aus dem Bundestopf ins Land fließen. Damit könnten 2500 bis 3000 Personen gefördert werden. Er geht allerdings erst ab dem zweiten Quartal von nennenswerten Vermittlungszahlen aus. Wegen der Unsicherheit im Bezug auf die Förderhöhe gehe die Behörde derzeit noch nicht auf private Arbeitgeber zu. Allerdings baut Rauch dabei auf ein Einlenken des Gesetzgebers zugunsten der Wirtschaft.

Beschäftigungsmöglichkeiten in der Privatwirtschaft sieht er etwa in der Logistik von Handelsunternehmen, aber auch in der Industrie, in der manche Produkte in kleinen Stückzahlen noch von Hilfsarbeitern per Hand gefertigt würden. Als weitere potenzielle Einsatzbereiche nennt er Sozialunternehmen von Wohlfahrtsverbänden wie Diakonie, Caritas oder AWO sowie Kommunen, in denen Betroffene einfache Helfertätigkeiten etwa als Kantinen- oder Reinigungskräfte oder im Bereich Landschaftspflege und Gartenbau auf den Bauhöfen ausüben könnten.